Blutleere „Blutrache“ im kalten Hochwald

Der Brite Jethro Compton schrieb und inszenierte einen „Alpenwestern“. Die Uraufführung im Wiener Rabenhof blieb rätselhaft unentschlossen.

Zu den Merkwürdigkeiten traditioneller Bauernbühnen mit ihren deftigen Dramen zählt, dass manche im Publikum das Treiben hörbar miterleben: Da ertönt aus dem Saal ein „Tua's net!“, wenn die Heldin in Gefahr gerät, den Falschen zu nehmen. Insofern könnte man auch nach der Uraufführung von „Blutrache“ am Rabenhoftheater darauf schließen, dass es sich um authentisches Volkstheater handelte: Als das Drama bei der Premiere in Wien vergangene Woche wieder einmal geradlinig auf einen Cliffhanger zusteuerte, rief eine Frau im Publikum (Achtung, Spoiler!) erstaunt: „Das ist ja der Bruder!“ Es fehlte wohl nicht viel, dass dann auch noch jemand nach einem der Schusswechsel gefordert hätte: „Noch einmal!“, wie das bei den Pradler Ritterspielen beim Köpfen von Übeltätern Sitte ist. Solches Theater rechnet mit einem aktiven Publikum.

Doch damit endet auch schon die Ähnlichkeit der Inszenierung Jethro Comptons mit den alten Vorbildern ländlicher Gaudi. Der britische Autor und Regisseur hat diesen „Alpenwestern“ rund um „Gerechtigkeit und Rache“ nach einer wahren Geschichte geschrieben und auch selbst inszeniert. Seine „Blutrache“, eine Koproduktion mit den Vereinigten Bühnen Bozen, ist zwar prominent besetzt – mit der ehemaligen Salzburger Buhlschaft Miriam Fussenegger sowie den beachtlichen Multitalenten Christian Dolezal, Caroline Frank und Hannes Perkmann. Aber diese Aufführung bleibt doch rätselhaft unentschlossen, sie ist geradezu anämisch.


Nebel in den Bergen. Soll es ein rustikaler Reißer sein? Dann ist die Show zu wenig deftig. Soll es eine Persiflage auf das Genre sein? Dann fehlt die Ironie oder sie dringt einfach viel zu wenig durch. Gelungen sind zumindest die Musik (Jonny Sims) und das Bühnenbild (Thomas Garvie). Schon vor Beginn dringt Nebel in den Zuschauerraum. Der Vorhang öffnet sich, gibt den Blick frei auf eine Bauernstube aus grobem Holz, die im Hintergrund in einen Wald übergeht. Wir befinden uns im Jahre 1904 irgendwo hoch in den Alpen. Der Nebel und der Hochwald vermitteln Kälte.


Rächerinnen in Schwarz. Die Mutter (Frank) ist nach vier Jahrzehnten in Begleitung ihrer Tochter (Fussenegger) in den Heimatort zurückgekehrt. Dort war ihr Vater einst von einem adeligen Widersacher, der die Familie um den Besitz gebracht hatte, von hinten erschossen worden. Das Opfer war ein Wilderer. Der mörderische Schütze erhielt, mit kräftiger Hilfe der Justiz und einer skrupellosen Jagdgesellschaft aus dem Dorfe, eine skandalös milde Strafe. Nun sind die beiden Frauen zurück, die Rächerinnen ganz in Schwarz, die diese alte Geschichte von Verbrechen und Strafe nach und nach in simpler Art erklären beziehungsweise selbst erst erfahren.

Schon gellen Schüsse durch den wilden Wald, bald schöpfen zwei Gesprächspartner der Heimkehrer Verdacht, wer für die Leichen dort draußen verantwortlich sei. Frank und Fussenegger spielen Mutter und Tochter stets konzentriert, streckenweise mit heiligem Ernst. Perkmann ist als lokaler Ordnungshüter und einstiger Jugendgefährte der Mutter nah dran am herben ländlichen Melodram. Dolezal spielt den Ermittler aus Wien stark unterkühlt, ja rätselhaft reserviert. Der Verlauf der Handlung ist bis auf rare spektakuläre Wendungen geradlinig. Nach circa zwei Stunden ist man dann beim finalen Showdown tatsächlich geneigt, mit heimatliebender Inbrunst „Tua's net!“ zu rufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2018)

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