Doch, die Umwelt ist auch noch da, und besser geht es ihr nicht

Der WWF erinnert daran, dass wir bei der Lösung der langfristigen Probleme in den 20 Jahren seit der Rio-Konferenz wenig vorangekommen sind.

Mitten im Wanken der Ökonomien und in den Verwerfungen der Politik gibt es doch noch gute Nachrichten: Die Artenvielfalt auf der Nordhalbkugel hat sich seit den 1970er-Jahren um 30 Prozent erhöht, der World Wildlife Fund (WWF) berichtet es in seinem „Living Planet Report 2012“. Natürlich bilanziert er vor allem die Kehrseite – weltweit ist die Artenvielfalt um 30 Prozent zurückgegangen –, aber auch dem kann man etwas Gutes abgewinnen: Jemand zählt mit. Das ist keine Selbstverständlichkeit, Umwelt ist ein Luxusthema, das rasch von der Agenda verdrängt wird, wenn der Luxus bedroht ist und eine Finanzkrise die andere ablöst.

Deshalb hatte die Umwelt ihre hohe Zeit in den 1980er-Jahren und zu Beginn der 1990er, es war auch relativ friedlich auf der Erde, man konnte sich dem langfristigen Gedeihen zuwenden, der „Nachhaltigkeit“. In ihrem Namen versammelte sich die Welt 1992 zum Earth Summit in Rio, der Schutz der Biodiversität und der Wälder wurde beschlossen, auch der des Klimas, im Juni kommt das 20-Jahr-Jubiläum. Allzu viel zu feiern gibt es nicht: Die Übernutzung der Erde durch einen ihrer Bewohner ist weitergegangen, der WWF zeigt es mit dem „ökologischen Fußabdruck“: Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als wir haben, Tendenz steigend.

Auch das hat noch einen positiven Aspekt: Die wissenschaftlichen Instrumente zur Erfassung der Umweltbelastungen sind feiner geworden, ganz so alarmistisch wie früher geht es nicht mehr zu, mit der einen großen Ausnahme, auf die die „Umwelt“ verengt wurde: dem Klima. Da verbrennt immer noch die Erde, oder sie geht unter, weil die Gletscher schmelzen. Wahr ist daran, dass die Meere steigen – 1,8 Millimeter pro Jahr –, wahr ist allerdings auch, dass fast die Hälfte davon nicht von der Erwärmung kommt. Sondern von der Übernutzung des Grundwassers vor allem für die Landwirtschaft. Sie hebt die Meere auch.

In solchen Details steckt der Teufel der Umweltpolitik, große Worte wie die, der „Planet“ sei „kränker“ geworden, helfen nicht, auch wenn sie in dicken Lettern über dem WWF-Bericht stehen. Die Metaphern sind unpassend, die Erde ist kein Lebewesen, ihr ist es ganz gleich, wie viel Wasser oder Wald wir verbrauchen und wie viele Gifte und Abgase wir in die Umwelt kippen oder blasen. Der Natur ist es ebenso egal, sie rächt sich nicht, wir müssen schon damit leben, dass wir die sind, die handeln und die Verantwortung tragen, und zwar für uns alle (und den Planeten insgesamt, gleich, ob man damit die Schöpfung ehren oder sich schlicht nicht das eigene Grab schaufeln will).

Für uns alle? Dass es der Biodiversität im Norden gut geht, und dass dort die Umweltverschmutzung erträglich ist, hat schon damit zu tun, dass wir schmutzige Arbeit ausgelagert haben, in den Süden. Zum Dank sollen die Menschen dort für uns die Welt retten, etwa die großen Tiere erhalten, die Löwen und Elefanten, die die Bauern attackieren und ihre Ernten vernichten. Kommt bei uns nur ein Bär vom Süden her, helfen alle Mühen des WWF nichts, obwohl er tut, was er kann.


Das tut er auch beim Wald, dessen Vernichtung im Süden hat großen Raum im Bericht. Aber leben müssen die Menschen dort schon auch, und das konnten sie einmal, in großer Zahl: Amazonien etwa war lange kein Wald. Sondern, bis zur Invasion der Europäer, Feld und Garten, es ernährte viele, ganz anders als heute. Es könnte das vielleicht wieder bewerkstelligen, nachhaltig. Aber für uns ist der Regenwald heiliger Hain, mögen die im Süden in die Favelas ziehen!

So diffizil sind die Details, auch bei der Lösung unserer selbst erzeugten Probleme: Die Meere werden übernutzt, es gibt bald mehr Studien als Fische. Aber der Mensch ist findig, die Hälfte der Speisen aus dem Wasser kommt heute aus Aquakultur. Nur: Wenn Lachse oder Shrimps ein Kilo ansetzen sollen, müssen sie drei Kilo fressen: Fisch. Es ist also Vernichtung in großem Stil.

Wo man hinschaut, auf die Probleme oder die Abhilfe, helfen große Gesten und Patentlösungen nicht viel. Es bleibt die alte Weisheit Voltaires. „Das ist gut gesagt, recht gut“, führt Candide den weitschweifigen Pangloss zurück in die Mühen und Freuden des Alltags, „aber wir müssen den Garten bestellen.“

E-Mails an: juergen.langenbach@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2012)

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