Assange: Vom Aufdecker zum Asylanten

Assange Aufdecker Asylanten
Assange Aufdecker Asylanten(c) EPA
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Ecuador gewährte dem Gründer der Enthüllungsplattform am Donnerstag Asyl. London will den wegen Sexualdelikten gesuchten Assange freilich nicht ausreisen lassen. Viele Fans und Mitstreiter hat Assange längst vergrault.

London/Wien. Falls WikiLeaks-Gründer Julian Assange (41) in seinem Zimmer in Ecuadors Botschaft in London in den vergangenen zwei Monaten langweilig geworden sein sollte: Gestern dürfte dem gefallenen Helden der Internetgemeinde schon der Blick aus dem Fenster für Unterhaltung und Selbstbestätigung genügt haben. Dutzende Fotografen und Kameraleute hatten sich vor dem Haus hinter dem Edelkaufhaus Harrods aufgebaut, zwei Dutzend Assange-Anhänger forderten sein freies Geleit aus Großbritannien. Um 13.38 Uhr Londoner Zeit verkündete 9200 Kilometer entfernt in Ecuadors Hauptstadt Quito Außenminister Ricardo Patino die Nachricht, auf die Assange gehofft hatte: Der Andenstaat gewährt dem gebürtigen Australier, der in Schweden wegen des Verdachts mehrfacher sexueller Nötigung und Vergewaltigung befragt werden soll, Asyl.

Mitstreiter wenden sich ab

Assange hatte in einem eineinhalb Jahre währenden Rechtsstreit gegen eine Auslieferung an Schweden gekämpft und sich dabei zum Opfer stilisiert. Das passte zur selbstgewählten Rolle des „fruchtlosen Rebellen“, der es allein mit dem Rest der Welt – und vor allem mit den USA – aufnimmt.

Je mehr Assange in den vergangenen Jahren seine eigene Person in den Vordergrund rückte und sich selbst als die einzig maßgebliche Person hinter WikiLeaks präsentierte, desto mehr Mitstreiter wandten sich von ihm ab. WikiLeaks 2010 hatte nicht mehr viel zu tun mit der Organisation, der sie beigetreten waren. Ziel war gewesen, mit einer Art sicherer „Babyklappe“ für brisante Dokumente Skandale in aller Welt aufzudecken, unter bestem Informantenschutz. Mit der Veröffentlichung zehntausender Geheimdokumente aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan war das Unternehmen zur Fehde Assange vs. USA geworden. Dass dabei einheimische Informanten der USA in Gefahr gebracht wurden, nahm man in Kauf.

Dies war einer der Punkte, die Assange auch von Daniel Domscheit-Berg, seinem einst bedeutendsten Mitarbeiter, angekreidet wurde. Dieser schied 2010 im Streit. Er gründete das Konkurrenzprojekt OpenLeaks, das bis dato allerdings nicht durch größere Coups auffiel.

Auch Assange suchte sich eine neue Betätigung – das verstörte seine Sympathisanten: Assange arbeitete als Moderator einer Talkshow für den russischen Staatssender Russia Today: Dabei befragte er im Mai auch einen Politiker, der wegen seiner Angriffe auf die Meinungsfreiheit heftig kritisiert wird: Rafael Correa, Präsident Ecuadors – den Mann, dem der WikiLeaks-Gründer nun die Zusage für politisches Asyl zu verdanken hat. Es bestehe das Risiko, dass Assange ohne Asyl „politisch verfolgt werden könnte“, sagte am Donnerstag Ecuadors Außenminister Patino. „Wir hoffen, dass die britische Regierung nun dem sicheren Geleit (von der Botschaft zum Flughafen, Anm.) von Herrn Assange zustimmt.“

Der britische Außenminister William Hague stellte jedoch klar, dass London nicht daran denke, den WikiLeaks-Gründer nach Ecuador ausreisen zu lassen. Dafür gebe es keine rechtliche Grundlage. Hague wies aber auch Spekulationen zurück, die britische Polizei könnte schon demnächst Ecuadors Botschaft stürmen, um Assange zu verhaften. Das Ganze könnte sich nun in die Länge ziehen, sagte der Außenminister. Der spanische Anwalt Baltasar Garzón, der Assange juristisch unterstützt, sagte am Donnerstag zur Tageszeitung „El País“, dass London dem Australier freies Geleit geben müsse: „Ansonsten werden wir vor den Internationalen Gerichtshof ziehen.“

Assange sieht in den Missbrauchsvorwürfen zweier Schwedinnen, mit denen er „einvernehmlich Sex“ gehabt haben will, eine Verschwörung. Ziel sei es, ihn in den USA vor Gericht zu bringen – wo ihm wegen Geheimnisverrats sogar die Todesstrafe drohen könnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2012)

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