Was sagt der Brief über Natascha?

Gerichtspsychiater Reinhard Haller analysiert im Interview den öffentlichen Appell.

Die Presse: Was ist Ihr erster Eindruck von dem Brief, den Natascha Kampusch an die Öffentlichkeit gerichtet hat?

Reinhard Haller: Ich glaube nicht, dass sie ihn allein geschrieben hat. Der Brief wirkt uneinheitlich - da gibt es einerseits kindliche Ausdrücke, andererseits psychotherapeutische wie dass "voyeuristische Grenzen überschritten wurden". Das wurde gemeinsam formuliert. Aber das ist ja nichts Schlimmes.

Inhaltlich ist der Absatz über die Beziehung zum Täter markant.

Haller: Man muss sich hüten, die Beziehung schwarz-weiß zu sehen. Sie drückt die Ambivalenz ja auch gut aus. Die Formulierung "er hat mich auf Händen getragen und mit Füßen getreten" - von der ich aber nicht glaube, dass sie von ihr stammt - deutet auf einen gespaltenen, narzisstischen Täter hin. Die Vielfältigkeit der Beziehung, die so schwierig auszudrücken ist, ist wohl mit ein Grund, warum sie so viel Wert auf den Schutz ihrer Intimsphäre legt.

Zur Intimsphäre gehört auch ihr Gefängnis?

Haller: In acht Jahren wird das trotz allem zum Nest. Das kennt man von Leuten, die nach langjährigen Gefängnisstrafen entlassen wurden.

Als Laie sagt man: Der Ton des Briefs ist selbstbewusst, kämpferisch.

Haller: Wenn Natascha das Verhältnis positiv darstellt, tut sie das auch, um ihren Lebenswillen zu demonstrieren. Wenn sie es selbst so geschrieben hat, dann wäre das bemerkenswert selbstbewusst und souverän. Zum Beispiel, wenn sie in diesem Schlamassel auch die positiven Seiten sieht und großes Verständnis ausdrückt. Ich nehme aber auch an, dass die therapeutischen Gespräche derzeit in diese Richtung laufen.

Glauben Sie, dass sie so stark ist wie sie klingt?

Haller: Nein. Aber, selbst wenn sie es nur in Grundzügen so formuliert hat, klingt das nach einem relativ gesunden Ich und so als ob sie relativ wenige sehr schwer traumatische Folgen hat.

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