Auf tausend Arten um die Erde

tausend Arten Erde
tausend Arten Erde(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Erwin Scheriau)
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Die Welt zu umrunden ist mittlerweile eine beliebte Mission. Für die Selbstfindung, für einen guten Zweck - oder weil es sonst noch niemand auf genau diese Weise gemacht hat.

Manchmal entsteht der Eindruck, es würde eh schon jeder machen. Fast schon im Wochentakt tauchen Meldungen von Menschen auf, die die Welt umrunden: Mit dem Auto oder dem Motorrad, zu Pferd oder zu Fuß, mit dem Segelboot oder per Anhalter.

Ging es bei frühen Weltumrundungen noch darum, die Kugelform der Erde zu beweisen oder neues Land zu entdecken, zu erobern und zu vermessen, treibt moderne Globetrotter vor allem eines: die Lust an der Selbstverwirklichung. Viele wollen etwas Neues machen. Etwas, das noch keiner vor ihnen gemacht hat. Und ein bisschen gefährlich darf sie natürlich auch sein, die Reise. „Was, du warst im Iran?“, fragen die Freunde den Heimkehrer, anerkennende Blicke streifen über sein wettergegerbtes Gesicht. „Bist durch Afghanistan gereist? Allein? Über den Hindukusch? Durch ein Krisengebiet?“ Jaja, lautet dann die Antwort. Die Leute dort sind nett. Das ist gar nicht so, wie das in den Medien immer dargestellt wird. Immer wurde ich freundlich und offen empfangen, immer wurde mir der beste Platz in der Hütte angeboten.

Und schon ist man so weit: Der Reisende wird zum Stellvertreter für alles, was wild und losgelöst ist, schonungslos projiziert man eigene Wünsche nach Freiheit und Abenteuer auf ihn. Nachteile und unschöne Seiten der Reise werden ausgeblendet oder im Nachhinein beschönigt. Denn der Globetrotter erzählt kaum von den Eskapaden stundenlanger Märsche oder der Langeweile während tagelanger Busfahrten durch die Pampa – im Nachhinein werden diese Zeiten extremer Öde gerne als Phasen tief gehender Meditation verkauft.

Reisen für Charity. Anscheinend wird es dabei immer wichtiger, die Reise nicht nur für sich selbst zu unternehmen – Wohlfahrt und Nächstenliebe spielen eine zunehmend größere Rolle. So sammelt etwa der Ire James Thomas auf seinem Fußmarsch von Schottland nach Neuseeland Spendengelder für Unicef. Auf die Idee kam er, weil ihm seine damalige Freundin, als er ihr von dem Plan erzählte, vorwarf, egozentrisch zu sein. Oder der britische Blogger Paul Smith: Er versuchte, in dreißig Tagen von England nach Neuseeland und zurück zu reisen, dabei sammelte er Spenden für ein Wasserprojekt. Den Weg zurück schaffte er zwar nicht zeitgerecht, am Ende hatte er aber über 5000 Pfund lukriert. Dieser Trend zur Charity kommt aus den USA, hat aber mittlerweile auch Mitteleuropa erreicht. Die Österreicher Sebastian Gypser und Martin Lion machten sich vor einem guten Jahr daran, mit ihren Motorrädern um die Erde zu fahren. Während der 50.000 Kilometer langen Reise sammelten sie Spendengelder für ein SOS-Kinderdorf in Peru. „Wenn man ab und zu nach dem Weg fragen muss“, sagt Gypser, „lernt man Leute kennen und erlebt schöne Überraschungen.“ Allen Warnungen zum Trotz seien sie auch im Iran und in Pakistan sehr freundlich empfangen worden. In Pakistan haben sie eine Nacht mit anderen Männern in einem Hostel verbracht. Die Männer waren höflich und teilten ihr Essen mit ihnen, später seien sie bewaffnet auf der Terrasse gesessen, „damit wir uns beschützt fühlen“. Natürlich haben Gypser und Lion auch gefährliche Situationen erlebt: „Einmal fuhren wir an einem ausgebrannten Tankwagen der Nato vorbei“, sagt Gypser, „da wird einem bewusst, dass man sich doch in einem Krisengebiet befindet.“


Auf dem Pferderücken. Überraschenderweise scheinen sich die wenigsten aufzumachen, nur um die Welt zu sehen. Oft sind es persönliche Gründe wie der nahende dreißigste Geburtstag, das Scheitern im Beruf, innere Rastlosigkeit.

