Im Zweifel gilt die Krankheitsvermutung

Wer krank ist, muss auch künftig ohne Sorgen daheimbleiben können. Stärkere Kontrollen, um Missbrauch abzustellen, sind aber legitim. Auch bei den Ärzten.

Wenn er bis dahin nicht gewusst hat, was ein „Shitstorm“ ist – seit dem Osterwochenende weiß er es. Da forderte Peter Haubner, der Generalsekretär des ÖVP-Wirtschaftsbundes, dass Arbeitnehmer den ersten Arbeitstag künftig nicht mehr bezahlt bekommen sollen. Auf diese Weise sollen sie „einen Beitrag“ zu den Kosten der Kurzkrankenstände unter drei Tagen leisten, die sich laut Daten des Wirtschaftsbundes in den vergangenen zwanzig Jahren verdoppelt haben. Schon kurz nach dieser Aussage flog Haubner die geharnischte Ablehnung in Internetforen und Aussendungen der anderen Parteien förmlich um die Ohren. Selbst die ÖVP distanzierte sich von seinem Vorschlag.

Dennoch ist das Thema seither an der politischen Tagesordnung. So ließ nun die neue Wiener ÖAAB-Chefin Gabriele Tamandl aufhorchen, die für stärkere Kontrollen von „schwarzen Schafen“ plädiert. Also Arbeitnehmern, die häufig vor oder nach einem Wochenende krank werden. Abseits der Frage, ob der ÖAAB mit diesem Vorstoß nun die endgültige Selbstaufgabe als Arbeitnehmervertretung beschlossen oder einfach nur Pragmatismus gezeigt hat, ist ersichtlich, dass auch Jahrzehnte nachdem der bezahlte Krankenstand hierzulande eingeführt worden ist, dieser immer noch für Diskussionen sorgt.

Vorneweg ist einmal festzustellen, dass der Vorschlag, den ersten Tag nicht zu zahlen, schlecht ist. Nicht, weil es eine verrückte Idee aus dem neoliberalen Hirn eines Wirtschaftslobbyisten ist, wie viele Kritiker argumentieren. So ist dieses System bereits seit 1993 in Schweden im Einsatz, einem Land, in dem der soziale Wind bekanntlich nicht sonderlich rau weht. Sondern, weil es extrem kontraproduktiv ist, wenn sich etwa Menschen mit ansteckenden Krankheiten in ihre Unternehmen schleppen, nur um keinen Einkommensverlust hinnehmen zu müssen.

Doch auch wenn es sinnvoll und ein Zeichen der sozialen Marktwirtschaft ist, dass Krankenstände bezahlt werden, sollte sich jeder bewusst sein, dass dadurch für eine Leistung bezahlt wird, die nicht erbracht wird. Denn auch wenn die Begriffe Arbeitnehmer und Arbeitgeber es verwischen: Unternehmen kaufen von ihren Mitarbeitern Arbeitskraft. Ist jemand verhindert, wird diese Arbeitskraft bezahlt, obwohl es keine Gegenleistung gibt. Und kaum jemand würde in einem Restaurant für ein Schnitzel bezahlen, das er zwar bestellt hat, das ihm aber nie gebracht wurde.

Kurzfristig gesehen sind die Kosten für die Firmen zwar überschaubar. In der Regel wird die liegen gebliebene Arbeit von Kollegen übernommen oder später nachgeholt. Langfristig bedeutet dies jedoch einen höheren Mitarbeiterstand, um die Ausfallszeiten zu kompensieren.

Es ist daher legitim, den Missbrauch von Krankenständen als zusätzlichen Urlaub zu bekämpfen. Und auch wenn es Arbeiterkammer und Gewerkschaften nicht wahrhaben wollen: Nicht jeder Arbeitnehmer ist ehrlich und pflichtbewusst. So grassieren beispielsweise unter Post-Mitarbeitern in den Weinbaugebieten während der Weinlese jedes Jahr ominöse Krankheitswellen, weshalb die Zahl der Krankenstände sprunghaft ansteigt. Und auch Listen, in denen die Krankenstände vorab eingetragen werden, sollen anderswo schon kursiert sein.

Dass Firmen und Krankenkassen bei Auffälligkeiten genauer nachschauen, ist daher nicht nur das Recht, sondern auch eine Pflicht gegenüber jenen Mitarbeitern, die nur daheimbleiben, wenn sie wirklich krank sind. Denn so wird dem Generalvorwurf vorgebeugt, jeder, der öfter krank wird, sei ein Tachinierer.

Besonderes Augenmerk sollte dabei auch auf jene Gruppe gelenkt werden, die in der Diskussion nur am Rande vorkommt: die Ärzte. So ist es ein unhaltbarer Zustand, wenn bei vielen praktischen Ärzten die Krankmeldungen von der Sprechstundenhilfe ausgefüllt werden – ohne dass der Arzt den Patienten je wirklich untersucht. Damit wird Sozialmissbrauch Tür und Tor geöffnet. Denn beim Krankenstand ist es wie bei jedem Sozialthema: Nur wenn jene, die Leistung bringen können, diese auch erbringen, können jene, die weniger Leistung bringen können, auch mitgetragen werden.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2012)

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