Die Rückkehr auf den Tahrir-Platz

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Zehntausende Ägypter, Islamisten aller Schattierungen sowie Liberale, demonstrierten vereint gegen Militärrat und Wahlkommission.

Kairo. Ausgerufen war der „Freitag der Selbstbestimmung“ – und alle waren sie auf den Tahrir-Platz im Herzen Kairos gekommen. Ursprünglich hatten nur die Islamisten zum Protest aufgerufen, nachdem die Präsidentschaftskandidaten Khairat el-Shater von den Muslimbrüdern und Hazem Abu Ismail von den ultra-konservativen Salafisten diese Woche von der Wahlkommission ausgeschlossen worden waren. Noch am Mittwoch hatten die Anhänger Abu Ismails mit einer „zweiten, islamischen Revolution“ gedroht.

Nur Stunden später riefen säkulare Aktivisten auf, sich den Protesten anzuschließen. Gefordert werden die Einhaltung des Datums für die Präsidentschaftswahl (23. Mai) und ein Ende der Militärherrschaft. Unter dieser Überschrift ist jeder mit seinem eigenen Motiv auf den Platz gekommen.

„Wenn sie keine Beweise vorlegen, soll unser Kandidat Hazem Abu Ismail wieder zur Wahl zugelassen werden. Dann soll der Militärrat die Macht an den übergeben, den das Volk am Ende gewählt hat. Das ist unsere einzige Forderung“, sagt der Salafist und Steuerbeamte Essam Mushrif, der extra aus Alexandria angereist ist.

Für die Muslimbruderschaft gleicht der Aufruf, auf dem Tahrir mit einem breiten Bündnis zu demonstrieren, dagegen dem Gang nach Canossa: „Wir sind im Parlament nicht weitergekommen, dessen Entscheidungen vom Militärrat ignoriert wurden. Unser wichtigster Präsidentschaftskandidat wurde disqualifiziert, also geht es jetzt wieder auf den Tahrir-Platz“, erklärt der junge Muslimbruder Muhammad Ramadan.

„Muslimbrüder, wo wart ihr?“

Seine Worte stoßen schnell auf Widerspruch: „Wo wart ihr, als wir euch gebraucht haben?“, ruft Siam Muhammad, ein linker Tahrir-Aktivist der ersten Stunde. „Als wir am 25.Jänner 2011 hier mit dem Aufstand gegen Mubarak begonnen haben, wart ihr nicht hier. Als wir Ende letzten Jahres vor dem Innenministerium gekämpft haben, seid ihr im Parlament gesessen und habt gesagt, dass nur dieses, nicht aber die Proteste auf der Straße legitim seien. Als unsere Frauen von Soldaten verprügelt wurden, habt ihr gesagt, sie hätten das provoziert und seien selber schuld“, fügt er aufgebracht hinzu. Der 57-Jährige war immer dabei und zeigt zum Beweis die Narbe von einem Streifschuss am Kopf und eine Schussverletzung am Bein. Der Muslimbruder kann wenig entgegensetzen und geht.

„Jetzt haben die Islamisten entdeckt, dass sie gescheitert sind, und kommen zurück“, meint Reiseleiter Abdul Bar Zahran. Auch die alten Tahrir-Aktivisten müssen die erneute Präsenz der Islamisten auf dem Platz erst verdauen. Einige hatten im Vorfeld geraten, den Protesten fernzubleiben, aus Angst, sie könnten von den Islamisten instrumentalisiert werden.

Vor allem geht es nun darum, einen Konsens zu finden, wie es mit der demokratischen Entwicklung weitergehen soll. „Sie alle haben gemerkt, dass keiner den anderen politisch besiegen kann. Die Islamisten, das Militär, die Liberalen, die Tahrir-Revolutionäre, sie müssen zusammenarbeiten“, meint Zahran.

Machtgier der Islamisten

„Es gibt eine Krise bei der Präsidentschaftswahl und beim Ausarbeiten der Verfassung, und nun versuchen die verschiedenen politischen Gruppierungen eine Einigung zu finden“, glaubt der ägyptische Politologe Hassan Nafaa. Die Muslimbrüder hätten zugegeben, dass sie zu machtgierig waren und damit gescheitert sind, meint er und fügt hinzu: „Wenn der Militärrat mit seiner Teile-und-herrsche-Politik nicht mehr durchkommt, sind wir in Ägypten einen guten Schritt weitergekommen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2012)

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