Wrabetz: „Der ORF wird komplett neu aufgestellt“

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Alexander Wrabetz will den ORF ab 2015 jedenfalls neu strukturieren – egal, ob er nach St. Marx übersiedelt oder am Küniglberg in Hietzing bleibt. Er muss weiter sparen, will aber niemanden kündigen.

Alexander Wrabetz ist bestens gelaunt. Kurz vor seinem Urlaub lädt er mehrere Zeitungen und die Austria Presse Agentur zum Interview, um Bilanz über die ersten Monate seiner zweiten Amtszeit als ORF-Generaldirektor zu ziehen. Auch wenn er diese Periode mit dem positiven Jahresabschluss für 2011 und einem guten Start ins neue Programm beschönigt, lief zuletzt längst nicht alles rund im ORF-Zentrum am Küniglberg. Das Jahr begann mit der öffentlich und vor allem ORF-intern intensiv geführten Debatte, ob es legitim ist, dass ein SPÖ-Stiftungsrat Büroleiter des ORF-Chefs wird; und erst Ende Juni wurde die schon lange ausstehende Entscheidung über den künftigen Standort des ORF doch wieder auf den Herbst vertagt. Vielleicht mit ein Grund, wieso Alexander Wrabetz so entspannt wirkt wie schon länger nicht.

Die Presse: Sind Sie erleichtert, dass die Standortentscheidung vorerst wieder vom Tisch ist?

Alexander Wrabetz: Sie ist ja nicht vom Tisch. Wir haben mit dem Stiftungsrat einen Zeitplan und wollen bis 13. September zu einer Entscheidung kommen.

Es heißt, der Umzug nach St. Marx sei durch Ihre Verzögerungstaktik abgewendet, Entscheidung quasi gefallen.

Nein. Wir haben eine Entscheidungsnotwendigkeit. Durch Fragen des Denkmalschutzes und die Problematik dieses Hauses werden wir sehr viel Geld aufwenden und sehr viel Unannehmlichkeiten auf uns nehmen müssen. Das wird uns belasten. Der ORF wird in den nächsten Jahren komplett neu aufgestellt werden - und die Frage ist: Wie kann das räumlich am besten unterstützt werden?

Wenn Sie im Stiftungsrat keine breite Unterstützung finden, bleibt alles, wie es ist?

Nein, dann werden wir den ORF auch ganz umgestalten. Dann müssen wir es eben mit einer anderen räumlichen Hülle tun.

Abseits der Wünsche von Politik und Mitarbeitern und des Budgets: Wo wollen Sie den ORF haben?

Das ist ja nicht die Frage. . . Die Standortentscheidung muss die Zukunft des ORF erleichtern und nicht erschweren. Dass man bei einer Neuaufstellung von Grund auf alles richtiger machen kann, ist klar. Manche hätten gern, dass ich mich nach 478 gewonnenen Abstimmungen im Stiftungsrat dann vielleicht einmal nicht durchsetze.

Sie haben das genau nachgezählt?

Ja. 478 - seit 1999.

Am 13. September sollen Sie dem Stiftungsrat Ihren Standortvorschlag vorlegen. Erst im Oktober gibt es eine Zukunfts- und Strategieklausur. Ist das nicht die verkehrte Reihenfolge?

Nein. Wie gesagt, das eine hat mit dem anderen nur indirekt zu tun, wir machen ja keine Standortklausur. Ab 2015 wird sich die Rundfunk- und Medienlandschaft noch einmal gravierend verändern - in Richtung Smart-TV, wo Internet und Fernsehen auf dem Fernsehbildschirm zusammenkommen. Damit verbunden ist die Frage: Wie schaut die Finanzierung von öffentlich-rechtlichem Rundfunk in fünf bis zehn Jahren aus?

An welche neuen Finanzierungsmodelle denken Sie?

