Ernst Molden: "Ich hatte das Bedürfnis, alt zu sein"

Früher spazierte er mit Zwirn und Gehstock durch Wien und wollte keine Musik machen: Ernst Molden.
Früher spazierte er mit Zwirn und Gehstock durch Wien und wollte keine Musik machen: Ernst Molden. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In seinem neuen Album "Schdrom" schwärmt Ernst Molden von der intakten Natur des Nationalparks Donau-Auen.

Ist Ihr Album „Schdrom“ tatsächlich ein Auftragswerk des Nationalparks Donau-Auen?

Ernst Molden: Ja. Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas Wunderbares widerfahren würde. Es hat sich herausgestellt, dass Carl Manzano, der Direktor des Nationalparks, meine künstlerische Arbeit verfolgt und gar ein Fan ist. Er hat mich vor eineinhalb Jahren gefragt, ob ich mir vorstellen könne, einen Liederzyklus zum Thema Donau zu machen. Ich hab sofort zugesagt, weil mir klar war, das ist meine Sixtinische Kapelle.

Wie sind Sie die Sache angegangen?

Über einen Zeitraum von drei Monaten bin ich sehr oft hingefahren und habe die Landschaft erkundet. Ein Traum von mir wäre als Übernachtungsmöglichkeit so eine Taubenfischerhütte mit Senknetzen zu haben. Aber da müsste man Mitglied beim Arbeiterfischerverein sein und warten, bis so ein alter Fischer ins Wasser fällt. Das kann dauern. Außerdem wäre ich dann wohl ganz allein, weil meine Familie so „gelsophob“ ist.

Der Nationalpark ist ja mehr als ein Dschungel. Haben Sie auch seine kulturgeschichtliche Dimension bedacht?

Natürlich. In der Au kann man Spuren von Marc Aurel und Probus entdecken. Das Südufer der Donau war ja zu Zeiten des römischen Reichs das Ende der zivilisierten Welt. In der Lobau hast du Spuren Napoleons, weil ganz in der Nähe die Schlacht von Aspern getobt hat. Man findet immer wieder Bajonette und Münzen.

Gibt es auch Spuren aus jüngerer Zeit?

Nun, das Schloss Orth, wo die Zentrale des Nationalparks ist, war das Lieblingsschloss von Kronprinz Rudolf. Er hat viel mehr Zeit in Orth als in Mayerling verbracht. Ihm ging es darum, möglichst keine Verwandtschaft zu treffen. Flussmenschen haben was Einzelgängerisches. Als Schüler Brems war der Kronprinz auch Naturforscher und Aujäger. Er hat etliche Vierzehnender aus dem Gatsch gezogen. Zudem hat er in der großen Enzyklopädie über die Monarchie das Kapitel über die Donauauen verfasst. Sprachlich ein bisserl gestelzt, aber wunderschön.

Die Besetzung der Au 1984 gilt als Geburtsstunde der österreichischen Grünen. Wie haben Sie das als damals 17-jähriger in Tirol lebender Gymnasiast mitbekommen?

Ich fand's aufregend. Es war eine interessante Versammlung illustrer Charaktere. Auf einer Lichtung standen Günther Nenning und André Heller, auf einer anderen Gottfried Küssel, der mit seinen Kameraden für den deutschen Wald demonstriert hat. Ganz Rechte und ganz Linke haben da zusammengefunden, um die letzte urwüchsige Ausformung des Auwalds zu retten.

War das nicht ein bisserl gar romantisch?

Eigentlich nicht. Man hatte erstmals die Umweltapokalypse vor Augen. Damals war viel vom sauren Regen und vom Waldsterben zu lesen. Die Wirtschaft hat die Donau mit ihren Regulierungen im Würgegriff. Da war es eine große Geste, einen viele Jahrhunderte lang als vollkommen unnütz begriffenen Auwald schützen zu wollen. Es war eine faszinierende Bewegung, weil sie sich gegen das Rational-Ökonomische stellte.

Als Sie 1987 nach Wien übersiedelten, waren Sie rein äußerlich so gar kein Öko-Freak. Als fesch gesackelter Dandy stolzierten Sie durch die nächtliche Innenstadt. Was war da los mit Ihnen?

