Erster Zoo für Mikroorganismen

Die Welt der Mikroorganismen erschließt sich nicht so einfach. Doch auch Laien sind tiefe Einblicke möglich, wie ein Bakterien-Zoo in Amsterdam beweist.

Zu den wiederkehrenden Ritualen im Leben eines Wissenschaftsjournalisten zählt zum Jahreswechsel das Studium der „Arten des Jahres“-Listen, die von Naturschutzorganisationen herausgegeben werden. Wie berichtet, finden sich bei den Lebewesen, denen 2019 besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll, in der Kategorie Tier die Wildkatze, bei den Vögeln die Feldlerche, bei den Wassertieren der Edelkrebs oder bei den Weichtieren der Tigerschnegel.

Darüber hinaus gibt es auch viele Kategorien, die man so nicht erwarten würde – etwa Flechten (Breitlappige Schlüsselflechte), Streuobstsorten (Roter Spenling), Nutztierrassen (Pinzgauerziege) oder Neozoen (Goldfisch). Und dann gibt es noch die Kategorie „Einzeller“: Nominiert wurde heuer die Süßwasser-Amöbe Nuclearia – ein sonderbares Lebewesen, das giftige Cyanobakterien (Blaualgen) verspeisen kann, indem es bestimmte Bakterien zur Entgiftung ihres Futters nutzt.

Man mag bezweifeln, ob es der Einzeller des Jahres zu großer (Medien-)Präsenz bringen wird. Aber es ist gut, dass auch solche Arten ins Bewusstsein gerückt werden: Auf Archaeen, Bakterien, Pilzen, pflanzlichen und tierischen Einzellern basiert ein großer Teil der Nahrungsketten und des Stoffkreislaufs in der Natur (siehe auch Artikel rechts).Ihr Einfluss auch auf uns Menschen kann gar nicht überschätzt werden – auf und in uns leben mehr Mikroorganismen, als wir Körperzellen haben.

Ein vorbildlicher Versuch, all das der Öffentlichkeit näherzubringen, kann in Amsterdam bestaunt werden: Dort wurde vor einigen Jahren Micropia eröffnet, der weltweit erste Zoo, in dem ausschließlich Mikroorganismen gezeigt werden. Eindrucksvoll inszeniert, erlauben moderne Mikroskope ungeahnte Einblicke in verborgene Lebenswelten. Demonstriert wird weiters, wie sich Schleim- und Schimmelpilze entwickeln, wenn man sie wachsen lässt, wie sehr Geldscheine, Zahnbürsten oder Putzfetzen bakteriell kontaminiert sind, welchen Einfluss die Ernährung auf die Darmflora und die Konsistenz von Exkrementen hat oder dass manche Einzeller im Dunklen leuchten.

Bei Besuchern, die den Kinderschuhen bereits entwachsen sind, ist überdies das „Kiss-o-Meter“ sehr beliebt. An ihm kann man am eigenen Leib und mit allen Sinnen erfahren, welche Massen an Bakterien bei einem Kuss ausgetauscht werden – abhängig von der Intensität, die per Videoanalyse ausgewertet wird. Ich habe gelernt: Es können schon einmal 100 Millionen Exemplare sein.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2019)

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