In Deutschland gibt es eine Haushaltsabgabe, in Finnland eine einkommensabhängige Rundfunkabgabe. Die BBC wird ab 2016 eine neue Charta haben - die fangen jetzt an zu überlegen, wie „sustainable funding" für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ab 2015 aussieht. Für mich ist klar: Ich möchte eine staatsferne Finanzierung. Wo öffentlich-rechtlicher Rundfunk aus dem Budget oder direkt über Steuern finanziert wird, bekommt man rasch Probleme. Man steht in direkter Konkurrenz mit jedem Autobahnteilstück und bei den Budgetverhandlungen nahe der Politik. Die Gebührenrefundierung, die 2013 ausläuft, muss bis zum neuen Finanzierungsmodell verlängert werden.

Sollte die Rundfunkgebühr zweckgebunden sein?

Ja. Derzeit nimmt der Staat unter dem Titel Rundfunkgebühr weit mehr ein, als wir an Refundierung oder RTR-Förderungen wieder bekommen. Die Gebühr sollte Medienzwecken dienen - auch der RTR- und Privatmedienförderung, von mir aus auch Printförderung.

Vor ein paar Wochen hat Bundeskanzler Faymann im „Kurier" beklagt, der Stiftungsrat wäre „unübersichtlich", und einen „ordentlichen" Aufsichtsrat gefordert. Waren Sie verstimmt?

Es ist legitim, dass man seitens der Politik überlegt, wie die ORF-Aufsichtsgremien zusammengesetzt sein sollen. Nach der Diskussion der letzten Monate, die auch von unseren Redakteursräten angefacht war, finde ich es gut, dass es eine Arbeitsgruppe bei Staatssekretär Ostermayer gibt, damit ist die Emotion herausgenommen und die Diskussion versachlicht.

Aber ist das nicht eine seltsame Optik? Da wollte die SPÖ mit Nikolaus Pelinka einen aus ihren Reihen als Büroleiter in Ihr Vorzimmer setzen - und nachdem das nicht geklappt hat, kritisiert der SP-Kanzler den ORF-Aufsichtsrat.

Zunächst ist festzuhalten, dass ich Niko Pelinka in den ORF holen wollte und nicht die SPÖ. Die öffentliche Debatte hat nur gezeigt, dass der ORF große Wichtigkeit im Lande hat. Die Österreicher schauen alle zusammen acht Millionen Stunden ORF-Fernsehprogramme und hören 18 Millionen Stunden ORF-Radioprogramme am Tag. Das gibt es sonst nirgendwo mehr. Ein internationales Beratungsunternehmen hat festgestellt, dass ich die „most focussed media-person in Europe" bin. Es gibt in keinem anderen Land so viel Berichterstattung über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Trotzdem wusste nur ein Fünftel der Bewerber für das Journalismus-Studium an der FH Graz, wer Sie sind.

Mir ist lieber, dass die Leute über unser Programm informiert sind. Wenn man nach dem Chef der ARD oder des ZDF fragen würde, dann würden noch ganz andere Zahlen rauskommen.

Was würden Sie rückblickend in der Causa Pelinka anders machen?

Es geht darum, dass man den ORF nach Möglichkeit aus großen Diskussionen heraushält. Und das ist da nicht gelungen. Aber es ist jetzt sechs Monate her, und es kommt einem vor wie eine Ewigkeit, und es ist wieder Ruhe eingekehrt.

Der Medienbranche geht es insgesamt nicht gut. Wie stark sind die Werbeeinnahmen im ORF zurückgegangen?

Wir haben uns im ersten Halbjahr wacker geschlagen. Wir liegen ein paar Prozent unter dem Vorjahr und wenig unter dem Budget.

Sie fordern von der Belegschaft Abstriche bei bestehenden Kollektivverträgen - sonst drohen Kündigungen. Wo wären diese noch möglich?

Das ist ganz schwierig. Wir haben jetzt um fast 600 Mitarbeiter weniger als vor drei Jahren, wir hatten eine Nulllohnrunde, Einschränkungen bei bestehenden Kollektivverträgen. Bei AUA und Co. haben solche Verhandlungen fast zum Zusammenbruch des Unternehmens geführt. Trotzdem müssen wir leider auf der Kostenseite weitere Schritte setzen, weil wir in Bereichen wie z. B. bei den Sportrechten Kostensteigerungen haben und die Eigenproduktionen stärken wollen. Das heißt, wir müssen mit gleichen oder weniger Mitteln mehr produzieren. Aber wir haben es bis jetzt geschafft, Kündigungen zu vermeiden, und das würde ich auch gern beibehalten.