Es war meine Ära des Zwirns. In Tirol war ich ein Folkie. Dort gab es nur Bob Dylan und Bier. Als mein Vater 1982 in Konkurs ging und wir Wien verließen, bekam ich gerade noch den ersten Schub des heimischen New Wave mit. Als ich 1987 nach Wien zurückkehrte, wollte ich zunächst gar nichts mit Musik machen. Meine Helden waren Georg Trakl und H.C. Artmann, und ich hatte als Zwanzigjähriger ein wahnsinniges Bedürfnis, alt zu sein. Ich wollte eine Fin-de-Siècle-Figur sein, um ins eigene Schreiben reinzukommen.

Wie wurden Sie zum Künstler?

Über viele Umwege. Ich war auch Polizeireporter bei der „Presse“. Meine Eltern haben sich über meine Anstellung sehr gefreut. Aber dann hab ich als Dramaturg und Hausautor im Schauspielhaus des Hans Gratzer begonnen. In der Nacht bin ich um die Häuser gezogen und hab die Damen mit dem Künstlerschmäh erobert. Ich habe aber auch mitbekommen, dass das nicht alle super fanden, dass da so ein Kampl mit Dreiteiler und Gehstock herumwandert. Ich habe polarisiert.

Wie kam die Musik wieder in Ihren Blick?

Nach meiner Theaterphase ging ich ins kriegsversehrte Dubrovnik, wo ich ein Buch geschrieben habe. Dort hab ich den Pianisten Ivan Šimatović kennengelernt, der in einem Kaffeehaus wunderschöne kroatische Lieder gesungen hat. Er ermunterte mich, wieder selbst Musik zu machen. Gemeinsam mit dem Amerikaner Alec Whittier haben wir das Trio Teufel und der Rest der Götter gegründet und ein Album für Sony eingespielt. Es war ein teurer Flop.

War das nicht entmutigend?

Es war keine leichte Zeit für Musiker. In den Neunzigerjahren war plötzlich alles elektronisch. Kruder & Dorfmeister regierten und im Chelsea bekamen die DJs 500 Schilling, die Livemusiker nur 50 Schilling am Abend. Mit Reitstiefeln, Sakko und Westerngitarre ging ich um. Uncooler konnte man nicht sein. Mein Glück war, dass meine Frau Veronika das romantisiert hat und ich deshalb weiter Lieder komponiert habe, obwohl nichts weitergegangen ist.

Fördert eine wackelige Existenz die Qualität der Kunst?

Ich denke schon. Aber die Unsicherheit hat sich mittlerweile auf viele Berufsgruppen ausgedehnt. Wir nichtsnutzigen Künstler haben einen Startvorteil. Ich lebe schon seit zwanzig Jahren so, dass ich nie genau weiß, was jenseits der nächsten drei, vier Monate ist.

Internationale Ausrichtung oder nicht, das stand jüngst bei der Bundespräsidentenwahl zur Entscheidung. Die Weltoffenheit in Person Van der Bellens hat gewonnen. Wird er seine Sache gut machen?

Ich denke schon. Er ist von nichts besessen und nimmt sich zehn Sekunden Zeit, bevor er einen Satz sagt. Ich hab ihn schon früher gewählt, weil er keine Phrasen drischt. Nach seinem Rückzug hab ich mich den Grünen ein wenig entfremdet. Ich hoffe, er schafft es, weil die Raucherei strengt schon an.

Stumme Fische, Uhus mit geschlossenen Augen: Sie schwärmen auf Ihrem neuen Opus von der intakten Natur im Nationalpark. Darf man so ein Idyll beschwören in Zeiten, in denen Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken?

Es ist jedem Liedermacher unbenommen, ein Lied über Lampedusa zu schreiben. Man kann das Tödlich-Trennende des Mittelmeers besingen, aber als Gegenentwurf auch die Donau, die etwas Verbindendes hat. Sie ist ein mit Weisheit, Philosophie und Kultur aufgeladenes Starkstromkabel. In Zeiten, in denen ich mir jeden Tag Sorgen machen muss, wenn ich die „ZiB“ anschaue, bin ich froh, wenn ich etwas Zeitgenössisches liefern kann, das positiv ist.

