"Colette", zum Schreiben eingesperrt

Keira Knightley bleibt ungerührt angesichts der wilden Geschichte von Sidonie-Gabrielle Colette.
Keira Knightley bleibt ungerührt angesichts der wilden Geschichte von Sidonie-Gabrielle Colette.(c) Filmladen
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Der Film „Colette“ über die legendäre französische Autorin funktioniert gut als weibliche Befreiungsgeschichte. Ihre Literatur wurde kurioserweise gar nicht beachtet.

Wie fühlt sich ein Mensch, der Jahr um Jahr von der Society bejubelte Romane schreibt, Romane, die Moden kreieren und sogar zum Signum einer Epoche erklärt werden – wenn der eigene Partner sich als Autor dieser Bücher feiern lässt? Die französische Autorin Colette schrieb Ende des 19. Jahrhunderts in Paris mehrere „Claudine“-Romane – als Ghostwriterin für ihren Ehemann, einen Journalisten und Lebemann. Erst nach der Trennung von ihrem Mann hatte sie unter ihrem eigenen Namen Erfolg, und auch ihr Leben wurde legendär.Sie lebte einige Jahre mit der Männerkleider tragenden Künstlerin Mathilde de Morny zusammen, deren Vater ein Halbbruder Napoleons und deren Großvater mütterlicherseits möglicherweise der letzte russische Zar war.

Der US-Regisseur Wash Westmoreland (mit Ko-Autor Richard Glatzer drehte er zuvor etwa „Still Alice“) zeigt die Lebensgeschichte der Sidonie-Gabrielle Colette als Befreiungsgeschichte eines Landmädchens aus gesellschaftlichen Konventionen und patriarchalischen Zwängen; und er lässt sie vorzeitig enden, mit einem lesbischen Liebes-Happy-End. Eine neue Legende also über eine Frau, deren Leben und Schreiben schon so viele Legenden erzeugt haben.Die baldige Trennung von Colette und Mathilde wird ebenso wenig erzählt wie Colettes weitere Schriftstellerinnenkarriere.

Kein purer Bösewicht

Aber dieses Ende ist nur folgerichtig für diesen zylinderreichen Kostümfilm aus den Salons der Belle Époque, gespickt mit Landhausidylle. An ihm kann man entweder genießen oder bemängeln, dass alles so schön zusammenpasst. Nicht, dass es keine Zwischentöne gäbe: Dominic West (bekannt etwa aus der preisgekrönten US-Serie „The Affair“) spielt Colettes Ehemann Willy nicht als puren Bösewicht. In dieser Beziehung gibt es viel Liebe, viel Begehren, außerdem bildet das Paar eine Zeitlang zweifellos eine erfolgreiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessengemeinschaft.

Dass Willy Colette zum Schreiben einsperrt, wenn die von ihm vereinbarte Lieferfrist naht, nimmt sie zunächst sogar zornig in Kauf. Willy liebt in Colette auch zunehmend ihr literarisches Alter Ego, Claudine. Einmal will er, dass sie sich anzieht wie diese, es erregt ihn. Colette und Claudine, beides sind seine Geschöpfe. Immerhin, Colette ist „an der langen Leine“, heißt es einmal. Sie darf Verhältnisse zu anderen Frauen haben (zu Männern nicht) – während ihr Mann sie mit einer nach der anderen betrügt. Erst allmählich wird Colette bewusst, wie sehr sie missbraucht wird. Er schenkt ihr ein Landhaus – und verkauft es wieder, sobald er Geld braucht. Nach einem Streit kauft er sämtliche Rechte für die „Claudine“-Romane, die sie verfasst hat.

Die Contenance, die Keira Knightley bei alledem wahrt, ist verwunderlich. Sie ist die passende Hauptdarstellerin für diese schöne, aber allzu glatte Emanzipationsgeschichte, ihre Palette an Gefühlsausdrücken ist eher begrenzt. Sie lässt Gefühle erkennen, doch nie so sehr, dass ihr perfektes Gesicht darunter leiden würde. Vielleicht am leidenschaftlichsten zeigt sie sich bei einem beeindruckenden pantomimischen Tanz mit Mathilde im Moulin Rouge.

Den Feminismus hat Colette schon ihre Mutter in die Wiege gelegt. Sie liefert ihr starke Sprüche wie: „Niemand kann dir nehmen, was du bist. Du bist zu stark dafür.“ Oder, als Colette sagt, sie müsse sich halt an die Ehe gewöhnen: „Die Ehe sollte sich an dich gewöhnen.“ Umso erstaunlicher, wie ungerührt Keira Knightley angesichts dieser eigentlich wilden Geschichte wirkt. Da gibt es keinen Wutanfall, keinen Verzweiflungsausbruch. Ist Colette wirklich so duldsam, so liebend, so unerschütterlich?

Höchstens ein Kuss

Auch die Beziehung Colettes zu ihrem Ehemann lässt viele Fragen offen, ohne dass dies als künstlerische Absicht erscheint – eher als Unvermögen zu emotionaler Gestaltung. Und noch etwas ist merkwürdig: So viel handelt der Film von Affären – und dennoch zeigt Regisseur Westmoreland, immerhin durch Pornofilme bekannt geworden, allerhöchstens weichgezeichnet einen lustvollen Kuss. Warum diese dem freizügigen Leben dieser Frau so widersprechende Zurückhaltung? Vielleicht, weil „Colette“ als glückliche und lehrreiche (sexuelle) Befreiungsgeschichte für möglichst viele Konsumentengruppen, auch amerikanische Schulklassen, genießbar sein soll? Als solche funktioniert sie jedenfalls gut.

Was schreibt sie da eigentlich?

Der Emanzipationsgeschichte fällt noch ein weiteres wesentliches Element in Colettes Lebensgeschichte zum Opfer: die Literatur. Fast kurios ist es für einen Film, der zentral vom Verrat an Colettes geistigem Eigentum handelt, dass dieses geistige Eigentum im Film nicht beachtet wird. Weder erfährt das Publikum (abgesehen von einer Handvoll kurzer Zitate aus „Claudine“), was die beiden Eheleute so schreiben, noch, wie sie schreiben und warum sich so viele junge Frauen in der Geschichte von Claudine wiederfinden. Natürlich ist es schwer, Literatur filmisch präsent zu machen, aber so hilflos passiert es selten: Immer wieder sieht man Bilder von Colettes Heften, ihrer Handschrift – das war's. „Claudine, das bin ich. Meine Kindheit, meine Erinnerungen, meine Meinungen!“, sagt sie zu Willy, nachdem sie erfahren hat, dass die Rechte an ihren Büchern nun bei ihm liegen. Diese existenzielle Bedeutung ihres Schreibens spürbar zu machen gelingt dem Film jedoch nicht.

Und doch: Als beispielhafte weibliche Befreiungsgeschichte, gegossen in schöne Bilder, kann man den Film durchaus genießen. „Was für ein wundervolles Leben hatte ich! Hätte ich es nur früher bemerkt“, sagt die Protagonistin am Ende. Und man freut sich mit ihr. Man darf dabei nur nicht daran denken, was ein anderer Film aus diesem wilden Stoff so alles hätte machen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2019)

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