Kältetherapie

Was Kältetherapie wirklich bringt

(c) Marin Goleminov
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Tibetische Mönche, die leicht bekleidet im Schnee meditieren, Wim Hof, der 112 Minuten im Eis steht, und etliche weitere, die nach einer harten Trainingseinheit ein Eisbad nehmen, wollen es: sich die positiven Effekte der Kälte zunutze machen. Doch wie gesund ist das? Molekularbiologe Bernd Kerschner gibt Antworten.

Halbnackt und mit bunter Mütze einen schneebedeckten Berg bei Minusgraden und schneidendem Wind besteigen – das ist für den „Iceman“ Wim Hof nichts Besonderes. Ein Beispiel davon gibt es etwa in der Dokumentation „Becoming Superhuman with Ice Man – Wim Hof“ zu sehen. Seinen Spitznamen hat sich der niederländische Extremsportler mit allerlei Weltrekorden verdient. So ist Hof etwa einen Halbmarathon nördlich des Polarkreises barfuß und mit Shorts gelaufen und 66 Meter mit angehaltenem Atem unter einer Eisschicht durchgeschwommen. Dass ihm das möglich ist, führt der 63-Jährige auf seine selbst entwickelte Technik zurück, die Wim-Hof-Methode (WHM). Diese besteht im Grunde aus drei Säulen – Atemtechnik, Meditation sowie kalten Duschen und Eisbädern. Die Methode lehrt Hof seit vielen Jahren allen Interessierten, die in den Genuss von zahlreichen gesundheitlichen Vorteilen kommen wollen. Die WHM helfe gegen Autoimmunkrankheiten, bei Schmerzen bei Migräne und lindere Arthritis, ist etwa auf der Webseite des Iceman zu lesen.  Sie liefere einem demnach auch mehr Energie und einen besseren Stoffwechsel – und mache außerdem rundum glücklicher.

All diese beworbenen Benefits der Methode seien außerdem in diversen wissenschaftlichen Studien bestätigt worden, wie Wim Hof nicht müde wird zu erwähnen. Der Molekularbiologe Bernd Kerschner von der Donau-Universität Krems sieht das jedoch skeptisch: „Ich glaube, Wim Hof ist einfach gut darin, das als ‚Zaubermethode‘ zu vermarkten. Diese Behauptungen, die er da aufstellt, lassen sich größtenteils nicht belegen.“ Kerschner ist Leiter des Faktencheck-Portals medizin-transparent.at, bei dem er u.a. an Artikeln zu Kältetherapie und über die Wim-Hof-Methode gearbeitet hat. Letzterer widmet sich der Frage, ob die WHM das Immunsystem stärken und Infektionskrankheiten vorbeugen kann – wie Hof es behauptet. Dafür hat sich Kerschner die Forschung zu der Methode angesehen und das Fazit gezogen, dass die derzeitige Studienlage mangelhaft ist: Die bisher publizierten Studien seien nicht aussagekräftig, was die Wirkung der WHM auf das Immunsystem angeht.

Eine solche Studie, die Hof gern als Beweis dafür nimmt, dass seine Methode gegen Infektionskrankheiten hilft, wurde 2014 an 30 gesunden, jungen Männern durchgeführt. 18 von ihnen trainierten zehn Tage lang mit Wim Hof: Meditieren im Schnee, Atemübungen, Yoga und eine Bergtour in kurzen Hosen waren Teil des Programms. Die Kontrollgruppe war nicht bei dem Training dabei. Im Anschluss wurde den Probanden ein ungefährliches Bakteriengift injiziert, das für einige Stunden grippeähnliche Symptome auslöst. Tatsächlich war die Reaktion der Wim-Hof-Alumni auf das Bakteriengift tendenziell geringer als bei der Kontrollgruppe. Allerdings wurden auch drei der zwölf Probanden der Kontrollgruppe ausgetauscht, da sie den Autoren zufolge ebenfalls nur schwache Symptome zeigten. Außerdem ist die Studie mit nur 30 Teilnehmern recht klein angelegt und kann nicht beantworten, ob das Kältetraining überhaupt eine Auswirkung auf die Ergebnisse hatte. Die Studienautoren gehen selbst davon aus, dass vor allem die Atemtechnik ausschlaggebend war.