Die freien Mitarbeiter werden in den Verhandlungen gar nicht gefragt. Ist es sinnvoll, beim Kern des Unternehmens zu sparen - bei jenen, die für die Inhalte verantwortlich sind, etwa bei Ö1?

Der ORF besteht fast nur aus Kernen, die wichtig sind. Natürlich ist Ö1 eine große Kernkompetenz, und ich finde, dass dort die angestellten und die freien Mitarbeiter hervorragende Arbeit leisten. Wir werden gewisse Honorarpositionen anpassen. Es ist auch für uns ein ungewohnter Prozess, dass da nicht mit dem Betriebsrat verhandelt wird, sondern mit einer freien Organisationsform. Da muss man auch einen Weg zu einem sozialpartnerschaftlichen Verhandlungsprozess finden.

Wie geht es mit dem Social-Media-Verbot weiter? Die Beschwerde der Verleger liegt nun beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH).

Wir werden sehen, wie der VwGH entscheidet, aber sicherheitshalber sollte auch der Gesetzgeber klarstellen, dass der ORF für die Kommunikation mit seinen Kunden Social Networks benützen darf. Nach wie vor bin ich der Meinung, wir sollten sie nicht betreiben und nicht an solchen beteiligt sein. Es geht aber weniger um Facebook, wie es jetzt genutzt wird, sondern perspektivisch um das zukünftige Zusammenwachsen von Internet und TV auf dem „first screen", also dem Fernsehgerät und die damit verbundenen neuen Nutzungsformen, Beispiel: „Recommend"-Funktionen für TV-Programme via Social Networks.

Das heißt, hier wünschen Sie sich eine Gesetzesänderung?

Wenn der Verwaltungsgerichtshof uns recht gibt, braucht es diese nicht. Es gibt einfach eine Begriffsungenauigkeit, aber aus den Gesprächen mit den Verlegern orte ich da eine Gesprächsbereitschaft, dass wir diese beseitigen.

Wieso hat sich der ORF nicht schon 2010 bei der Gesetzwerdung lauter gegen diesen Passus gewehrt?

Es gab damals die Sorge der Verleger, dass wir z. B. mit einem damals noch viel kleineren Facebook eine Kooperation eingehen, bei der wir dann z. B. auch an den Werbeerlösen beteiligt werden oder bestimmte Inhalte, die uns im Gesetz nicht erlaubt sind, auslagern. Wir wissen, dass ORF und Verleger im Internet, also auf den PCs und Tablets, plötzlich Wettbewerber sind. Und da sind wir auch der Meinung, es muss eine vernünftige Aufgabenverteilung geben. Wir machen z. B. keine Special-Interest-Kanäle und dürfen bestimmte Werbeformen nicht machen. Das ist eine vernünftige Klärung der Grenzen, die anderen Ländern nicht gelungen ist.

Welche Punkte wollen Sie im Gesetz noch geändert haben?

Neben der Social-Media-Klarstellung muss das Verbot der Crosspromotion für ORF III beseitigt werden und die Verlängerung der Refundierung der entgangenen Gebühreneinnahmen bis zu einer Neuregelung festgehalten werden.

Kritiker fragen, wieso dem ORF nicht zwei Kanäle reichen, um öffentlich-rechtliches Kulturprogamm abzudecken.

Diese Kritik habe ich noch nie gehört, im Gegenteil, ORF III wird sehr gut angenommen, allerorts gelobt und läuft sehr erfolgreich. Wichtig ist mir: ORF III bietet ein zusätzliches Angebot an Information und Kultur, das Info- und Kulturangebot in den Vollprogrammen, insbesondere in ORF2, wird dadurch nicht reduziert.

Hie und da twittern Sie auch. Machen Sie das selbst, oder lassen Sie twittern?

Nein, das mache ich selbst. Deswegen ist es auch nicht so oft.

Wie stark nutzen Sie Social Media?

