Bankenunion: Das Schweigen der Melkkühe

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9200 Euro hat jeder EU-Bürger schon für Bankenrettungen "abgedrückt". Damit muss Schluss sein: Gescheiterte Institute gehören "abgewickelt" nicht gerettet.

Mit dem Wirtschaftswissen ist es in Österreich nicht weit her, hat uns erst kürzlich wieder eine Studie bescheinigt. Man kann den Leuten also gefahrlos wiederholt den Unsinn erzählen, mögliche Kreditausfälle seien für Banken kein Problem, solange die Kredite „durch Spareinlagen gedeckt“ seien – ohne dass ein kollektiver Schrei nach der Bilanzpolizei erschallt. (Denn die müsste wohl einschreiten, wenn jemand ernsthaft versuchen wollte, Kreditabschreibungen gegen Spareinlagen statt gegen das Eigenkapital zu verbuchen).

Man kann auch unwidersprochen (und ohne dass einem der Expertenstatus aberkannt wird) behaupten, dass künftige Risken in Osteuropa keine Gefahr seien, weil die Banken ja „Gewinne machen“. Ohne dass jemand einwendet, dass beispielsweise auch die Investmentbank Lehman Brothers in den Jahren vor 2008 (als ihre Pleite fast das gesamte Weltfinanzsystem versenkte) in ihren Bilanzen Gewinne auswies. Und zwar steigende. Was dieses Stabilitätskriterium doch etwas relativieren sollte.

Und man kann, wie das EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier vor Kurzem getan hat, so nebenbei erwähnen, dass die europäischen Steuerzahler von 2008 bis 2011 schon 4500 Mrd. Euro an Rettungshilfen in das EU-Bankensystem gebuttert haben – ohne dass eine Revolution losbricht. Was beweist, dass der abgestumpfte Umgang mit Wirtschaftsmeldungen kein rein österreichisches Phänomen ist.

4500 Milliarden, die mit der Spanien-Hilfe jetzt auf 4600 ansteigen: Das sind rund 9200 Euro pro EU-Bürger (bezogen auf die EU27) oder, ein bisschen polemischer, 36.800 Euro pro vierköpfiger Familie. Eine Durchschnittsfamilie hat also bisher ein mittelprächtiges Jahres-Familieneinkommen dafür aufgewendet, europäische Banken zu „retten“. Besser gesagt: Sie hat unfreiwillig die Haftung für die Aufnahme der entsprechenden Schulden durch ihre Regierungen übernommen.

Und was hat sie für diesen Batzen Geld bekommen? Genau genommen: nichts. Das Bankensystem ist instabiler als zu Beginn der Krise und es wird wohl noch die eine oder andere Billion fließen, bevor die Bankpaläste europaweit wieder auf festem Grund stehen.

Insofern ist es – spät aber doch – ein Hoffnungsschimmer, dass sich die EU endlich, im Jahr vier der Finanzkrise, Gedanken über die Stabilisierung des Sektors zu machen beginnt, die über unkontrolliertes Geldschütten hinausgehen. Nur: Was uns unter dem Titel „Bankenunion“ jetzt untergejubelt werden soll – etwa ein europaweiter Bankensicherungsfonds und eine europaweite Einlagensicherung – läuft ja erst wieder in Richtung Vergemeinschaftung des Risikos. Und das ist der verkehrte Weg.

Die Branchenkrise ist nur zu lösen, wenn auch in der Finanzwirtschaft endlich wieder das marktwirtschaftliche Prinzip des Risikos eingeführt wird. Das heißt, dass Manager und Institute für eingegangene überzogene Risken geradezustehen haben. Und nicht, wie jetzt, die offenbar unbegrenzt melkbaren Steuerzahler.

Konkret: Ohne brauchbares Bankeninsolvenzrecht lässt sich eine gesunde Basis für die Finanzwirtschaft nicht wieder herstellen. Statt über weitere Risken-Vergemeinschaftung (die unweigerlich zu weiteren Milliardenhilfen führt) nachzudenken, sollten sich die EU-Kapazunder lieber intensiv mit der Frage beschäftigen, wie man die Kunden von Banken, die sich vergaloppiert haben und deshalb zurecht vor dem Insolvenzrichter landen, vor dem Ruin bewahren kann.

Die jetzigen Pläne für diese Bankenunion sehen ein wenig danach aus, als wollte man einen mit Geschwüren übersäten Kranken kurieren, indem man ihm immer dickere (Geld-)Pflaster auf die Wunden klebt. Statt diese Wunden fachgerecht zu heilen.

Wir haben das Problem ja auch hierzulande: In einem überbesetzten Markt, in dem ihr Fehlen wirklich keinem auffallen würde, müssen wir aus Steuergeldern die gescheiterten Institute Hypo Alpe Adria, Kommunalkredit (bzw. deren „Bad Bank“) und ÖVAG auf Regimentsunkosten weiterschleppen. Demnächst wird die Hypo den österreichischen Bürgern zehn Milliarden Euro an schwer abbaubaren Risken umhängen, von denen wir jedenfalls mehr als die Hälfte als Defizit im Budget wiederfinden werden.

Damit muss jetzt Schluss sein: In einem marktwirtschaftlichen System können nicht ausgerechnet die Banken von wesentlichen marktwirtschaftlichen Mechanismen ausgenommen werden.


E-Mails: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2012)

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