Sogar die »Hasenklasse« hoppelt schon 300 Meter

Sogar Hasenklasse hoppelt schon
Sogar Hasenklasse hoppelt schon(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Im Fahrwasser ihrer Eltern ziehen immer mehr Kinder die Laufschuhe an. Noch nie gab es so viele Kinderläufe wie heute - und noch nie so viele Teilnehmer.

Egal, wohin man blickt, man sieht das gleiche Bild: Der „Friedenslauf“ rund ums Wiener Rathaus war in diesem Jahr – im wahrsten Sinn des Wortes – überrannt. Und zwar vor allem von Kindern. Die Erwachsenen, die ebenfalls ihre Runden um das steinerne Herz der Wiener Stadtverwaltung drehten, fungierten in erster Linie als Mut- und Schrittmacher, als Trinkflaschenreicher oder laufende Kleiderbügel. Auf den „Kinderlauf“ am 2.Juni, der dem einen Tag später stattfindenden Frauenlauf vorgeschaltet ist, herrscht ein ähnlicher Andrang. Und der „Kinderburglauf“ in Maria Enzersdorf am 12.Mai ist für dieses Jahr bereits in manchen Klassen ausgebucht, mit der Rekordteilnehmerzahl von 1300 Nominierungen.

Rekorde sind auf diesem Gebiet derzeit allerdings nicht von langer Dauer. Noch nie gab es so viele laufbegeisterte Kinder wie heute, noch nie so viele „Kinderläufe“ und noch nie so viele Teilnehmer. Mittlerweile findet fast kein größerer Laufbewerb im Breitensport mehr ohne „Kinderlauf“ im Rahmenprogramm statt.


„Darf ich auch mit?“ Dieser Boom bestätigt alle Pädagogen, die die Vorbildwirkung der Eltern als wichtigsten Trumpf im Erziehungspoker beschwören. Denn die Laufbegeisterung der Kinder sei das direkte Resultat des Joggingbooms, der die westliche Gesellschaft schon seit einiger Zeit fest im Griff hat. „Wenn die Eltern auch laufen, macht das einen Riesenunterschied“, sagt Michael Buchleitner. „Viele Kinder fragen dann, ob sie auch einmal mitlaufen dürfen. Und schon ist der erste Schritt getan.“

Buchleitner feierte als Hindernis- und Langstreckenläufer internationale Erfolge und machte nach dem Ende seiner leistungssportlichen Karriere 2005 sein Hobby zum Beruf. Unter anderem organisiert er den Wachau-Marathon. Verheiratet ist er mit Ellen Kießling, die früher erfolgreich für die ehemalige DDR Mittelstrecken-Distanzen lief. Vor sechs Jahren übernahm Buchleitner-Kießling den Volkslauf rund um die Burg Liechtenstein in Maria Enzersdorf und funktionierte ihn in einen Kinderlauf um – mittlerweile die größte Kinderlaufveranstaltung Niederösterreichs. Mit elektronischer Zeitnehmung, Chips, Starter-Sackerl und Medaillen für alle Teilnehmer.


300 Meter beim Fangen spielen. Die Grenze ist dabei nach unten – fast – offen. Schon drei- bis vierjährige Kinder gehen an den Start. Manchmal als „Hasenklasse“ tituliert, hoppeln auch sie schon 200, 300 oder 400 Meter. Michael Buchleitner sieht darin überhaupt kein Problem. „Der Mensch ist zum Laufen geboren“, sagt er. „Wenn Eltern mit ihrem Kind fangen spielen, läuft ein Kind locker 300 Meter.“ Beim Kinderburglauf beträgt die Distanz für Siebenjährige 700 Meter, für Elfjährige 1400 Meter.

Dennoch muss man auch beim Kinderlaufen einiges beachten. „Wichtig ist, dass die Kinder Spaß und nicht die Eltern Ehrgeiz haben“, sagt die Sportwissenschaftlerin Karin Haußecker, die sich am Österreichischen Institut für Sportmedizin mit den Besonderheiten von Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Ebenso wichtig sei, dass der Wunsch zur Teilnahme an einem Lauf vom Kind selbst komme und es nicht von den Eltern einfach – und möglicherweise gegen seinen Willen – nominiert werde.

Wer Sorge hat, dass seine Kinder bei zu langen Distanzen auf der Strecke bleiben könnten, wird von Haußecker eines Besseren belehrt. Sie hält nämlich vor allem „zu kurze Distanzen“ für gefährlich: „Kinder produzieren bis zum Einsatz der Pubertät kein Laktat und kommen daher mit hohen Intensitäten nicht so gut zurecht.“ Daher sei es wichtig, die Kinder nicht mit vollem Tempo über längere Zeit laufen zu lassen. „Zehn Minuten sprinten schaffen sie nicht. Deshalb müssen auch Läufe über kurze Distanzen wie 300 oder 400 Meter gebremst und erst hundert Meter vor dem Ziel freigegeben werden“, sagt Haußecker. Beim Kinderburglauf übernimmt Michael Buchleitner diese Funktion: Er läuft bei allen Bewerben als menschliche Bremse vornweg.


Ausdauertraining erst ab zehn. Beim gemeinsamen Laufen mit ihren Kindern gehören Eltern allerdings nicht vor, sondern einen halben Meter hinter das Kind. „Damit läuft man keine Gefahr, dem Kind ein Tempo vorzugeben, bei dem es nicht wirklich mithalten kann“, sagt Buchleitner. Und wenn ein Kind stehen bleibt, sollte man es sofort gehen lassen. Der Laufexperte ist allerdings der Meinung, dass Kinder vor dem zehnten Lebensjahr überhaupt kein gezieltes Lauftraining brauchen. Dauerlauf sollte vor einem Alter von zwölf Jahren „kein Thema sein“: „Bis dahin reicht es, wenn Laufen Teil von Spaß und Spiel ist“, meint er.

Genau das möchten er und seine Frau allerdings unbedingt fördern. Nur ein Fünftel der österreichischen Kinder erfüllt die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation von mindestens einer Stunde körperlicher Aktivität am Tag. Deshalb organisiert Buchleitner dieses Jahr in Kooperation mit dem Land Niederösterreich bereits zum zweiten Mal die „Running Kids Days“, die Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren in den Sommerferien Gelegenheit geben sollen, den Spaß am Laufen zu entdecken. Aber so lange müssen laufhungrige Kinder gar nicht warten. Denn einen Kinderlauf findet man ohnehin an fast jedem Wochenende.

Los Geht's!

Laufen kann jedes Kind. Wichtig sind gutes Schuhwerk (nicht zu schwer, mit einer biegsamen Sohle), eventuell Sonnenschutz und genügend zu trinken, weil Kinder leicht überhitzen.

Eltern sollen hinter ihren Kindern laufen, um nicht Tempo zu machen. Richtiges Lauftraining (Ausdauer) ist erst ab zehn Jahren angesagt. Bei kürzeren Distanzen muss man vor allem kleinere Kinder bremsen, da sie sonst alles im Sprint rennen.

www.kinderburglauf.at; www.kinderlauf.at; www.wachaumarathon.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2012)

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