Abseits der Szeneviertel: Leben im anonymen Grätzel

Erlebnis Oesterreich 'Universum Bassena: Das Schoepfwerk und seine Bewohner'
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Die Wiener Grätzel entstehen nicht nur durch Impulse von außen – es gibt sie auch, weil die Bewohner wenig Möglichkeiten haben, ihre Umgebung regelmäßig zu verlassen.

Wien. Es gibt Grätzel und es gibt Grätzel. Während es sich auf der einen Seite die schicke Wiener Bohème in ihrem (multikulturellen) Szeneviertel ganz gemütlich einrichtet, fristen die anderen Grätzel ein eher anonymes Dasein. Da gibt es weder pastellfarbene Cupcake-Läden noch psychedelisch bemalte Graffitiwände.

Dennoch ist der Bezug der Bewohner zu ihrem Grätzel recht stark ausgeprägt: Laut einer Studie des Instituts für Stadt und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben über 60 Prozent der Befragten am Ludo-Hartmann-Platz (Ottakring) und in der Laudongasse (Josefstadt) angegeben, sich stark mit ihrer Wohngegend identifizieren zu können. Dennoch sei dieser hohe Zuspruch nicht vergleichbar mit der Grätzelidentität am Brunnenmarkt, Karmeliterplatz oder Spittelberg, sagt Josef Kohlbacher von der ÖAW, einer der Studienautoren. Diese Gegenden seien durch viele Initiativen „hip“ geworden. Wenn normalerweise in Wien auf die Frage „Wo wohnst du?“ eher der Bezirk angegeben werde, sei das bei den Trendgrätzeln anders: „Ich wohne am Spittelberg.“

Diese Aufwertung führe letztlich auch dazu, dass die Mietpreise steigen. Die finanzielle Komponente ist es auch, die die unsichtbaren Grätzel oft zum Lebensmittelpunkt ihrer Bewohner macht – „sozioökonomische Faktoren“ sagt Kohlbacher dazu: „Viele haben kein Auto und sind durch öffentliche Verkehrsmittel auch nicht so mobil. Kostspielige Freizeitaktivitäten fallen weg.“ Davon seien auch viele Migrantenfamilien betroffen, deren soziale Netze (Verwandte, Bekannte aus derselben ethnischen Gruppe) sich aber oft im selben Grätzel befinden würden. Der Bezug zum eigenen Grätzel hänge auch davon ab, ob die Betroffenen in der Nähe ihres Wohnortes arbeiten – und damit mehrere Stunden am Tag dort verbringen – oder weit davon entfernt.

Schöpfwerk: Corporate Identity

Ältere Menschen seien auch eher grätzelbezogen, so Kohlbacher, wobei bei allen genannten Gruppen keine pauschalen Trends auszumachen seien. Denn andere Ältere hätten eben Schrebergärten am Stadtrand.

Kein Grätzel ist auf den ersten Blick die Wohnhausanlage „Am Schöpfwerk“ (Meidling). Dabei gebe es auch hier eine „Corporate Identity“, wenn auch nicht so stark wie in den Szenevierteln. Damit der Bezug zum Grätzel aber stärker werde, müssten bewusst Impulse (wie Parks oder markante Plätze) gesetzt werden. Kohlbacher: „Ganz von selbst kommt es auch nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2012)

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