50.000 „Weltenretter“ versammeln sich in Rio

Members of different religions protest against Iranian President Mahmoud Ahmadinejad in Rio de Janeiro
Members of different religions protest against Iranian President Mahmoud Ahmadinejad in Rio de JaneiroREUTERS
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Rio+20, die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung, hat sich viel vorgenommen, um die Welt in eine gute Richtung zu lenken. Es soll mehr dabei herauskommen als Vertröstungen auf die nächste Großkonferenz.

Alarmierend und polarisierend, inspirierend und ergebnisorientiert: Rio+20, die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung, die von 20. bis 22. Juni in Rio de Janeiro stattfindet, schafft neue Formen des Dialogs zwischen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft und verspricht zukunftsweisende Ergebnisse. In welche Richtung diese Ergebnisse gehen werden, wird sich in den nächsten Tagen zeigen.

Rio+20 steht für 20 vergangene Jahre seit der richtungsweisenden Konferenz in Rio de Janeiro im Jahr 1992, und 40 Jahre seit der ersten UN-Konferenz in Stockholm, in deren Blickpunkt das Zusammenleben von Mensch und Umwelt stand (United Nations Conference on the Human Environment). Rio+20 zieht somit ein Resümee aus dem bisher Erreichten und Versäumten, will jedoch auch klare Ziele für die Zukunft vorgeben.

Zwischen Bilanz und Vision

Um diesen Spagat zwischen Bilanz und Vision zu schaffen, treffen sich über 50.000 Menschen aus der ganzen Welt im größten Konferenzzentrum Südamerikas – im zähen Verkehr etwa 1,5 Busstunden vom berühmten Strand der Copacabana entfernt.

Das Ergebnisdokument für Rio+20 hat den Titel „The Future We Want“. Das Dokument umfasst in der bisherigen Fassung über 80 Seiten und beschreibt Verantwortlichkeiten, Ziele und Umsetzungsmöglichkeiten wie auch institutionelle Maßnahmen zur Festigung der Themen in der politischen Agenda. Dabei werden sämtliche Akteursgruppen angesprochen.

Es finden sich darin Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Bildungssystems ebenso wie Richtlinien zum Schutz der Umwelt, zur Bekämpfung der Armut und zur Beteiligung der Zivilgesellschaft.

Dieses wird das zentrale Dokument der Konferenz darstellen. Da dies jedoch nicht innerhalb von drei Tagen zu entwickeln ist, arbeitet die UNO mit Unterstützung der Mitgliedstaaten und Expertengruppen bereits seit etwa einem halben Jahr daran. In zwei Vorbereitungstreffen wurden alle Textbausteine zusammengebracht und in einem politischen Diskurs akkordiert. Ein drittes Vorbereitungstreffen findet gerade in Rio statt. In einer Woche soll das Dokument dann beschlossen werden. Österreich akkordiert seine Interessen dabei mit der Europäischen Delegation, somit kann in den jeweiligen Arbeitsgruppen ein Experte jeweils im Namen der EU sprechen.

Die größte Konferenz der UNO

Mit 50.000 Teilnehmern ist dies die bisher größte UN-Konferenz überhaupt. Wenn man sich diesen Aufmarsch aus der ganzen Welt vor Augen führt, mögen bei manchen Zweifel aufkommen: Könnten die hier anfallenden Kosten nicht für andere Zwecke sinnvoll verwendet werden? Welchen Einfluss haben all die Reisen nach Rio eigentlich auf die Umwelt?

Diesen Zweiflern ist kaum zu widersprechen. Ihnen kann lediglich geantwortet werden, dass es für globale Herausforderungen eben den globalen Dialog braucht.

Zugleich bietet die Konferenz eine vielleicht letzte Chance (Stichwort: Kopenhagen 2009), nachhaltige Entwicklung als Zukunftsleitbild zu etablieren, in all ihren Facetten zu betrachten und zu diskutieren sowie nicht zuletzt Lösungen für globale Herausforderungen zu entwickeln.

