"Ballett ist mehr als Leistungssport"

An der Ballettschule der Staatsoper bekommen Kinder eine umfassende körperliche und erzieherische Ausbildung. Auch am Konservatorium der Stadt Wien weiß man, dass Tanzen mehr ist als Bewegung.

„Jedes Kind kann tanzen – aber nicht jedes Kind kann Ballett tanzen.“ Die rumänische Tänzerin und Tanzpädagogin Simona Noja spricht aus, was manche hoffnungsvolle junge Anwärter (oder auch deren Eltern) gar nicht gerne hören. Als Direktorin der Ballettschule der Wiener Staatsoper hütet sie den beim Vortanzen ausgesiebten Nachwuchs (derzeit 125 Kinder), verstärkt von einem Lehrerteam – und unterstützt von einer Gouvernante, die sich um das Wohlergehen der Kinder außerhalb des Unterrichts kümmert und im Falle von Blessuren auch mal mit zum Arzt fährt.

Um als Tänzer erfolgreich zu sein, brauchen die Kinder nicht nur „ganz besondere körperliche Fähigkeiten“, meint Noja. „Der Körper ist zwar Voraussetzung – aber nicht alles.“ Es brauche auch „eine Begabung für Bewegung und Musikalität“, ein „Gefühl für den inneren und musikalischen Rhythmus“, ein visuelles Gedächtnis und „die Intelligenz, das alles in kürzester Zeit zu verarbeiten“.


„Balletttänzer sind sehr intelligent.“ Ballett sei „mehr als Leistungssport“, es habe auch eine emotionale, psychische und künstlerische Seite und biete „ein riesiges Spektrum an Herausforderungen“, die man schon in jungen Jahren zu meistern habe. „Ein Schauspieler gelangt mit 25, 30 Jahren zur Reife. Tänzer müssen das viel früher bewältigen.“ Das sei auch der „Grund, warum Balletttänzer überdurchschnittlich intelligente Menschen sind“, sagt Noja. Das sei durch eine Studie belegt.

Neben Disziplin und diversen Tanzstilen (von klassisch über neoklassisch bis zeitgenössisch) lernen die Kinder auch gutes Benehmen und gehen zusätzlich zum intensiven Training in eine der beiden Schulen, mit denen die Ballettschule kooperiert und wo auch die Möglichkeit einer Unterbringung im Internat besteht. „Unser Hauptziel ist, dass die Kinder nach acht Jahren wettbewerbsfähig sind zum Vortanzen bei großen Compagnien.“ Denn nur ganz wenige werden an die Staatsoper engagiert, wo der internationale Konkurrenzdruck bei den Auditions sehr groß ist. Heuer haben es zwei Schüler geschafft: Natascha Mair und Marian Furnica werden ab Herbst im Corps de ballet tanzen.

Manche wollen oder können dann aber keine Tänzerkarriere machen, sondern studieren oder schlagen einen anderen beruflichen Weg ein. Noja ist überzeugt, dass sie dennoch von der Ausbildung profitieren: „Ein solches Bühnenpraktikum schon in ganz jungen Jahren zu absolvieren, das ermöglicht einem eine andere Startposition im Leben.“ Zwar ist die Aufnahmeprüfung für das kommende Schuljahr längst gelaufen – aber es gibt bis zuletzt die Möglichkeit für ein individuelles Vortanzen: „Wenn wir noch Platz in einer Klasse haben, dann gern.“

Im „Wind des Berufslebens“. Auch das Konservatorium der Stadt Wien bildet Tänzer aus. Seit man sich vom Anspruch verabschiedet habe, Nachwuchs für die Staatsoper zu formen, sei man nun „gut unterwegs“, freut sich der Leiter der Abteilung Tanz, Nikolaus Selimov. An seinem Institut haben einige der zeitgenössischen Performer und Choreografen studiert – von Saskia Hölbling über Doris Stelzer bis Doris Uhlich. Etwa 140 Studierende (von den Zehnjährigen bis zu den Bachelor-Studenten) widmen sich an der Privatuniversität nicht nur der Praxis in zeitgenössischem und klassischem Tanz, sondern auch der Tanzpädagogik oder – wie zum Beispiel im Falle des Masterstudiums „Social Design“ (in Kooperation mit der Angewandten) – interdisziplinären Projekten. Es sei nicht mehr sinnvoll, sich nur einer Sparte zu widmen, ist Selimov überzeugt: „Nehmen wir zum Beispiel die Festwochen: Da ist neunzig Prozent Crossover.“

„Ich versuche, viele Kooperationen mit Gastlehrern zu haben. Der Wind des Berufslebens soll kräftig bei der Tür hereinwehen.“ Im Gegensatz zur Staatsopern-Ballettschule (wo nur Kosten für Gewand bzw. für das Internat anfallen) ist das Konservatorium kostenpflichtig: Die 300 Euro pro Semester könne man sich aber durch diverse Preise, die mit Hilfe von Sponsoren immer wieder ausgeschrieben werden, auch wieder verdienen, so Selimov.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2012)

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