Grillparzer als grelle Politikfarce

Alle Alphamännchen futsch! Was jetzt? Anja Herden begeistert als temperamentvolle Kunigunde von Massovien in „König Ottokars Glück und Ende“.
Alle Alphamännchen futsch! Was jetzt? Anja Herden begeistert als temperamentvolle Kunigunde von Massovien in „König Ottokars Glück und Ende“.APA/HERBERT PFARRHOFER
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Witzig, poppig, fremd wirkt „König Ottokars Glück und Ende“ in der Regie von Dušan David Pařízek, der Poesie vermied. Charismatisch: Karel Dobrý als Protagonist.

So ein Politiker hat's nicht leicht. Ständig unterwegs, muss er Freund und Feind beobachten, wer ist denn da überhaupt wer? Nicht einmal Frauen kann man heute trauen. Rivalen ruhig stellen, Lobbies bedienen, Hauptsache, die Bauern sind zufrieden. Lukas Holzhausen spielt in Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“, seit Dienstagabend im Volkstheater zu sehen, den Habsburger Rudolf, beide sind Schweizer. Holzhausen verblödelt die Figur zu sehr in langen, teilweise unverständlichen Schwyzerdütsch-Tiraden, dabei beherrscht er die Hochsprache. Deutlich wird: Politik fordert viel, auch Schaustellerei.

Der Gegensatz zwischen Rudolf – diesem schmalen Diplomaten, der vor Untergebenen buckelt, sie aber abwatscht wie unfolgsame Kinder, wenn sie nicht parieren – und dem maskulinen und charismatischen Hünen Karel Dobrý, der den Ottokar spielt, könnte in Dušan David Pařízeks Inszenierung nicht größer sein. Dieser Ottokar wirkt, so fesch er ist mit seinem Pferd (namens Fantastico!), wie ein Fossil in einer Welt, die von Kalkül und Kabalen lebt. Den Haudrauf aus dem Osten, der Schutz und Prosperität versprach, aber Armut und Zerstörung über das Volk brachte, will bald keiner mehr haben. Und erst seine komische Sprache. Grillparzer, misanthropischer Monarchie-Fan, hielt die Tschechen für einen eitlen Stamm. Das Trauerspiel, 1825 uraufgeführt, bildet auch befremdliche Vorurteile seiner Zeit ab.

Ältere Theaterbesucher schieden indigniert und kopfschüttelnd nach diesem Abend voller Irritationen. Das Personal wurde reduziert, der Text brutal gekürzt und umgeschrieben, überschrieben, wie man diese Unart jetzt großspurig nennt. Dieser Grillparzer ist poesiefrei, laut und grell.

Doch einmal mehr beweist das Volkstheater, dass es das junge Publikum nicht übel zu bedienen weiß, mit Klassikern, die, zur Kenntlichkeit entstellt, Spaß mit Substanz verbreiten. Dies Verdienst kann der nicht mit Fortüne gesegneten VT-Prinzipalin Anna Badora keiner nehmen. Und Pařízek, der 47-jährige Hipster aus Brünn, der noch immer wie ein Bub ausschaut, ist vielleicht der intelligenteste Vasall von Königin Anna.

Gallig: Galke als Königin und Parodist

Flott, frech und bildmächtig schlingt der Hoodyträger mit subversiver Haube U- und E-Kultur ineinander, schmeißt Vers und Trash zusammen und übergießt das Ganze mit Theaterblut. Das tropft Rudolf dem Ottokar am Ende aus einer Plastikflasche übers Antlitz, wo es die Maske eines Schmerzensmannes hinterlässt. Die Sieger glotzen verstört ins Dunkel, auf ihren Gesichtern malt blasses Licht die österreichische Fahne, die so entstanden sein soll: Kreuzfahrer Leopold V. kehrte im 12. Jahrhundert mit blutigem Waffenrock heim, nur da, wo der Schwertgürtel saß, blieb ein weißer Streifen.

Diese Geschichte lernt jedes Schulkind, ebenso wie es früher die rührende Hymne Ottokars von Horneck einzustudieren hatte, an das gute Land, „wohl wert, dass sich ein Fürst sein unterwinde“. Schrieb Wortwinder Grillparzer, der als Taferlklassler heute manchen Deutschlehrer zur Weißglut brächte. Die Verse Ottokars von Horneck sind hier ein Popsong ebenso wie das Liebesgedicht Zawischs von Rosenberg an Kunigunde, Ehefrau des Böhmenkönigs. Pařizek hat sich für jede Figur in diesem mittelalterlichen Bandenkrieg ein klares Profil ausgedacht. Kunigunde (herrlich, heftig: Anja Herden) hätte lieber einen jungen, wilden Clanchef ihrer Heimat genommen als den verbrauchten Ottokar; die rothaarige, bloßfüßige Punkerin bevorzugt jedenfalls Alphamännchen.

Da kann sich der im Fitnessstudio gestählte Grashüpfer Zawisch (großartig: Peter Fasching) aufpumpen wie er will: Kunigunde und Zawisch, eine klassische Paarung, der spillrige Intellektuelle, der von der Sexbombe träumt. Neben dem dominanten Rainer Galke freilich kann sich nicht leicht einer entfalten: Als Königin Margarethe, abgehalfterte Gattin Ottokars, verwickelt sich Galke in seinem Hermelin, nicht nur ein Gag, der Witwe Margarethe ist die Bürde der Herrschaft über Österreich zu schwer; Ottokar nimmt sie ihr gern ab. Als Bürgermeister von Wien dekliniert Galke sämtliche Austropopper durch – und schwimmt einmal um die Donauinsel: Und jetzt bitte den Spritzwein! Galke spielt noch einige andere Rollen und wer ihn mag, sollte diese Aufführung nicht versäumen. Wie sagt man heute? A bit too much ist das – wie vieles hier.

Thomas Frank muss als Seyfried Merenberg laut schreien, Grillparzers Sprache blieb ihm fremd, aber er passt zur Vorstellung der Wiener von einem ungeschlachten Ritter aus dem steirischen Wald. Beredt, sprachlich wie spielerisch ist Gábor Biedermanns Kanzler. Pařizek baute auch das Bühnenbild: Billigholzbalken, rasch und hoch aufgerichtet, stürzen krachend nieder. Trotz des Friedensschlusses bröckelt das System, das Ganze und seine Teile passen nicht zusammen! In dieser Aufführung steckt Wahrheit – von gestern und von heute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2019)

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