Kälteresistente Zwillinge

Der Molekularbiologe hat sich aber nicht nur den Effekt der Wim-Hof-Methode auf das Immunsystem angesehen, er hat auch Studien zur Wirkung auf die Kälteresistenz begutachtet. Insbesondere eine Untersuchung habe die Wirksamkeit des Kältetrainings infrage gestellt: eine 2014 erschienene Studie, die die Kälteresistenz von Wim Hof und seinem genetisch identen Zwillingsbruder erforschte. Im Gegensatz zum Iceman hatte sein Bruder noch keinerlei Kältetraining gemacht. So sollte erforscht werden, ob Hofs Kälteresistenz vor allem genetisch bedingt ist oder Umwelteinflüsse – sein Training – eine größere Rolle gespielt haben. Die Brüder wendeten die Atemtechnik des Iceman an und wurden unter mildem Kälteeinfluss getestet. Dabei zeigte sich ein grober Unterschied zwischen den Hofs und früher untersuchten Männern: Die Brüder hatten einen weit höheren Anteil von braunem Fett, das bei der Regelung der Körpertemperatur entscheidend ist. Zwischen den Zwillingen gab es jedoch keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich ihrer Kälteresistenz. Molekularbiologe Kerschner meint: „Dieser Vergleich hat gezeigt, dass Training nicht alles sein kann. Ich will mich nicht versteifen und sagen, Gene sind alles und Training nichts, aber es gibt Grund zur Annahme, dass Genetik in diesem Fall eine Rolle spielt.“ Er warnt aber auch, dass eine Studie an nur einem Zwillingspaar nicht sonderlich aussagekräftig ist.

Wim-Hof-Method-Instructor Marcus Bernhardt sieht das anders. Er praktiziert die Methode schon jahrelang nahezu täglich und bietet als zertifizierter Instructor auch Kälte- und Atemtrainings in der Wiener Krieau an. Angefangen hat Bernhardt mit drei Eisbädern und Atemsessions am Tag, seitdem tritt er zwar ein wenig kürzer, seine Leidenschaft für die Methode hat jedoch nicht abgenommen: „Geblieben bin ich bei der WHM, oder bei der Kälte und bei der Atmung, weil die Effekte auf mein Leben, meine Psyche und meine Gesundheit einfach phänomenal sind, nach wie vor.“ Bei einer Intensivwoche in Polen mit Wim Hof und hundert anderen aus der ganzen Welt fand der Trainer heraus, dass Menschen eigentlich gut mit Kälte zurechtkommen, aber „dass wir offenbar hoffnungslos verwöhnt sind“. Für ihn ist es auch gar nicht so wichtig, sich bei einem Eisbad „abzuhärten“, im Gegenteil: „Gerade bei der Atmung geht das Herz auf und man wird weicher und sensibler.“ Im Video geht Bernhardt darauf ein, was die Wim-Hof-Methode ausmacht und wie Interessierte am besten ihr erstes Eisbad angehen.

