Bildung

Mathematik soll Lust machen dürfen

(c) Marin Goleminov
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Mathematik gilt Unbegabten als Angstfach. Die Begabten aber langweilen sich. Und die Wirtschaft sucht mehr gute Mathematiker als sie findet. Rektor Alfred Pritz skizziert einen Ausweg.

Händeringend werden sie gesucht, die Mint-Absolventen. Also Absolventen von HTL, FH und Universitäten, die in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften bzw. Technik ausgebildet wurden. Fachkräftemangel ist das entsprechende Schlagwort, das wohl noch länger Thema bleiben wird. Sofern sich am System nichts ändert.

Es gibt sie nämlich, die mathematische Begabung, das zeigen mehrere Studien. So wie es auch sprachliche oder musikalische Begabung gibt. Wobei Begabung nicht als eine Konstante oder etwas Vorbestimmtes, sondern als Leistungspotenzial und damit als ein Prozess zu sehen ist.

„Zehn bis 15 Prozent der Menschen haben eine mathematische Begabung“, sagt Alfred Pritz, Rektor der Siegmund-Freud-Privatuniversität Wien. Um über diese Gruppe hinaus junge Menschen für Mathematik und in der Folge für Mint-Fächer zu begeistern, „braucht es einen anderen Mathematik-Unterricht“. Mit seiner Kritik am aktuellen Schulsystem hält Pritz nicht zurück. Es sei eher „eine Unterwerfung der Schüler“ und weniger der Versuch, Mathematik mit Freude zu vermitteln. „Das macht keine Lust, die Strukturen zu verstehen.“ Und die Begabten blieben gleichzeitig unterfordert. Derzeit aber habe er den Eindruck, dass Mathematik ein „Angstfach bleiben und kein Lustfach werden soll“. So jedenfalls finde man keine Genies.

„Die Fragen müssen reizen“

Seine Alternative: Zunächst sollten basale Elemente wie die Grundrechnungsarten und etwa die Prozentrechnung vermittelt werden. Das würde für den Alltag meist reichen – im Übrigen auch für jenen von Akademikern. Und: Nach der dritten Klasse Gymnasium sollte Mathematik ein Freifach werden. Eines, für das sich Schüler freiwillig entscheiden, und zwar – das ist der springende Punkt – nicht nur die Begabten. Die Lehrer sollten ihr Programm vorstellen und die Lust an diesem Fach und an der „Magie des Zahlenraumes“ vermitteln. „Es soll Spaß machen, die Fragen müssen reizen, müssen eine Bedeutung haben.“ Und, sagt Pritz, Menschen zu begeistern, sei ja auch für Professoren attraktiver.

Natürlich liege dann ein Teil der Verantwortung,gut zu wählen, auch bei den Schülern. Doch das, was sie wählten, würden sie mit großem Eifer verfolgen.

Pritz betont die Qualität des „learning on the job“ und erzählt eine Anekdote aus seinem Leben: Als Psychologiestudent habe er Statistik lernen müssen. Diese habe aber „keine Bedeutung für mich“ gehabt. Später als junger Forscher musste er anhand konkreter Fragestellungen sehr rasch das Statistikwissen erwerben, um seine Forschungen umsetzen zu können. Das ging sehr schnell, weil er von und mit Statistikern lernte. Und so sei es im Alltag: Die einzelnen Disziplinen seien so spezifisch, dass man mit den jeweiligen Fachleuten zusammenarbeiten müsse.

„Prüfungen sollen Anreiz sein“

Dieses Wissenwollen sei wichtig für die Freude an der Arbeit. Diese lohnt es sich übrigens immer wieder auch zu hinterfragen: Was ist der Zweck, was ist das Ziel meines Tuns? Was treibt mich an? Worüber freue ich mich in Zusammenhang mit meiner Arbeit? Worauf bin ich stolz? Was würde der Welt fehlen, wenn ich meiner Arbeit nicht nachginge?

Und noch etwas sei entscheidend (bzw. derzeit ein Hemmschuh), um das Lernen attraktiver zu machen und den Wissensdrang nicht zu blockieren: „Prüfungen sollen ein Anreiz sein“, sagt er. Das sei heute selten der Fall.

ZUR PERSON

Alfred Pritz ist Psychologe und Psychotherapeut, engagiert sich in der Forschung und war 1986 wesentlich am Zustandekommen des Psychotherapie-Gesetzes beteiligt. Er war Mitglied des Gründungskomitees der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien und ist seit 2005 deren Rektor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2018)

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