Physiotherapie

Physiotherapie und das Karriereende des Robert Almer

(c) Marin Goleminov
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Der ehemalige Tormann der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft Robert Almer spricht über seine Rehabilitationsphase nach seiner schweren Knieverletzung. Physiotherapeutin Inge Gayer und Sportphysiotherapeut Sebastian Mitter erzählen mehr zum Thema.

Es war im Oktober 2016, als Robert Almer bei einem Europa-League-Spiel der Wiener Austria gegen die AS Roma in Rom mit einer schweren Knieverletzung vom Platz musste. „Ich bin nicht so wehleidig, aber das hat schon richtig wehgetan“, sagt Robert Almer über den Moment, der das Ende seiner Karriere als Profifußballer bedeutete. Ein Schubladentest vor Ort genügte, um festzustellen, dass das Kreuzband gerissen war.

Am Tag nach dem Spiel flog Almer zurück nach Österreich. Es ging direkt zum MRT. „Es stellte sich heraus, dass das vordere Kreuzband komplett durch war. Das hintere war überdehnt, Innen- und Außenbänder eingerissen, und der Meniskus auch.“

Kurz darauf wurde der ehemalige Tormann der österreichischen Nationalmannschaft auf eigenen Wunsch in Augsburg operiert. Die Mediziner rechneten mit einer Rehabilitationsphase von etwa neun Monaten. Das Band brauche seine Zeit, um auszuheilen. „Wir (Sportler, Anm.) sind oft schon viel früher dran, durch Training, durch Muskelaufbau, als es medizinisch sinnvoll wäre“, sagt Almer.

Therapiephase

Nach der OP wurde ein erster Therapieplan für vier bis acht Wochen erstellt. Während dieser Entzündungsphase gehe es in erster Linie darum, die Entzündung ausklingen zu lassen und die Wundheilung sicherzustellen, sagt Almer. Wichtig sei, dass das Ersatzkreuzband gut einwachsen kann.

In den ersten beiden Wochen nach der Operation sollte das Knie gar nicht belastet werden, erzählt Almer. Danach durfte es zwei Wochen lang teilweise und irgendwann voll belastet werden. Bei einer Kreuzbandverletzung sei zu beachten, dass man nicht gleich in die volle Hocke gehen sollte, weil dies die Heilungsphase beeinflussen könnte, sagt der ehemalige Profifußballer.

Bei Leistungssportlern werde sehr viel individuell gearbeitet, sagt Almer. Lymphdrainage, Minderung der Schwellung und leichte Bewegungsübungen hätten ihn in der ersten Phase der Therapie passiv unterstützt. Dann folgte Elektrostimulation. Nach vier Wochen begab sich Almer schließlich in ein Rehabilitationszentrum in Deutschland.

Acht bis zehn Stunden am Tag arbeitete der heute 39-Jährige an seinem Comeback. Neben Behandlungen stand auch das Training verschiedenster Muskelgruppen auf dem Programm. Die Muskeln im Bein sollten langsam wieder aufgebaut werden.

Mit dem Ziel, den verletzten Meniskus „so gut wie möglich zu erhalten“, wurde im Februar 2017, etwa vier Monate nach der Verletzung, eine zweite Operation durchgeführt. Doch die Schmerzen wurden nicht weniger. Eine Belastung des Kniegelenks unter Zuhilfenahme von Medikamenten und Schmerzmitteln hat „nicht ganz so funktioniert“. Es stellte sich heraus, dass der ehemalige Nationaltormann eine komplette Knorpelablösung am Knie hatte.

„Ein Teil des Oberschenkelknochens ist dort abgestorben. Durch das hat sich der Knorpel gelöst“, schildert Almer.

Nach weiteren Monaten der Therapie entschied sich der Sportler zu einer Knorpeltransplantation mit einer Erfolgschance von 50 Prozent. Es war Operation Nummer drei.

Er habe es noch sechs weitere Monate probieren wollen, „und wenn es nicht mehr geht, dann ist das das Karriereende“, sagt Almer.

Nach 19 Monaten der Rehabilitationsphasen und drei Operationen trat Robert Almer im Juni 2018 zurück. Das Comeback war nicht mehr möglich.

Mentale Komponente

„Wenn man merkt, dass immer wieder Rückschläge kommen, wird es mühsamer. Man sieht, dass die Mannschaft ins Trainingslager fährt. Du bist in der Reha, und es kommen die ersten Meisterschaftsspiele“, erzählt Almer. Das sei eine nicht gerade angenehme Situation. Das konkrete Ziel zu verfolgen, wieder auf dem Platz zu stehen, helfe sehr.

Physiotherapie für Sportler

Sebastian Mitter arbeitet seit drei Jahren als Physiotherapeut im Orthopädischen Spital Speising. Nebenbei betreut er vier Mal in der Woche die U15-Mannschaft von Rapid Wien. Er und seine Kollegen sind als Physiotherapeuten die ersten Ansprechpersonen, wenn sich ein Spieler beim Spiel oder dem Training verletzt.

Im Falle einer Operation orientieren sich die Physiotherapeuten bei der Erstellung eines Therapieplans an den Vorgaben des Arztes. Bei einer Kreuzbandverletzung gehe es anfangs darum, dass man die Zeit abwarte, in der die ärztlichen Vorgaben gelten, „und dass man versucht, die volle Beweglichkeit des Kniegelenks wieder zu erreichen. Da ist am Anfang ganz wichtig, dass die Schwellung zurückgeht. Dann geht es weiter mit einem Kraftaufbau“, sagt Mitter.

