Die Macht, die von der Bombe kommt

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Die neue Agni-V-Rakete ist in Indien keine Revolution: Das Land schließt mit seinem militärischen Raketenprogramm an eine Vergangenheit an, in der es bei solchen Waffensystemen weltweit führend war.

Tipu Sultan (*1750) beherrschte im 18. Jahrhundert das südindische Königreich Mysore und setzte der britischen Eroberung Indiens eine spezielle Waffe entgegen: Raketen. Es waren schwarzpulvergefüllte Eisenrohre mit Bomben und Messern an der Spitze, die bis zu zwei Kilometer flogen und unter den Briten wüteten. 1799 fiel Tipu Sultan, und sein Reich ebenfalls. Trotz der Raketen.Mysore war in Raketentechnik führend, doch erst in den 1980ern, lange nach der Unabhängigkeit 1947, begann Indien wieder mit einem Raketenwaffenprogramm. Erste Früchte waren ab 1989 die Mittelstreckenraketen der „Agni“-Serie; Agni ist der Hindu-Gott des Feuers und nimmt Opfer an andere Götter entgegen. Agni-I fliegt 700 bis 1200 Kilometer weit, Agni-II bis zu 2500. Seit 2008 gibt es die moderne Agni-III, mit 3500 km Reichweite kann sie noch Sibirien, die Türkei, Saudiarabien, Korea und fast ganz China treffen, ausgenommen die Ost-Mandschurei. Die Werte bemessen sich von Startplätzen nahe Indiens Grenzen, denn Agnis werden innerhalb Indiens auf Lkw oder Zügen bewegt, können sich dem Ziel also so gut es geht annähern.

Keine wirkliche Revolution

Insofern ist die neue Agni-V (die Agni-IV wurde erst im November getestet und ähnelt der Dreier) keine Revolution: Indiens Regierung preist sie zwar als landgestützte Interkontinentalrakete (ICBM), doch gelten als solche laut Völkerrecht Raketen mit über 5500 km Reichweite. Die Agni-V, so hieß es, fliege „über 5000 km“, so weit etwa sei ihr Ziel im Indischen Ozean entfernt gewesen. Damit läge sie bestenfalls an der ICBM-Schwelle, träfe aber Japan, Osteuropa und ganz Russland. Sollte die Reichweite bis zur Stationierung 2014 auf 6000 km steigen, könnte sie erste US-Gebiete (und übrigens Österreich) erreichen: die Nördlichen Marianen und Guam im Pazifik, wo eine US-Basis liegt. Agni-V soll wie ihre Vorgänger in erster Linie Atomsprengköpfe transportieren, möglicherweise mehrere pro Rakete, und besonders schwer abzufangen sein.

Die ersten ICBM hatte 1957 die UdSSR, heute verfügen darüber die USA (rund 450), Russland (370) und China (20–40). Israel soll „Jericho“-ICBM haben. China, die USA und Russland besitzen auch U-Boot-gestützte strategische Raketen (SLBM, Submarine Launched Ballistic Missiles); darauf stiegen Briten und Franzosen sogar total um und haben heute je 64 SLBM.

Die Reichweiten dieser Waffen übertreffen die der Agni-V: gut 8000 km bei Chinas „JL-2“-SLBM, 13.000 km bei der „Minuteman-III“-ICBM (USA). Die „Agni-VI“ soll aber einmal 10.000 km weit fliegen. wg

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2012)

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