Ulrich Seidls Stück hängt etwas raus

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„Böse Buben / Fiese Männer“ ist ein kräftiges Drama über Verlierer. Die Sprache ist vulgär, aber in den besten Momenten rührt das menschliche Elend sogar.

Die Bühne von „Böse Buben/Fiese Männer“ vermittelt die Tristesse einer Schau des Schweizer Universalisten Christoph Marthaler: Ein Umkleideraum, eine Portiersloge, ein Verteilerkasten, die Stahltür zur Nasszelle – alles in grau. Duri Bischoff hat tatsächlich oft für Marthaler gearbeitet, hier aber stattet er Ulrich Seidls reines Männerstück aus. Unterirdisch ordinär, unglaublich traurig, doch auch fantastisch ist die Koproduktion der Wiener Festwochen mit den Münchner Kammerspielen, die am Dienstag im Theater Akzent uraufgeführt wurde.

Filmregisseur Seidl, der in diesem Jahr in Cannes mit „Paradies: Liebe“ Aufsehen erregte, hat bei seinem Ausflug ins Theater weitgehend darauf verzichtet, das schäbige Ambiente so wie Marthaler durch musikalische oder poetische Elemente der Schönheit zu konterkarieren. Bei ihm ist die Bühne grau, aber das Stück ist schwarz. Sieben böse Buben, alle zu fiesen Männer verkommen, agieren nach Motiven aus Erzählungen des genialen US-Autors David Foster Wallace, der von argen Depressionen geplagt wurde und daraus 2008 die radikalste Konsequenz zog. Er schied freiwillig aus dem Leben.

Exodus des Premieren-Publikums

So weit sind die Protagonisten des Seidl-Stückes noch nicht, aber sie haben Grund zur Seelenpein. Wir befinden uns hier in dieser von Neonlicht erhellten strengen Kammer in einem Milieu Gescheiterter, denen der Beutel näher ist als der Rock. Frauen? Fantasiegebilde aus Pornoheften. Liebe? Kurzfristig, schmerzhaft. Begehren? Dominant.

Der Striptease, den Seidl seine Darsteller vollführen lässt, ist gnadenlos. Die Sprache, bei Wallace ein Kunstwerk der Trivialität des Bösen, ist in diesem Mix vorwiegend vulgär, so schmerzhaft offenbar für zirka 50 Zuseher, dass sie die distanzlose Schau frühzeitig verlassen. Die Körper der Darsteller wirken so gewöhnlich wie ihre Unterwäsche. Die Situationen sind meist erniedrigend. Und doch entstehen bei diesen Generalbeichten Spuren von Poesie. Sie klingen authentisch.

Seidl bietet eine interessante Reihe von Charakteren mit zum Teil wirklich komischen Geschichten, etwa jener, die bei Wallace am Beginn der Interviews steht: Kraftprotz Michael Thomas hat nur One-Night-Stands, weil er beim Höhepunkt immer „Sieg der Kräfte der Sozialistischen Partei Österreichs“ brüllt. Das kommt nicht immer gut, aber am schlimmsten sind für ihn jene Frauen, die sich dann verständnisvoll geben.

Sex mit der Tante und ihrer Tochter

Neben arrivierten Darstellern wie Lars Rudolph als einarmige Mischung aus grimmigem Portier und sadistischem Trainer sind auch engagierte Laien im Einsatz. René Rupnik etwa kennt man aus aberwitzigen Dokumentarfilmen des Regisseurs. Die übrigen nehmen Aufstellung, einige fassen sich an der Rampe provokant an die Genitalien, mustern das Publikum, da beginnt Rupnik mit seinem wilden Rap aus historischem Halbwissen und Proleten-Porno.

Von Sex-Eskapaden viriler französischer Könige und debiler Habsburger geht es über zu Cunnilingus-Erlebnissen des jungen Erzählers mit der Tante, ersten Penetrationsversuchen bei deren Tochter und dem Geständnis, dass nichts mehr gehe, wenn er eine Frau gewohnt sei, nach zwei oder drei Monaten. Sein Verdacht, der ihn sozusagen generell entlastet: „Die Frauen haben eine Vorliebe fürs Grausliche.“ Er spricht es aber aus. Seine Drastik kann sich mit Monologen in einfachen Lokalen jenseits des Gürtels messen. Vor Damen sollte man nicht so reden – wenigstens nicht in Gesellschaft.

Bei Seidl lassen die Fiesen alles raus, sogar wörtlich. Nabil Saleh, der Mann aus dem Orient, der seit 30 Jahren in Österreich lebt, kann sich gar nicht einkriegen, wenn er mit seinen Steherqualitäten prahlt. 22 Zentimeter. Beschnitten. Der Sex-Gastarbeiter wird, nachdem er die Willigkeit Wiener Weiber als Hauptmotiv für seinen Zuzug angegeben hat, von den Mitspielern in einen Plastiksack verpackt und aus dem Raum geschleppt.

Das ist nicht konsequent, denn gleich steht er wieder auf der Bühne. Die Ausländerproblematik wirkt hier deplatziert, so wie der lange Monolog, in dem Wolfgang Pregler am Ende den Holocaust-Überlebenden Viktor Frankl anführt, um krause Gedankenspiele über Missbrauch und seine Opfer anzustellen. Aber der Rest ist kräftiges Volkstheater. Einer der Höhepunkte: Georg Friedrich gibt seine sadistischen Neigungen preis. Er wolle doch nur spielen, und die Fesseln für die willigen Damen, die ja immer Nein sagen dürften, seien eh aus Satin, aus schwarzem. Ähnlich intensiv, zwischen rührend und abscheulich schwankend, ist es, wenn der Einarmige seine Eroberungsstrategien enthüllt.

In der dunklen Gasse des Versagens

Die Aufführung mutet pausenlose 160 Minuten zu, mit einigen Hängern, soweit sich das bei der improvisiert wirkenden Spielweise vermuten lässt. Seidl hat den Wienern aufs Maul geschaut. So reden die wirklich, wenn sie, für gewöhnlich unter Alkoholeinfluss, über den Unterleib als Zeitvertreib nachdenken. Er lässt sie zwischen Monologen „Kein schöner Land“ oder schmutzige Couplets singen, turnen, Bier trinken, Präservative aufblasen, kollektiv Gliedmaßen zu Hakenkreuzen formen oder einzelne Glieder entblößen. Das alles ist geschickt, mit dramaturgischem Gespür abgestimmt. Und schonungslos: „Ich denke immer was, wenn ich nicht kann“, sagt Michael Tregor, der einen Typ mit Potenzproblem gibt. Er offenbart, wie groß sein Aggressionspotenzial ist. Solchen Versagern möchte man auf keinen Fall in einer dunklen Gasse begegnen. Selbst wenn sie am Schluss sentimental „Guten Abend, gut' Nacht“ anstimmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2012)

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