Leistungssport versus Hobbysport

Leistungssportler hätten ein besseres Bewegungsgefühl, und auch die Versorgung für diese sei viel besser als etwa für Hobbysportler, sagt Mitter. „Dadurch, dass sie vor der Verletzung auf Leistungsniveau trainiert haben, steigen sie auch nach der Verletzung auf höherem Niveau wieder ein. Deshalb macht man da schnellere Fortschritte.“

Ähnlich sieht das Inge Gayer, Physiotherapeutin in Perchtoldsdorf. Leistungssportler könnten schneller wieder fit werden, auch weil sie generell fitter seien. Wahrnehmung der Körperstrukturen, Balance, die Fähigkeit, einfache Bewegungen umzusetzen, „das ist bei jemandem, der sich regelmäßig mit seinem Körper auseinandersetzt, auf einem ganz anderen Level als bei jemandem, der sagt: ,Ich habe Spaß dabei, mich zu bewegen‘, aber sich dann eigentlich erst durch die Verletzung kennenlernt.“

Methoden für jeden und jede, Verletzungen vorzubeugen?

Genauso wie es eine Ernährungspyramide gibt, sagt Gayer, gebe es auch eine Pyramide, „bei der man sich vorstellt, wie man eigentlich den Alltag gestalten sollte. Da hast du die allgemeinen Bewegungen in der Basis. Denn es gibt Leute, die gehen keine 400 Meter am Tag. Ich muss nicht jeden Tag ein Krafttraining machen, aber ich sollte in Bewegung bleiben.“

Jeder sollte Bewegungen in den Alltag einfließen lassen, „sich lang machen, groß machen, strecken“. Vor dem Sport sollte man sich aufwärmen und nicht direkt auf das Spielfeld rennen, empfiehlt die Physiotherapeutin. Bei kurzen Wegen könnte man auf das Auto verzichten und stattdessen zu Fuß gehen.

Wer braucht Physiotherapie?

Potenziell kann jeder Mensch eine Diagnose erhalten, mit der er oder sie zur Physiotherapie überwiesen wird. Inge Gayer therapiert Menschen ab dem vierten Lebensjahr. Der große Teil sind junge Erwachsene und Senioren.

Nackenschmerzen und Schmerzen im Lendenbereich sind sehr häufige Ursachen für eine Überweisung zur Physiotherapie. Als Physiotherapeutin müsse Gayer dann herausfinden, was der Hintergrund der Beschwerden ist. „Wenn du beginnst, mit den Leuten zu arbeiten, dann kommst du vielleicht drauf, dass derjenige in der Vergangenheit einen Skiunfall hatte, sich seinen Unterschenkel gebrochen hat, seitdem Bewegungseinschränkungen im Sprunggelenk hat, und dann hat sich ein anderes Problem draufgesetzt“, schildert Gayer.

Mit einer ärztlichen Zuweisung beginnt die Arbeit einer Physiotherapeutin oder eines Physiotherapeuten. In Österreich gibt es Verordnungsserien von zehn Einheiten. Wenn man sich für eine Wahl-Physiotherapeutin oder einen Wahl-Physiotherapeuten entscheidet, dann kann man einen Teil der Behandlungskosten von der Krankenkasse zurückbekommen. In Vertragsinstituten besteht aber auch die Möglichkeit, sich behandeln zu lassen.

„Der Stellenwert der Physiotherapie ist größer geworden“, sagt Gayer und merkt an, dass viele Sportler nach ihrer Karriere ebenfalls die Ausbildung der Physiotherapie machen wollen. Und wie es der Zufall so will, erwähnt Robert Almer während des Interviews ganz nebenbei, dass er wahrscheinlich auch mit dem Studium der Physiotherapie anfangen möchte aufgrund seiner eigenen Erfahrungen.

Gewonnene Agilität

„Das Problem ist nicht gelöst, und der Schaden bleibt auch in der Form. Es ist nur eine Frage der Zeit oder ein Hinauszögern des künstlichen Kniegelenks. Mir geht es jetzt aktuell gut. Natürlich ist das Knie immer wieder dick, wenn es ein bisschen zu viel belastet wird, aber therapietechnisch mache ich alles selbst“, sagt Almer. „Bei den Austria-Legenden habe ich jetzt einmal ein Spiel mitgemacht. Dann braucht man aber eine Woche oder zwei Wochen Pause. Es würde natürlich kitzeln, es würde Spaß machen, aber wenn die Schmerzen dementsprechend hoch sind, dann ist es schwierig. Und wenn dir dann der Zweijährige im Garten davonläuft, weil du gar nicht laufen kannst, stimmt das schon nachdenklich“, so Almer. Deswegen sei er heute froh darüber, dass er sich zumindest ein bisschen bewegen und in der Freizeit hin und wieder etwas mit den Kindern unternehmen könne. „Auch wenn ich dann ein paar Tage Pause brauche. Diese gewonnene Agilität will ich mir einfach auch für später bewahren. Weil ich weiß: Ohne dass ich wirklich aktiv körperlich etwas mache, wird es nicht besser werden.“

Physiotherapie

Physiotherapie arbeitet mit Bewegung und dient der Behandlung und der Vorbeugung von körperlichen Beschwerden. Sie wird von ausgebildeten Physiotherapeuten durchgeführt und gilt als Alternative oder Ergänzung zu operativen Behandlungen.

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