Der Weg der Roma in die Mitte der Gesellschaft

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Archivbild(c) AP (Remy de la Mauviniere)
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Vertreibungen von Roma-Familien aus ihren Siedlungen sind in Rumänien keine Seltenheit. Ihre Lage ist zwar prekär – aber nicht ganz hoffnungslos. Ein Besuch eines Lernzentrums für Roma-Kinder in Periam.

Periam. Auf dem Tisch steht ein Bierglas von „Mohrenbräu“ – der Vorarlberger Bierbrauerei. Mit Bier ist das Glas freilich nicht gefüllt, sondern mit Wasser. Einen großen Schluck nimmt das Mädchen mit den hellbraunen Haaren. Dann sucht sie weiter nach den Puzzlestücken, die auf dem Tisch verstreut herumliegen. Bob der Baumeister ist das Motiv. Nicht sehr leicht, dieses Puzzle, bestätigt das Mädchen mit einem Kopfnicken.

Es sitzt im Klassenzimmer des Lernzentrums für Roma-Kinder im rumänischen Periam nahe Temeswar. Das Zentrum, 2008 gegründet, wird von der „Erste Stiftung“ sowie der Caritas finanziert. Rund 50 Roma-Kinder bekommen hier täglich Nachhilfeunterricht, für Mittagessen und Imbiss wird gesorgt. Für Herbert Grün, Caritas-Direktor von Temeswar, sind die Räumlichkeiten aber eine „Notlösung“. Zu wenig Platz für die Kinder, renovierungsbedürftige Sanitäranlagen.

Die Folgen des Lernzentrums möchte hier trotzdem niemand missen: Seit der Errichtung verlasse nur mehr ein Prozent der Kinder aus der nahe gelegenen Roma-Siedlung vorzeitig die Schule, erzählt Veresan Viorel. Der 35-Jährige ist der Sprecher von 550 Roma-Familien in Periam. „Es gibt viel zu tun“, sagt Viorel – und meint damit nicht nur die Verbesserung der Bildungschancen für jene Kinder, die sich am länglichen Holztisch Bob dem Baumeister widmen.

Die Lage der Roma in Rumänien – wo sie rund neun Prozent der Bevölkerung ausmachen – ist nach Angaben von Amnesty International „besonders prekär“. Vertreibungen aus Siedlungsgebieten wie derzeit in Frankreich (siehe Artikel rechts) sind auch hier keine Seltenheit, Diskriminierung und Segregation keine unsichtbaren Spurenelemente des Alltags.

Erst im vergangenen Jahr hat der Bürgermeister der nordrumänischen Stadt Baia Mare mit dem Bau einer 1,8 Meter hohen Mauer für Schlagzeilen gesorgt – diese entstand entlang der Roma-Siedlung. Zuvor hatten sich die Stadtbewohner über Lärm beschwert, der Bürgermeister sprach von einer „Schutzmaßnahme“ – und erhielt Zustimmung von großen Teilen der Bevölkerung. Andere Städte haben angekündigt, ebenfalls Mauern errichten zu wollen.

Von einer Mauer ist zumindest in der 6500-Seelen-Gemeinde Periam nicht die Rede. Seit Viorel als Ansprechperson für beide Seiten, Roma und Nichtroma, fungiert, habe sich die Stimmung im Dorf gebessert, erzählt er. Periam ist mit dem erfolgreichen Lernzentrum und einem – wenn auch manchmal holprig stattfindenden – Dialog aber eine recht einsame Ausnahme in Rumänien.

EU-Gelder kommen kaum an

Wenn Crina Morteanu, Roma-Expertin und bei der „Erste Stiftung“ tätig, die Lage aller Roma in Rumänien zusammenfassen müsste, würden ihr zwei Charakteristika einfallen: Armut und schlechte Wohnbedingungen. Zu erben gebe es freilich nichts, so Morteanu, die selbst einer Roma-Familie entstammt. Wie auch, wenn man nie Land besessen habe. Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass viele Roma eben nicht in Siedlungen leben und weitgehend in die Gesellschaft integriert seien. Die, die es nicht sind, hätten es dafür besonders schwer. Sie müssten als Sündenböcke herhalten, sagt Morteanu: Das schlechte Image Rumäniens innerhalb der EU werde ihnen zur Last gelegt.

Die EU will zwar mit gezielten Programmen zur Verbesserung der Lage beitragen, „aber das funktioniert nicht ganz“, so Morteanu. Ein Projekt werde dann EU-finanziert, wenn sich ein lokaler Partner zur Kofinanzierung findet. Und genau das sei das Problem: „Für die Kommunen ist es offenbar zu kompliziert, an die Gelder zu kommen.“



Inzwischen ist Frühstückszeit im Lernzentrum. Die Erzieherinnen tragen das Tablett mit den Weißbrotscheiben in den Innenhof, wo die Kinder bereits warten. Es wird gebetet. Die meisten ihrer Eltern verdienen ihr Geld mit dem Sammeln von Metall, erzählt Viorel. Eine andere Arbeit gibt es nicht, ein Auto hat niemand, öffentlich ist Temeswar nicht zu erreichen. Angesprochen auf die Kriminalität sagt Morteanu: „Ich würde zugeben, dass viele Roma kriminell sind – wenn die Mehrheitsgesellschaft zugibt, dass wir diskriminiert werden.“

Zahl der Studenten steigt

Nur schwarzmalen wolle sie aber auch nicht. Die Zahl jener Roma, die die Uni beenden, würde steigen – nicht zuletzt aufgrund der Regelung aus den 1990er-Jahren, eine gewisse Anzahl Studienplätze für sie zu reservieren. Auch würden immer mehr Roma, die im Showbusiness tätig sind, öffentlich zu ihrer Herkunft stehen. Schließlich würden Roma wie sie selbst als Role Model dienen, denn sie passe nicht recht in die Vorurteile: „Ich bin nicht dreckig, reise gelegentlich und habe nur einen Sohn.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2012)

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