Kairo: Islamisten drohen mit Revolution

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Nach seinem Ausschluss von der Präsidentenwahl ruft der konservative Kandidat Abu Ismail zu Protesten und gar zu einer „zweiten, islamischen Revolution“ auf. Die Salafisten sprechen von einem Komplott des Militärs.

Wütend halten die Bärtigen das Poster ihres Scheichs und Kandidaten Hazem Abu Ismail hoch. „Sünde, Sünde, Sünde!“ rufen die Salafisten in Richtung des Gebäudes auf der anderen Straßenseite. Dort sitzt die ägyptische Wahlkommission, die den ultrakonservativen Abu Ismail mit gestrigem Beschluss selbst nach dessen eingelegtem Widerspruch für die Präsidentenwahl Ende Mai disqualifiziert hat. Der Grund: Laut Kommission besaß Abu Ismails verstorbene Mutter die US-Staatsbürgerschaft. Gemäß ägyptischem Wahlgesetz dürfen Kandidaten, die selbst oder deren Eltern eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, nicht zu der Präsidentenwahl antreten. Abu Ismail hat die Kommission der Lüge und des Verrats bezichtigt. Sie versuche, das Land zu spalten, hat er erklärt und zu einem Sitzstreik vor der Wahlkommission aufgerufen, zu Massendemonstrationen und gar zu einer „zweiten, islamischen Revolution“. Seine Anhänger machten klar, dass die Proteste friedlich bleiben sollen.

Doch nicht nur Abu Ismail wird das Antreten bei der Präsidentenwahl verwehrt. Auch bei den beiden anderen abgelehnten Kandidaten ist das Urteil fix: Sowohl der Muslimbruder Khairat El-Shater als auch der Mann des alten Regimes, Mubaraks Ex-Geheimdienstchef Omar Suleiman, sind aus dem Rennen. Sie haben die Kriterien für eine Kandidatur nicht erfüllt: Der Moslembruder ist vorbestraft, der Mubarak-Vertraute hat nicht die notwendige Anzahl beglaubigter Unterschriften beigebracht, die seine Kandidatur unterstützen.

Aufatmen bei Christen und Liberalen

Liberale, aber auch christliche Kopten sind erleichtert, dass ihr politischer Albtraum, der ultrakonservative Salafist Abu Ismail und dessen Scharia-Projekt ein Ende haben und auch die moderateren Moslembrüder geschwächt sind. In der revolutionären Tahrir-Ecke ist man froh darüber, dass man mit Suleiman als Präsidenten nicht gleich alle revolutionären Träume an den Nagel hängen muss. Übrig bleiben aussichtsreiche Kandidaten, die weniger polarisieren. Etwa der als Elder Statesman auftretende ehemalige Chef der Arabischen Liga, Amr Moussa, oder der Moslembruder-Aussteiger Muhammad Abdel Fotouh, der islamisches mit liberalem Gedankengut zu vereinen sucht und vom ersten Tag an bei den Tahrir-Protesten dabei war. Vor allem die Islamisten sehen dagegen in der Entscheidung der Wahlkommission ein Komplott des herrschenden Militärrats: Die Armee versuche, die Kontrolle über den Wahlprozess zurückzuerlangen. Verbreitet ist auch die Theorie, dass selbst die Kandidatur Suleimans und dessen späterer Ausschluss ein abgekartetes Spiel des Militärrates gewesen seien. Damit sei es dem Militär gelungen, auf sanfte Art und Weise die Islamisten auszuschalten. Indem im gleichen Atemzug auch ein Mann des alten Regimes ausgeschlossen wurde, hat man den politischen Aufschrei abgeschwächt.

Die Disqualifizierung der politischen Schwergewichte wirft wichtige Fragen für den Demokratieprozess in Ägypten auf: Wenn es klar festgelegte Kriterien für eine Kandidatur zum höchsten politischen Amt des Landes gibt, welche Legitimität hätte später ein Präsident nach einer öffentlichen Debatte, dass er bei seiner Wahl diesen Kriterien nicht entsprochen hat? Wie reagiert die Straße, nachdem ein Gutteil des politischen Spektrums von der Präsidentenwahl ausgeschlossen wurde? Was bedeutet das für die Legitimität des späteren Präsidenten?

Reihen der Salafisten nicht geschlossen

Nun wartet aber zuerst alles einmal ab, wie viele Anhänger der ultrakonservative Abu Ismail kommenden Freitag für seine „zweite, islamische Revolution“ auf dem Tahrir-Platz versammeln kann. Dort wird sich dann zeigen, ob er mit seiner Macht auf der Straße doch noch das Ruder herumreißen kann, oder ob er nach seinem Ausschluss von der Präsidentenwahl so schnell fällt, wie er vor wenigen Monaten aus der Versenkung als politische Größe gekommen ist. Denn selbst in den eigenen Salafistenreihen wird er bereits fallen gelassen. „Wenn wir sicher wüssten, dass Abu Ismail recht hat, würden wir ihn verteidigen“, heißt es auf dem Twitter-Account des Sprechers der Salafistenpartei El-Nour, Nadr Bakar.

Auf einen Blick

Ägyptens Wahlkommission hat die drei aussichtsreichsten Kandidaten endgültig von der Präsidentenwahl ausgeschlossen. Der disqualifizierte Salafisten-Kandidat, Hazem Abu Ismail, will sich mit Massenprotesten wehren. Der Ausschluss der politischen Schwergewichte könnte den künftigen Präsidenten in eine Legitimitätskrise bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2012)

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