Albert Camus' „Caligula“ fasziniert als atemberaubende Sprachoper

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Der Belgier Jan Lauwers erinnert mit einer drastischen Inszenierung an das Erfolgsstück des französischen Philosophen von 1944: Eine vitale Revitalisierung mit tollem Ensemble.

Das haben wir jetzt also auch gesehen: Der Kaiser zwingt eine Frau, es mit einem Pferd zu treiben. Nichts für schwache Nerven und zarte Seelen ist dieser Abend im Burgtheater-Kasino: Jan Lauwers, der mit seiner Needcompany international sehr erfolgreich ist, unternimmt nach der missglückten „Kunst der Unterhaltung“ im Akademietheater einen neuen Versuch, sich ins Repertoire-Theater einzuklinken, was diesmal deutlich besser funktioniert. Zu danken ist dies vor allem Cornelius Obonya, der seine vielfältigen Talente und Ausnahmequalitäten als Bösewicht für Albert Camus' „Caligula“ blühen lässt; rekordverdächtig, nach Kunststücken wie „Cordoba“ erschien kaum mehr eine Steigerung möglich. Bei diesem „Caligula“ stehen einem die Haare zu Berge und der Magen zieht sich zusammen. Vor diesem Ungeheuer müssen Shakespeare-Könige erbleichen.

Der als Sohn französischer Eltern in Algerien geborene Albert Camus (1913–1960) popularisierte in seinem kurzen Leben, das mit einem Autounfall endete, die Philosophie gemeinsam mit Jean Paul Sartre, was bis heute nachwirkt. Die beiden waren weit über Frankreich hinaus und auch außerhalb der Intellektuellenszene moralische Instanzen in einem Europa, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg entsetzt die Frage stellte: Wie konnte das geschehen? Was ist die Essenz, was ist die Existenz des Menschen, worin besteht seine Freiheit, was macht die Macht mit ihm? Um all diese Dinge geht es in „Caligula“, der in der Nachkriegszeit oft aufgeführt wurde; Camus hatte das Stück unter dem Eindruck Hitlers umgeschrieben und verschärft.

Maria Happel als wunderbare Caesonia

Nach dem Tod seiner geliebten Schwester Drusilla lebt Caligula schrankenlos seine Freiheit als Tyrann aus. Den echten Caligula ermordete nach nur vierjähriger Gewaltherrschaft die Prätorianergarde, eine militärische Formation. Der Theater-Caligula verspeist nach seinen Exzessen seelenruhig ein Schnitzel und macht womöglich weiter. „Die Menschen sterben, und sie sind nicht glücklich“, nach diesem Satz von Camus über Caligula hat Lauwers inszeniert. Der Terror, den der Herrscher verbreitet, spiegelt sich im Theater-Terror, der wiederum Sinnbild des Terrors ist, der in Büros und Staatskanzleien herrscht. Ein ständiges Sirren von Handys oder auch Überwachungsgeräten erfüllt die Luft, erzeugt Irritation, Störung. Eine lange Tafel erstreckt sich im weiten Raum des Kasinos unter einer Skulptur: ein goldenes Dreieck, gebildet aus Disken. Das Werfen eines antiken Diskus war ein Kraftakt. Hier fliegen hauptsächlich Schuhe und Plastikgeschirr.

Zu Beginn sieht man den rundlichen Hermann Scheidleder um die Tafel zappeln wie einen nervösen Zeremonienmeister vor einem wichtigen Bankett: Helicon, der Sklavensohn, der sich in die erste Reihe der Caligula-Untertanen vorgearbeitet hat, ist der treueste Diener seines Herrn, nur übertroffen von Caesonia, der mütterlichen Freundin und Geliebten des Kaisers, zu der dieser nach dem Tod Drusillas zurückkehrt. Helicon und Caesonia (wunderbar authentisch: Maria Happel) beherrschen das kleine und das große Einmaleins der Unterwerfung aus dem Effeff. Sie wissen in vorauseilendem Gehorsam genau, was der Chef will, sind als Einpeitscher, Muntermacher unterwegs. Die Patrizier zögern, sich damit vertraut zu machen, dass der junge Mann, den sie seiner Sanftmut wegen auf den Thron gehievt haben, zum Monster geworden ist. Zu dem an totalitäre Architektur erinnernden Dekor (Lauwers) trommelt Nicolas Field eine moderne Variante protziger Diktatorenmusik: „The Shimmering Beast“, übrigens auch ein Film über Männer in der Wildnis. Lauwers hat den Text eingedampft, statt fast zwei Dutzend sind nur acht Akteure auf der Bühne. Die Sprachoper, die hier Schlag auf Schlag abläuft, korrespondiert mit dem musikalischen Affekt. Camus' Text hat Substanz, die Dramaturgie aber ist ein wenig hölzern, altmodisch. Philosophische Spitzfindigkeiten erschließen sich nicht immer sofort in diesem hochgestochenen Diskurs. Die Inszenierung lässt alle Mängel vergessen.

Freund und Feind winden sich wie die Aale

Anfangs ist Caligula melancholisch, er wünscht sich den Mond. Doch rasch kippt er ins Extreme und steigert sich immer mehr in seiner Grausamkeit, speziell nachdem ihm klar wird, dass Innehalten keinen Sinn mehr hat, weil er schon zu viel Schuld auf sich geladen hat. Die Ratgeber, Freunde verbiegen sich immer heftiger in die verschiedensten Richtungen, Caligula holt sie jederzeit ein mit seiner rhetorischen Keule, mit der faktischen sowieso: Hans Petter Dahl als Scipio, wohl Caligulas und Camus' Alter Ego, André Meyer als Cherea, Falk Rockstroh als Lepidus steigen und fallen im Feuerregen der Schläge und Argumente Caligulas. Die schrecklichsten Opfer muss Octavia (Anneke Bonnema) bringen. Das Premierenpublikum applaudierte am Ende lange, vor allem dem fulminanten „Kaiser“ Obonya.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2012)

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