Euro-Vater Issing rechnet mit EZB ab

Issing, one of the founding fathers of the euro and a former European Central Bank chief economist, presents his new book in Frankfurt
Issing, one of the founding fathers of the euro and a former European Central Bank chief economist, presents his new book in FrankfurtREUTERS
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Ein Falke setzt zum späten Flug an: Der erste EZB-Chefvolkswirt macht im Ruhestand Furore, weil er den Euro preist und zugleich die Rettungspolitik scharf kritisiert.

Berlin. Im Tennisklub macht es Otmar Issing gar nicht froh, dass er ständig auf den Euro angesprochen wird. „Ich ziehe meine Turnschuhe nach dem Spiel ganz schnell aus und gehe“, erzählt der erstaunlich rüstige 76-Jährige mit einem Seufzer. Die Sorgen der Bürger verfolgen den ersten Chefvolkswirt im Frankfurter EZB-Tower bis in die Pension. Dabei ist er von früher gewohnt, dass die weisen Worte der Ökonomen selten auf fruchtbaren Boden fallen.

Als der Währungswächter aus Würzburg einmal in einem Vortrag faktenreich erklärte, dass der Euro kein Teuro ist, resignierte er angesichts der ungläubigen Blicke aus dem Publikum: „Ich sehe schon, Sie glauben mir nicht – und meine Frau tut es auch nicht“. Eine Mainzer Lokalzeitung titelte tags darauf: „Frau Issing ist nicht alleine“.

Heute aber hört jeder, ob Freund oder Feind der Einheitswährung, aufmerksam zu, wenn der deutsche Gründervater des Euro das Wort ergreift. Als er am Donnerstag sein Manifest „Wie wir den Euro retten und Europa stärken“ vorstellte, scherzte Issing im Blitzlichtgewitter der Fotografen, er komme sich vor „wie ein Olympiasieger“. Lange hat er geschwiegen. Denn 2006, nach dem Ende seines achtjährigen Mandats, hatte er sich „geschworen, die Geldpolitik der EZB niemals zu kritisieren“.

Euro half durch die Finanzkrise

Warum aber tut er es nun doch, in vielen Gastkommentaren und nun in einem transkribierten langen Interview? Das liegt am Kern seiner Kritik: Was heute in Frankfurt entschieden wird, habe mit Geldpolitik nichts mehr zu tun.

Denn „eine Notenbank ist nicht dazu da, Staaten zu retten“. Er hält die Rettungsstrategien für grundfalsch und gefährlich, umso mehr nach den jüngsten Ankündigungen von EZB-Präsident Mario Draghi, „mit allen Mitteln“ gegen die Krise zu kämpfen.

So klagen viele Euro-Skeptiker. Viele von ihnen wären insgeheim wohl heilfroh, wenn der Währungsraum bald scheitert, wenn Mark, Gulden und Schilling wiederauferstehen – aus welchem Trümmerhaufen auch immer. Issing aber kann man solche Motive nicht unterstellen, denn er nimmt sein missratenes Kind in Schutz.

Der Euro habe bisher für Stabilität und für niedrige Inflationsraten gesorgt, niedriger als zu Zeiten der Mark. Und es sei gar nicht auszudenken, sagte der Doyen unter den deutschen Geldtheoretikern zur FAZ, was mit einer D-Mark passiert wäre, über die eine Finanzkrise wie 2008 hereingebrochen wäre: eine massive Aufwertung und ein Massensterben mittelständischer Unternehmen, die eine solche abrupte Erhöhung ihrer Exportpreise nicht überlebt hätten – so wie schon 1992, als die Lira in kurzer Zeit um 30 Prozent gegenüber der Mark abwertete. Solche fatalen Verwerfungen könnten nur in einem sehr großen und damit in sich robusten Währungsraum verhindert werden.

Wer so analysiert, dem nimmt man gerne ab, dass ihm eine gedeihliche Zukunft des Euro am Herzen liegt. Nur sind die Rezepte des früheren Oberfalken im EZB-Rat, dem die Stabilität des Geldwertes über alles geht, ganz andere als jene, die in Brüssel und Frankfurt propagiert werden. Er will zurück zu den Wurzeln, zum Bailout-Verbot: „Spanien und Italien sollen ihre Probleme selbst lösen, schließlich sind sie auch dort verursacht worden“.

Erfolg schläferte die Skepsis ein

Fragt sich nur, warum er nicht als Aktiver deutlicher warnte, als die Wettbewerbsfähigkeit zwischen Süd und Nord gefährlich auseinanderdriftete? Als letzter Chefvolkswirt der Bundesbank stand er dem Euro-Projekt durchaus skeptisch gegenüber. Es ging ihm alles zu schnell, mit zu vielen zu heterogenen Ländern. Ein „mutiges Experiment“, lautete damals seine Formel. Übersetzt aus der diplomatischen Sprache der Notenbanker bedeutet das so viel wie: ein brandgefährliches Hasardspiel.

Dem Vorschlag, den unbequemen Störenfried zur EZB zu verschieben, folgte Kanzler Kohl deshalb nur widerwillig: „Issing? Hat der jemals etwas Gutes über den Euro gesagt?“. Doch gerade das Erbe der deutschen Stabilitätskultur, das der Skeptiker ins Gepäck packte, trug nicht wenig zum Vertrauen bei, das die Märkte der neuen Währung rasch entgegenbrachten. Das schläferte wohl auch den kritischen Geist Issings ein, der sich alsbald auch selbst lobte, wenn er von einem „großen Erfolg“ des Euro sprach. So viel gibt er heute zu: Er habe die Krise vorausgesehen, aber ihre Dimensionen deutlich unterschätzt.

Deshalb nimmt der passionierte Leichtathlet, der auch seine akademische Karriere im Eilschritt absolvierte, in der Pension noch einmal Anlauf. Kanzlerin Merkel setzte ihn auf dem Höhepunkt der Finanzkrise an die Spitze einer Expertengruppe, die Vorschläge für eine Reform der Finanzmärkte entwarf. Und nun verstärkt er ganz offiziell das Lager der Gegner der Euro-Rettungspolitik – als einer, der über den Verdacht der Brandstiftung erhaben ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2012)

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