Bevor Manfred Schulze um die Erde ritt, war er Kleinunternehmer, durch die Modernisierung ging sein Unternehmen zugrunde. „Meine Lebensaufgabe war zerstört“, sagt er. Der Deutsche wollte die Welt kennenlernen, auf Menschen anderer Kulturen treffen, ihre Lebensweise erkunden. Bei Recherchen fand er heraus, dass die Welt schon auf alle möglichen Arten umrundet wurde, nur eben noch nicht zu Pferd. 1994 brach er mit zwei Pferden auf, nach viereinhalb Jahren kam er wieder, um ein Pferd reicher – seine Stute war in der Mongolei von einem wilden Hengst gedeckt worden. Hat er jemals daran gedacht aufzugeben? „Ich stand oft vor scheinbar Unüberwindbarem“, sagt Schulze, „aber Aufgeben kam für mich wegen der Schmach nicht infrage.“ Außerdem hätte er die Pferde niemals zurückgelassen, „denn sie waren mir inzwischen viel näher als jeder Mensch“.

Bei Sepp Kaiser war es schlicht Langeweile, die ihn auf die Idee brachte, alle Länder der Erde zu besuchen. Seit seinem 19.Lebensjahr war der Niederösterreicher mehr unterwegs als zu Hause, nun suchte er nach einer neuen Herausforderung. Noch nie hatte jemand in einer einzigen Reise alle Länder der Erde besucht, Kaiser wollte der Erste sein. Um möglichst billig voranzukommen, reiste er, wenn möglich, per Autostopp. Während ihn erst die Abenteuerlust antrieb, hat er jetzt ein anderes Motiv: Er hat emotional viel investiert, „zu viel, um loszulassen“. Dabei sei es zum Schuss nicht mehr lustig gewesen, vor allem in Afrika: „Ich wollte mehr als einmal abbrechen.“ Nach etwa zehn Jahren hatte Kaiser alle 192 Länder besucht, die damals von der UNO als souveräne Staaten anerkannt wurden. Sein Erfolg: Die Rekordreise brachte ihm einen Eintrag ins Guinness-Buch.


Lukrative Heimkehr. Und natürlich lässt sich eine Reise auch zu Geld machen. Wilfried Erdmann ist nicht nur der erste Deutsche, der allein die Welt umrundete, er machte auch Karriere damit. Vier Mal segelte er um den Globus, zuletzt als 60-Jähriger: Von Cuxhafen gegen den Wind, also von Ost nach West, ohne auch nur ein einziges Mal Land zu betreten. Mit seinen Nonstop-Segeltouren verdiente Erdmann sich seinen Lebensunterhalt, sein Buch „Allein gegen den Wind“ stand 32 Wochen lang auf der „Spiegel“-Bestsellerliste.

Schon Friedrich Gustav Kögel und Fred Thörner, die ersten Menschen, die 1894 zu Fuß um den Globus gingen, verdienten ihren Lebensunterhalt mit Berichten, Vorträgen und dem Verkauf ihrer Fotos. Diashows, Seminare, Erlebnisberichte – Geld spielt immer eine wichtige Rolle. Von gescheiterten Weltumrundern hört man indes nicht allzu viel. Vielleicht kommen ja einfach nur ihre Diavorträge nicht so gut an...

Weltreisen

Friedrich Kögel und Fred Thörner
waren die Ersten, die um die Erde gingen (1894–1896).

Ida Pfeiffer
war die erste Frau, die die Welt umrundete (1842–1895).

George Francis Train
fuhr 1870 in 80 Tagen um die Welt und wurde Vorbild für Jules Vernes Roman.

Thomas Stevens
war der Erste, der die Reise mit dem Fahrrad (Hochrad) wagte (1884–1886).

Mike Horn
umrundete die Erde zwei Mal ohne motorisierte Hilfsmittel: mit dem Rad, Segelboot und zu Fuß (1999 und 2003).

Louis Palmer
fuhr als Erster mit einem Solarauto um den Globus (2007–2008).

Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström
umrundeten als Erste in einem Auto die Welt (1927–1929).

Die Victoria
war das erste Schiff, das die Welt umsegelte (1519–1522). Kapitän Ferdinand Magellan starb vor der Heimkehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2012)

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