Europa: US-Armee bleibt wegen Putin

APA, Alexander Zemlianichenko
  • Drucken

Zwei US-Kampfbrigaden werden nicht wie bisher geplant 2008 aus Europa heimgeholt. Die Nato warnt Russland vor einem neuen Rüstungswettlauf mit dem Westen.

In den Beziehungen zwischen der Nato und Russland verschärft sich nicht nur die Rhetorik. Jetzt folgen den Wortgefechten auch Taten. So hat das Pentagon diese Woche angekündigt, den vorgesehenen Abzug von US-Truppen aus Europa zunächst zu stoppen. Als einen der Gründe für diese Maßnahmen nannte General David McKiernan, der Befehlshaber des US-Heeres in Europa, das „wiedererstarkte Russland“.

Bisher hatte sich die amerikanische Diplomatie Zurückhaltung gegenüber den immer häufigeren antiwestlichen Ausfällen der russischen Führung auferlegt. Nun ist der Abzugsstopp ein klarer Hinweis darauf, dass sich das US-Militär auf eine neuerliche Konfrontation mit Moskau vorzubereiten beginnt. Nach den bisherigen Planungen hätten die US-Truppen in Europa von derzeit 43.000 Soldaten bis Ende 2008 auf 24.000 reduziert werden sollen (während des Kalten Krieges belief sich die Stärke der US-Streitkräfte in Europa auf 213.000 Soldaten).

Warnung vor „Muskelspielen“

Nun blieben zwei US-Kampfbrigaden, die im Laufe des kommenden Jahres in die USA heimkehren hätten sollen, bis auf Weiteres in Deutschland stationiert. Damit unterhält die US-Armee weiterhin vier Kampfbrigaden in Europa.

Zwar führt das Pentagon für den Abzugsstopp auch Kosten- und Logistikgründe an. So seien die Unterkünfte für die Heimkehrer noch nicht fertig. Aber General McKiernans Hinweis auf Russland weist wohl auf das wahre Motiv.

Moskau hat zuletzt seine Kritik an der Nato sukzessive verschärft. Erst diese Woche hat Präsident Wladimir Putin bestimmten Nato-Staaten „Muskelspiele“ vorgeworfen, weil diese direkt an der russischen Grenze militärische Kapazitäten aufbauten. Dabei ist es nicht nur das geplante US-Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien, das die Russen schwer irritiert. Moskau hat sich auch nach Jahren noch immer nicht mit den zwei Osterweiterungsrunden der Nato abgefunden, es konterkarierte die westliche Politik in der post-sowjetischen Staatenwelt, im Kosovo und gegenüber dem Iran.

In der Nato-Zentrale in Brüssel zeigt sich US-Botschafterin Victoria Nuland im Gespräch mit Journalisten weiter überzeugt, dass eine Zusammenarbeit mit Moskau in allen strittigen Fragen möglich sei. Denn: „Wir sehen uns neuen Bedrohungen und Gefahren gegenüber, die Russland genauso betreffen wie uns im Westen. Wir müssen Kooperationsmöglichkeiten finden, bei denen beide Seiten gewinnen können.“

In Hintergrundgesprächen machen Nato-Vertreter freilich kein Hehl daraus, dass sie über das russische Verhalten der jüngsten Zeit bitter enttäuscht sind. Sie weisen darauf hin, dass die Nato-Kooperation mit Russland in der Praxis viel intensiver sei, als öffentlich wahrgenommen wird. Nicht nur gebe es mit den Russen seit 2002 ein gemeinsames Projekt über eine Raketenabwehr für das Gefechtsfeld. Es gebe auch einen permanenten Austausch von Daten und Informationen zur Bekämpfung des Terrorismus sowie des Drogentransits aus Afghanistan und eine enge Zusammenarbeit für Such- und Rettungseinsätze auf hoher See: „Aber über diese positiven Dinge sieht und liest man in den russischen Medien nie auch nur ein Wort. Da wird nur ständig gegen die aggressive Nato polemisiert, gleichzeitig aber verschwiegen, dass man mit eben dieser Nato sehr wohl eng kooperiert. Das ist einfach schade.“

Widersprüchliche Russen

Dieses widersprüchliche Verhalten der russischen Elite – kooperieren, aber darüber schweigen – sei nicht nur mit den bevorstehenden Wahlen in Russland zu erklären: „Es ist unwahrscheinlich, dass die russischen Machthaber die scharfe Rhetorik gegen die Nato brauchen, um Wähler zu mobilisieren. Denn es ist doch ohnedies klar, wie diese Wahlen ausgehen werden.“

Viel eher gehe es derzeit wohl darum, dass ein wirtschaftlich wieder gut dastehendes Russland seine Stärke auch außenpolitisch und militärisch umsetzen wolle. Das selbstbewusste Auftreten als wiedererstarkte Macht habe viel mit der nationalen Psychologie und Geschichte Russlands zu tun.

„Sie würden wieder verlieren“

Aber auch wenn Russland ein „schwieriger Partner“ sei, habe die Nato keine strategische Alternative als Engagement und Zusammenarbeit mit Russland. „Die gute Nachricht ist: Auch die Russen haben keine strategische Alternative.“ Denn das Horroszenario aus den derzeit so negativen Entwicklungstrends sei ein neues Wettrüsten zwischen Russland und der Nato. Nur, heißt es dazu in der Brüsseler Zentrale: „Die russische Wirtschaft ist fragil, für ein Wettrüsten haben die Russen schlechte Voraussetzungen. Wenn die Russen trotzdem einen Rüstungswettlauf initiieren sollten, werden sie ihn also wieder verlieren“, prophezeit ein Nato-Analytiker mit Hinweis auf die im Kalten Krieg kollabierte Sowjetunion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.