Twitter verfolge ich gern, das ist manchmal ganz lustig und aufschlussreich, aber auch ärgerlich. Das ist ein zusätzliches Sensorium, vergleichbar mit dem Kundendienst.

Wie groß ist Ihre Fangemeinde bei Facebook?

Bei Friends bin ich etwas selektiv. Ich versuche, nur mit Menschen befreundet zu sein, die ich wirklich persönlich kenne.

Bei Ihrer Bewerbung für eine zweite Amtszeit haben Sie ein Frühstücksmagazin angekündigt. Jetzt ist es ein Mittagsmagazin geworden. Gibt's den Mittag billiger als das Frühstück?

TV-Direktorin Kathrin Zechner hat das genau berechnet. Wenn wir in der Mittagszeit eine Dreiviertelstunde mehr Information bringen und damit die Marktanteile erreichen, die wir anstreben, dann werden insgesamt mehr Zuschauer mit ORF-Information erreicht als in der Früh, weil es in Österreich nach wie vor kein Frühfernsehpublikum gibt. Zudem ist es von der Produktionslogistik leicht mit dem Frühabend zu verbinden, und es müssen keine eigenen Frühschichten eingeführt werden.

Wie wird das finanziert, diese zusätzliche Dreiviertelstunde Information?

Indem man die Ressourcen, mit denen wir den Vorabend produzieren, verteilt. Und mit Zulieferungen aus den Landesstudios.

Stimmt es, dass der zweite Schritt der Programmreform, der für Anfang 2013 geplant ist, derzeit auf der Kippe steht, weil die von Kathrin Zechner dafür geforderten 70 Mio. Euro mehr pro Jahr nicht vorhanden ist?

Nein, das stimmt nicht. Wahr ist, dass die Fernsehdirektorin ein Maximum an Ressourcen für das TV-Programm freischaufeln will. Da ist sie eines Sinnes mit mir und dem Kaufmännischen Direktor. Wir können aber nur das Geld ausgeben, das da ist. Im Rahmen der bestehenden finanziellen Möglichkeiten werden wir das TV-Programm weiterentwickeln - wie jeder andere Fernsehsender der Welt auch.

Es gibt immer wieder neue Gerüchte. Derzeit rund um den „Report", und dass Frau Waldner zu Ö1 wechselt.

Den „Report" wird es weiter geben. Und der „Report" wird sich möglicherweise auch weiterentwickeln. Fix ist, dass Brigitte Schwarz nach Berlin geht, dann ist die Frage, wer ihr in der Radioinformation nachfolgt. Es könnte also Veränderungen geben, aber nicht am „Report" an sich.

Sie könnten sich nun nach Ihrer Wiederbestellung ja vollkommen von der Politik lösen und sich nicht dreinreden lassen. Warum geht das nicht?

Ich lasse mir da nichts dreinreden. Fakt ist: Ich habe ein sehr gutes Team bestellt. Nach sechs Monaten kann man sagen, die machen alle eine sehr gute Arbeit. Wir sind das am besten aufgestellte Rundfunkunternehmen in Europa. Daher kann man sagen, ich mache das schon grosso modo richtig. Und es ist uns gelungen, weitgehend aus der politischen Diskussion wieder herauszukommen. Das ist mein Weg, den ich fortsetzen möchte.

Ist das Ihr letztes Interview in Ihrem Büro, bevor das Gebäude saniert wird? Wann werden Sie übersiedeln?

Ende August.

Und wohin? Wird es im Containerdorf nebenan so etwas wie einen sechsten Stock, eine Chefetage, geben?

Nein. Die Container haben nur drei Stockwerke. Ich übersiedle in das Enterprise-Gebäude, so gesehen in den ersten Stock.

Auf einen Blick

Auch wenn der Marktanteil der ORF-Senderflotte kontinuierlich sinkt, schneidet der ORF im Vergleich zu öffentlich-rechtlichen Sendern in anderen europäischen Ländern immer noch gut ab. Der Gesamtmarktanteil 2011 betrug 35,7 Prozent, höher ist er nur in Belgien (41,8) und Finnland (40,1). Europas niedrigste Marktanteile hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Griechenland mit 13,3 Prozent.

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