Die Festspiele gehen in die Breite

Eine erste Zwischenbilanz anhand des Theaters: Universalist Sven-Eric Bechtolf versteht viel von Kunst. Und Kommerz. Er weiß auch, wo man etwas riskieren darf.

Für eine Bewertung der Salzburger Festspiele 2012 ist es noch viel zu früh, selbst wenn Anna Netrebko bereits gesungen hat und die Garderobe der Buhlschaft bereits bewundert werden durfte. Nach einer Woche Vorspiel mit multikultureller geistlicher Musik und einer weiteren Woche mit den ersten großen Premieren steht fest, dass der neue Intendant Alexander Pereira gewaltig expandiert hat, ohne gleich die Drohung mit dem Rücktritt wahrmachen zu müssen. Salzburg brummt. Bald wird es ein Ganzjahresevent sein. Heuer erregt es auch deshalb mehr Aufmerksamkeit, weil die Führungsspitze des Festivals bis auf die konstant verlässliche, moderierende Präsidentin Helga Rabl-Stadler völlig neu besetzt ist.

Wenn man die Zwischenbilanz aus der Perspektive des Theaters sieht, darf man gar behaupten, dass Theaterleiter Sven-Eric Bechtolf sein Geschäft außerordentlich gut versteht. Er hat das Angebot wie ein guter Kaufmann breit gestreut und bietet es zugleich konzentriert an. Andrea Breth ist zwar keine Überraschung auf dem Spielplan, doch Garantin für höchste Qualität. Dass sie und ihr Team mit der Inszenierung von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ eine fantastische, frische Interpretation abgeliefert haben, ist ein Glücksfall. Viele Kritiker im deutschen Feuilleton haben jubiliert. Wichtiger noch für Bechtolf: Das Publikum war begeistert.


So lässt es sich leicht verschmerzen, dass die zweite große Premiere, Irina Brooks Regie zu Ibsens „Peer Gynt“, auf der Pernerinsel, die an zehn Abenden jeweils 800 Zuseher anlocken soll, ziemlich plakativ geraten ist. Auftragswerke sind immer riskant. Aber in diesem Fall zählt der Glamour-Faktor. Songs von Iggy Pop, Gedichte von Sam Shepard. Und internationales Flair – Englisch in diversen Akzenten von Island bis Indien, das ist Showbusiness!

Die zweite Arbeit von Frau Brook, der Tochter des großen Theatermachers Peter Brook, wird ungefährdet sein. „La Tempête“, ihre französische Inszenierung von Shakespeares tollem Zauberspiel, gehört inzwischen schon zum Repertoire der globalen Wanderbühne.

Risiko ging der Salzburger Theaterchef bisher nur beim „Young Directors Project“ ein. Er nahm den seit elf Jahren bestehenden Wettbewerb ernst und schickte tatsächlich junge Truppen ins Rennen. Das war nicht immer so. Zuweilen gab es beim „YDP“ auch Etikettenschwindel, wurde fast schon Arriviertes gezeigt. Die erste Produktion, „Trapped“ von Princess Zinzi Mhlongo, war ein spektakulärer Flop. Macht nichts, einen wie Alvis Hermanis 2003 entdeckt man nur alle heiligen Zeiten. Im „republic“, wo das „YDP“ residiert, wird ohnehin Berühmtheiten im Publikum fast so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie den Aufführungen. Was diesem Theater der Jugend allerdings noch fehlt, ist ein handfester Skandal. Es kann doch nicht sein, dass die meiste Aufregung in diesem Sommer vom Intendanten selbst kommt, der zum Auftakt grollend von der öffentlichen Hand mehr Cash gefordert hat, damit sich das Geschäft mit den Stars der Oper tatsächlich rechnet.


Um die Oper – das ist die herrschende Musikkritikermeinung der „Presse“ – hat sich ausgerechnet der Theaterleiter am meisten verdient gemacht, als Regisseur. Sein Arrangement der Urfassung der „Ariadne“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal war schlicht genial. Sollte also der Intendant in den nächsten Jahren erneut damit drohen, dass er Salzburg nun im Ernst frühzeitig verlasse, weil zu wenig Geld für Hochämter und Bälle und das Dauerfest da sei, weiß das Kuratorium, dass es bereits einen universal einsetzbaren Mann im Salzburger Führungsteam hat, der etwas von Kunst und Kommerz versteht.

Von der großen Oper bis zum entzückenden Puppenspiel ist dem kreativen Bechtolf nichts fremd. Dass er den „Jedermann“ in der kommenden Saison selbst frisch inszenierte, wäre also wohl Ehrensache. Dann wüsste man auch beim Theaterprogramm, das in diesem Jahr, wie gesagt, sehr eklektisch angelegt ist, was dem Schauspielchef wirklich am Herzen liegt. Es würde auch nicht schaden, wenn er gleich auch selbst den Mammon spielte.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2012)

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