Ein kurzer Rückblick

Kälte wird in der einen oder anderen Form wohl seit rund 5000 Jahren als Therapie für verschiedene Gebrechen eingesetzt. Eine der ersten schriftlich festgehaltenen Erwähnungen von Kälte als Therapiemöglichkeit findet sich im Edwin-Smith-Papyrus, der rund 3500 v. Chr. entstand. Erst Tausende Jahre später fand Kältetherapie wieder Erwähnung, und zwar bei dem griechischen Arzt Hippokrates. Auf der einen Seite beschrieb er, dass Kälte beispielsweise zu Tetanus führe und schlecht für Knochen, Zähne, Nerven und das Gehirn sei. Andererseits verwendete er Eis und Schnee, um Blutungen zu stillen, und verabreichte kaltes Trinkwasser zum Senken von Fieber. Auch manche tibetischen Mönche praktizieren schon seit Tausenden Jahren eine Art Kältetraining. Sie haben die Tummo-Atemtechnik entwickelt, die es ihnen erlaubt, die Temperatur in ihren Fingern und Zehen um bis zu acht Grad Celsius zu erhöhen. Auf diese Art und Weise können sie im Schnee des Himalayas meditieren, während sich um sie herum langsam ein trockener Kreis bildet.

In der jüngeren Geschichte – um die Zeit im 18. Jahrhundert, als Badeorte beliebter wurden – verschrieb der schottische Arzt William Cullen kalte Bäder und Kaltwasser-Einläufe gegen eine Vielzahl von Gesundheitsproblemen. Ähnlich wie Hippokrates argumentierte er, dass ein wenig kaltes Trinkwasser gegen Fieber helfen würde. Würde man sich jedoch umgekehrt zu viel Kälte aussetzen, könne das ebenfalls zu Fieber führen. Aber Kältetherapie wurde nicht immer nur zur Verbesserung der Gesundheit verwendet: Im 19. Jahrhundert setzten Irrenanstalten kalte Duschen oder Bäder ein, um ihre Patientinnen und Patienten zu „heilen“. Dieser plötzliche Schock brachte Sodbrennen und Übelkeit mit sich, was laut einigen damaligen Ärzten hilfreich sein sollte. In einer extremeren Variante davon setzte man Personen in der Mitte eines Flusses oder Sees aus, von wo sie allein zum Ufer zurückschwimmen mussten. Diese Prozeduren sollten die Patientinnen und Patienten gefügiger machen und ihre Libido und Erregtheit dämpfen.

Zurück in die Gegenwart

Im 21. Jahrhundert wird Kälte in Form von therapeutischer Hypothermie – etwa mittels Eisbeuteln – bei Wiederbelebungen eingesetzt. Aber auch eine alternative Therapieform wird immer beliebter: Kryotherapie. Dabei steht man für rund drei bis fünf Minuten halbnackt in einer Kabine, in der es ca. minus 120 bis minus 150 Grad Celsius hat. Kryotherapie-Anbieter versprechen unter anderem gesundheitliche Vorteile wie Gewichtsverlust und Entzündungshemmung, aber auch eine Wirkung gegen Depression, Demenz und sogar Krebs. Dazu sagt Molekularbiologe Kerschner: „Es gibt eigentlich nichts, wofür belegt wäre, dass eine Kältebehandlung wirkt. Das bedeutet natürlich nicht, dass es ausgeschlossen ist, aber man weiß es eben nicht.“

Schließlich verwenden Sportlerinnen und Sportler gern Eisbeutel und -bäder, um Muskelkater nach anstrengenden Work-outs vorzubeugen oder Entzündungen zu bekämpfen. Auch hier vermutet Kerschner, dass vor allem anekdotische Evidenz dahintersteckt: „Man kann sich schnell einmal einbilden, dass einem etwas geholfen hat. Oder vielleicht ist es einem wirklich besser gegangen, aber man hat den Vergleich nicht, wie es ohne diese Behandlung gewesen wäre. Derzeit deutet zumindest nichts darauf hin, dass Kälte bei Gesundheitsproblemen hilft.“ Ob Kältetraining also gesünder macht und Infektionskrankheiten vorbeugen kann, konnte bisher weder aussagekräftig bestätigt noch komplett von der Hand gewiesen werden. Wim Hofs Weltrekorde und die Errungenschaften vieler anderer Eisschwimmerinnen und -schwimmer zeigen aber, welchen Widrigkeiten der menschliche Körper trotzen kann, und verschieben die Grenzen des Möglichen immer weiter.

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