Sollen sich Singer-Songwriter prinzipiell nicht zur Tagespolitik äußern?

Eher nicht. Die Aussagen veralten schnell, und die meisten dieser Songs sind nicht gut. Ich habe Probleme mit den Liedern eines Phil Ochs. Die vielleicht besten politischen Songs hat Bob Dylan auf „The Times They Are A-Changin'“ veröffentlicht. Man spürt seine Betroffenheit. Nur so ist es richtig.

Ihre Lieder auf „Schdrom“ spiegeln tiefe Emotionen wider. Wie kam es, dass Sie als Verlegersohn nicht die windstille Zimmerexistenz präferierten?

Früh schon lud ich die Natur in mein Zimmer ein. Ich hatte ein Terrarium mit Fröschen und Kröten und war oft mit Kescher und Küberl unterwegs. Ein ganz wichtiger Flussmensch war der Journalist und Autor Ernst Trost, ein Freund meines Vaters. Als Kind war ich oft in seinem Haus in Kritzendorf. Er hat mir sehr geduldig die Faszination der Donau vermittelt.

Ist die Heilige, die Sie in „Schüüf“ anrufen, nach dem Vorbild Ihrer Frau gestaltet?

Da hab ich meine Veronika und die Heilige Veronika zusammengedacht. Der romantische Topos ist die letzte Rettung durch die Geliebte in einem von leichtem Irrsinn geprägten Umfeld. Die Gesellschaft von Frauen habe ich früher sehr intensiv gesucht und ausprobiert. Immer im guten Glauben. Die Liebe ist meist schnell vergangen. Die Hoffnung auf die große Liebe habe ich aber nie aufgegeben. Mit 28 Jahren habe ich sie dann gefunden. Seither sind wir ineinander eingerastet wie eine gut schließende Tür. Es gibt niemanden, der mein Herz so berührt, wie meine Frau.

Herr Molden, darf man Sie auch fragen...


1. . . ob das Rauchen eine Religion ist?

In meinem Fall ist es zumindest ein Kult. Man muss sich ja mittlerweile schon wie die Frühchristen in die Katakomben zurückziehen, um es zu betreiben. Das Ausstoßen einer Rauchwolke hat, seit ich 16 Jahre alt bin, ein gewisses Mojo.


2. . . warum Sie kein Mobiltelefon haben?

Mir gilt der Luxus der Unerreichbarkeit, wenigstens für ein paar Stunden, viel. Ich liebe diese Flächen der Ruhe. Hätte ich ein Handy, würde ich genauso wie alle anderen permanent schauen, ob was passiert.



3. . . ob Kornblume oder Mohnblume?

Mohnblume, allein wegen der Farbe. Aber ganz grundsätzlich zur Verteidigung der Kornblume: Man darf auch Eiernockerln essen, obwohl der Hitler sie so gern gehabt hat.

Steckbrief

1967 wurde Ernst Molden als Sohn des Verlegers und Widerstandskämpfers Fritz Molden geboren. Seine Großmutter war Paula Preradović, Verfasserin des Texts der österreichischen Bundeshymne.

1982 übersiedelt die Familie nach dem Konkurs seines Vaters nach Tirol. Fünf Jahre später kehrt Molden nach Wien zurück. Er ist gewissermaßen ein Künstler ohne Werk.

1991 wird sein Stück „Der Basilisk“ am Schauspielhaus uraufgeführt.

1996 floppt das Debütalbum „Hört“ mit dem Trio Teufel und der Rest der Götter.

2008 gelingt der Durchbruch als Singer-Songwriter mit den beiden Alben „Wien“ und „Foan“. Sein Konzeptalbum „Schdrom“ ist neu erschienen.

Konzerte: 8. 6., Stadtsaal, Wien.
19. 6. Arena-Open-Air als Molden/Resetarits/Soyka/Wirth.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2016)

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