Bayreuth feuert Sänger wegen Hakenkreuztätowierung

Was tun, wenn ein russischer Bariton einst in einer Heavy-Metal-Band gedrummt und kahlrasiert gegen das Establishment aufbegehrt hat?

Jetzt wissen wir, wie Kryptofaschismus ausschaut. Verborgen, wie die griechische Vorsilbe erheischt, ist das Hakenkreuz auf der Brust des Wagner-Sängers: Die Tätowierung wurde bunt „übermalt“, eine Art zeitgemäßes Feigenblatt. „Ohne Tattoos“, sagt Evgeni Nikitin, sei Rock nicht ernst zu nehmen.

Das war einmal in seinem Leben. Jetzt ist er nicht mehr Schlagzeuger in einer Heavy-Metal-Band, sondern Opernsänger, ob in St. Petersburg unter seinem Förderer Valery Gergiev oder sonst wo in der Welt unter Zubin Mehta oder Sir Simon Rattle.

Wagner ließe sich ohne Körpermalereien zwar ernsthaft singen. Mit solchen jedoch nicht, wie sich zeigt. Denn die Bayreuther Festspiele verzichten nach sechswöchigen Proben auf ihren neuen „Fliegenden Holländer“. Eine ZDF-Sendung brachte das Nazi-Symbol ans Licht. Beinahe. Man kann es ahnen, das dicke Zeichen, unter der bunten, abstrakten Farborgie.

Da nützt weder Zerknirschung noch der Verweis auf eine Jugenddummheit. Zwar ließe sich einwenden, ein Hakenkreuz auf der Brust eines jungen Russen, bald nach dem Fall der kommunistischen Diktatur, das hatte vielleicht anderes zu bedeuten, sollte anderes signalisieren als den Willen zur NS-Wiederbetätigung.

Vielleicht symbolisierte es sogar Protest gegen Wiederbetätigungen anderer Natur – etwa unter roten Sternen oder Verwandtem. Dagegen gibt es freilich keine Wiederbetätigungsparagraphen. (Zynische Beobachter der Kulturszene würden hier vielleicht ergänzen: ganz im Gegenteil...)

Ein Hakenkreuz aber, auch noch so verdeckt, in Bayreuth zumal – das geht nicht. Nicht mehr. Nicht auf der Brust eines der Mitwirkenden.

Das hat auch etwas mit der Geschichte des Festivals zu tun, die ja in diversen aktuellen Inszenierungen sogar mitverarbeitet wird. Hakenkreuzfahnen, die wehen derzeit auf dem grünen Hügel, in Stefan Herheims „Parsifal“-Inszenierung, werden dann aber vom Gralsritter als Symbol der „falschen Pracht“ wieder eingeholt und vernichtet.

Das Symbol aber auf der Brust eines Holländers zu wissen, auch wenn der sich mittlerweile noch so sehr dafür geniert, das will man sich nicht leisten. Auch um den Preis, einen der wenigen Sänger zu verlieren, die heute überhaupt imstande sind, eine der anspruchsvollsten Wagner-Partien zu singen.

Nikitin hatte ein Hakenkreuz auf der Brust, hat mit dem Nationalsozialismus vielleicht nie etwas „am Hut“ gehabt, hätte aber den Holländer „drauf“. Bayreuth hisst die Hakenkreuzfahne aus künstlerischen Erwägungen auf der Bühne, hatte einst viel Sympathie für Hitler und hat im Moment nur „Lohengrin“-Heerrufer Samuel Youn als „Holländer“-Ersatz.

Nikitin hat zugegeben, als Jugendlicher die Tragweite seiner Entscheidung nicht annähernd erkannt zu haben...

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2012)

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