Dies zeigt sich besonders durch die sogenannten „Side-Events“, die aber – anders als der Name sagt – ein ganz wesentliches Standbein der Konferenz darstellen. Neben der Hauptkonferenz mit Delegierten der UN-Mitgliedstaaten finden bereits im Vorfeld und begleitend etwa 500 Nebenveranstaltungen statt, die die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft und Wirtschaft zusammenbringen, um Lösungen zu suchen und vorzubereiten. Während von politischen und diplomatischen Vertretern das Dokument „The Future We Want“ in die Endfassung gebracht wird und die getroffenen Vereinbarungen in den ersten Entwürfen wohl teils etwas verwässert, teils konkretisiert werden, werden bei den Nebenveranstaltungen thematische Lösungen zu globalen Herausforderungen präsentiert, diskutiert und neue Allianzen zur Kooperation gebildet.

Die Gesellschaft nimmt dabei das Ruder selbst in die Hand, versucht, politische Meinungen und zivilgesellschaftliche Dialoge zu beeinflussen. Sie entwirft gleichzeitig ihre eigenen Zielvorgaben und Vereinbarungen, bildet Allianzen oder initiiert global aufgestellte Projekte, um nachhaltige Entwicklung zu fördern.

„Grüne Wirtschaft“

Eine weitere Möglichkeit für die Öffentlichkeit, sich in Rio einzubringen und die Abläufe der Konferenz zu verfolgen, gibt es durch die „Rio+20 Dialogues“ und ein Online-Abstimmungsportal – „Vote for The Future We Want“, durch welches jedermann mit Zugang zum Internet seine Prioritäten mitteilen kann.

Rio+20 schafft es somit, beste Voraussetzungen zu schaffen, um neben der politischen Agenda die zivilgesellschaftlichen Interessen einzubinden und zu berücksichtigen. Der Titel der Konferenz „Green Economy“ im Kontext der nachhaltigen Entwicklung und Armutsbekämpfung stellt dabei den roten Faden dar, der sich durch sämtliche Veranstaltungen zieht.

Da die Wirtschaft dabei auch direkt angesprochen wird, sind die Erwartungen gerade in ökonomischen Krisenzeiten hoch angesetzt. Um geografische Ausweichmanöver zu vermeiden, sind auch hier nur globale Vereinbarungen sinnvoll.

Ehrgeizige Vorgaben

Dementsprechend braucht es klare Richtlinien für die Gestaltung der „Green Economy“, die nicht als eine rein grüne Wirtschaft im Sinne der Umwelt missverstanden werden darf, sondern die ganzheitlich betrachtet werden muss. Dies nach den Vorgaben des UN-Umweltprogramms (Unep), das die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschheit anstrebt, die gesellschaftliche Gleichstellung sicherstellen und zugleich Umweltrisken minimieren sowie ökologische Vielfalt fördern will.

Die kommende Woche kann somit höchst spannend werden. Schafft es die Konferenz, ein Ergebnis auf die Beine zu stellen, das auch die Politik in die Verantwortung nimmt und das ohne Vertröstungen auf die Ergebnisse zukünftiger Großkonferenzen auskommt? Wie werden die Ergebnisse der Nebenveranstaltungen und Dialogveranstaltungen in den finalen Vereinbarungen und Plänen für künftige Aktivitäten berücksichtigt?

Letztlich muss das Momentum der Konferenz erhalten und in die Welt getragen werden. Es gilt, durch eine transformative Entwicklung und damit unter starker Beteiligung betroffener Akteure nachhaltige Entwicklung in das Bewusstsein der Bevölkerung, Politik und Unternehmen zu bringen.

Denn die Vergangenheit zeigt schon lange genug: Wissen allein reicht nicht aus – in der Handlung liegt die Kraft.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor

Clemens Mader ist Gastprofessor für Umwelt und Nachhaltigkeit in der Region an der
Leuphana Universität Lüneburg und Vizepräsident der Copernicus Alliance, des Europäischen
Hochschulnetzwerks für Nachhaltige Entwicklung. In Rio ist
er Delegierter des Österreichischen Wissenschaftsministeriums. [Brinkhoff-Mögenburg/Leuphana]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2012)

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