Wenn Ratingagenturen Horrorbilder malen

Ja, wir haben unterkapitalisierte Banken. Das unklug und überhastet zu ändern könnte freilich die Megakrise, die es verhindern soll, erst heraufbeschwören.

Standard & Poor‘s hat uns also nicht nur das dritte A im früheren AAA-Rating gestrichen, sondern macht sich jetztauch noch Sorgen um die Kapitalausstattung der heimischen Banken. Man muss deshalb freilich nicht gleich mit dem Sparbuch zum Bankschalter rennen und sein Geld in Sicherheit bringen.

Aus zwei Gründen: Erstens ist die Stressannahme der Ratingagentur ein aus heutiger Sicht wirklich unrealistisches Horrorszenario. Wenn die Börsen noch einmal um 60 Prozent einbrechen, das österreichische BIP um sechs Prozent schrumpft und die Arbeitslosigkeit hierzulande auf 15 Prozent hochschnellt, dann sind, so viel kann man sagen, nicht nur die heimischen Banken kaputt, sondern die meisten anderen europäischen auch. Dann haben wir alle ganz andere Sorgen als Tier-1-Quoten.

Zweitens ist die Sache mit der Unterkapitalisierung der Banken nichts besonders Neues. Überall in Europa (aber auch in den USA) haben die Banken zu wenig Eigenkapital für die Risken, die sie eingegangen sind. Deshalb gibt es ja demnächst die strengeren Basel-III-Kapitalbestimmungen. Wir reden also nicht von einem spezifisch österreichischen, sondern von einem globalen Problem. Wie groß das ist, hat erst vorige Woche die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) angedeutet: Den 200 größten Geschäftsbanken der Welt fehlen zusammen noch 500 Milliarden Euro, um die Eigenkapitalbestimmungen von Basel III ab 2015 zu erfüllen. Zudem wären weitere 1,7 Billionen Euro fällig, um Banken ausreichend flüssig zu halten. Da klafft ein recht ordentliches Loch.

Die veröffentlichten „harten“ Eigenkapitalquoten sagen aber noch nicht allzu viel aus, weil sie das Gesamtrisiko nicht abbilden. Um wirklich zu sehen, was läuft, ziehen Finanzexperten die sogenannte „Leverage Ratio“ heran, die das „harte“ Eigenkapital in Relation zur Bilanzsumme – also zum Gesamtgeschäft – setzt. Da kommen die europäischen Großbanken im Schnitt auf Werte zwischen 1,7 und drei.

Und da sollte man schon anfangen, sich Gedanken zu machen. Eine „Leverage Ratio“ von zwei heißt nämlich nichts anderes, als dass auf jeden Euro Eigenkapital 50 Euro verliehene Schulden entfallen. Oder anders herum: Wenn da nur zwei Prozent ausfallen, steht die Bank ohne Eigenkapital da und ist pleite.

Das klingt sehr technisch, heißt aber im Endeffekt nur, dass die Banken im Verhältnis zu ihren Eigenmitteln viel zu viel Geld „draußen“ haben. Dieses Geld hat in Form von Investitions- und Konsumkrediten viel zum starken BIP-Wachstum der vergangenen Jahrzehnte beigetragen. Man könnte also auch sagen, dass ein Teil des derzeitigen Wohlstandes mit wachsender Instabilität des Bankensystems erkauft wurde.

Und jetzt wird die Sache haarig, denn der Bogen wurde ganz offensichtlich überspannt. Und die Reparatur wird ein ausgesprochener Drahtseilakt. Die „Leverage Ratio“ kann man nämlich auf zwei Arten substanziell verbessern: Indem man sich auf dem Markt sehr viel Kapital besorgt (was ziemlich schwierig ist) oder indem man sein Geschäft stark zurückfährt.

Zweiteres heißt, dass die auf Kredite angewiesene Wirtschaft finanziell ausgetrocknet wird, was jeden Aufschwung gleich wieder abwürgen müsste. Da könnte das S&P-Horrorszenario dann sozusagen zur selbst erfüllenden Prognose werden.

Die industrialisierte Welt hat sich in den flotten Boomjahren also in eine unangenehme Doppelmühle hineinmanövriert: Sie kann jetzt entscheiden, ob sie stabilere Finanzinstitute (mit dem Risiko vorübergehender Wirtschaftskrisen) oder gewohnt flottes Wachstum (mit dem Risiko weiter instabiler Finanzinstitute) will. Mit der Gefahr, dass sie, wenn es ungeschickt angegangen wird, das Schlechteste aus beiden Welten bekommt, nämlich Wirtschafts- und Bankenkrisen.

Hier herauszufinden wird eine sehr langwierige und schwierige Angelegenheit, die viel Fingerspitzengefühl aufseiten der regulierenden Politik wie auch der Finanzwirtschaft erfordern wird. Eine schnelle Lösung ist nicht zu erwarten.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2012)

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