Nach dem Angriff militanter Extremisten auf einen ägyptischen Grenzposten startet die Armee eine Gegenoffensive mit Flugzeugen und Bodentruppen. Mindestens 20 Untergrundkämpfer sollen getötet worden sein.
Kairo/Jerusalem/Reuters/APA/red./KNA. Ägyptens Militär schlägt zurück: Nach dem Attentat auf einen ägyptischen Grenzposten auf dem Sinai bombardierte Ägyptens Luftwaffe Verstecke militanter Islamisten nahe der Stadt Sheikh Zuwaid, zehn Kilometer von der Grenze zum palästinensischen Gazastreifen entfernt. Zugleich rückten Bodentruppen in das Dorf al-Toumah ein. „Wir haben in al-Toumah 20 Terroristen getötet und drei gepanzerte Autos zerstört“, berichtete ein ägyptischer Offizier der Nachrichtenagentur Reuters. Die Islamisten hätten versucht, in ihren Fahrzeugen zu fliehen und seien von ägyptischen Hubschraubern mit Raketen beschossen worden. Später hieß es in ägyptischen Sicherheitskreisen, dass insgesamt 30 Extremisten umgekommen seien. Vor Beginn der Militäroffensive sollen Untergrundkämpfer mehrere Kontrollposten in der Stadt al-Arish angegriffen haben.
In den vergangenen Monaten hatten militante Islamisten die Aktivitäten auf der Sinai-Halbinsel verstärkt. Höhepunkt war der Angriff auf den Grenzposten Karm Abu Salem am Sonntag: Bewaffnete brachten 16 ägyptische Beamte um und wollten mit zwei erbeuteten Panzerfahrzeugen in Israel eindringen. Israels Armee tötete die Angreifer.
Ägyptens neuer Präsident Mohammed Mursi zog am Mittwoch personelle Konsequenzen aus dem Desaster: Er ließ Geheimdienstchef Murad Muwafi in den Ruhestand versetzen und enthob den Gouverneur der Provinz Nordsinai, Abdel Wahab Mabrouk, seines Amtes. Auch der Chef der Militärpolizei, Hamdi Badin, soll seinen Job verlieren. Mursi kündigte zudem an, dass die Sicherheitskräfte den Sinai wieder voll unter ihre Kontrolle bringen würden. Gemäß ägyptisch-israelischem Friedensvertrag sind auf der Halbinsel nur wenige ägyptische Soldaten stationiert. Israel hatte sich zuletzt aber in Kairo beklagt, dass Ägypten zu wenig tue, um das Grenzgebiet zu sichern. Die jüngste Militäroffensive gegen die Islamisten wurde von Israel begrüßt: Ägyptens Armee schaffe damit auf dem Sinai Ordnung, so wie es ihre Pflicht sei, meinte der Sicherheitsberater der israelischen Regierung, Amos Gilad.
„Mudjaheddin, al-Qaida und Beduinen“
"Es hat klare Anzeichen gegeben für einen geplanten Angriff. Israel hat Kairo davor gewarnt“, sagt Professor Jakob Bar-Siman-Tov, Vorsitzender des Forschungsinstituts für Frieden und regionale Zusammenarbeit an der Hebräischen Universität in Jerusalem, im Gespräch mit der „Presse“. Die Warnungen seien auch an Israelis ergangen, die auf der Sinai-Halbinsel Urlaub machen wollten. „In Kairo hat man diese Warnungen nicht ernst genommen, sondern als Versuch Israels gesehen, den Tourismus auf dem Sinai zu schädigen“, schildert Bar-Siman-Tov. Die Täter sind für ihn eine „Mischung aus Mudjaheddin, Anhängern der Terrororganisation al-Qaida und Beduinen“. Bei den Beduinen gehe es um Geld. „Es wird geschmuggelt, niemand kontrolliert, es herrscht Anarchie. Die Beduinen machen sich das zunutze.“
Die Waffen der Untergrundkämpfer kommen laut dem israelischen Experten „mit großer Wahrscheinlichkeit“ aus Libyen. „Wir wissen, dass nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis die Militärlager geplündert wurden. Ein großer Teil dieser Waffen ist anschließend in den Sinai geschmuggelt worden, darunter auch Flugabwehrraketen.“
Muslimbrüder beschuldigen den Mossad
In Ägypten wurde zuletzt freilich eine ganz eigene Interpretation der gewaltsamen Vorgänge auf dem Sinai kolportiert: Die islamistische Muslimbruderschaft, aus der auch Präsident Mursi stammt, behauptete auf ihrer Website, dass Israels Geheimdienst Mossad hinter dem verheerenden Angriff auf den ägyptischen Grenzposten stecke. Israel wolle damit die Arbeit Mursis sabotieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2012)