Mohammed-Film: Neue Anti-USA-Proteste erwartet

(c) AP (Khalil Hamra)
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In Washington herrscht Sorge wegen Racheakten gegen US-Truppen in Afghanistan. Vor den Freitagsgebeten verstärken die USA den Schutz ihrer Botschaften. Deutschland schließt seine Vertretungen in islamischen Ländern.

Washington. Hillary Clinton traf mit ihren Fragen einen Nerv: „Wie viele Amerikaner frage ich mich: Wie konnte das in einem Land geschehen, dem wir zur Befreiung verhalfen? In einer Stadt, die wir vor der Zerstörung bewahrten?“

Nicht nur die Außenministerin und Präsident Barack Obama sind über den Tod von US-Botschafter Christopher Stevens und dreier Mitarbeiter im US-Konsulat in Bengasi geschockt. Die Nation ist konsterniert über die antiamerikanischen Proteste, die sich wie ein Lauffeuer in der arabischen Welt verbreiteten – von Kairo bis Sanaa, der Hauptstadt des Jemen, wo ein Mob die US-Botschaft stürmte. Auslöser war ein auf YouTube verbreitetes Video, in dem Mohammed verunglimpft wird; die Identität des Urhebers ist weiter nicht völlig klar, er dürfte aber in den USA leben. Dort steht er ab sofort unter Polizeischutz. (--> Wer steckt hinter dem Video?).

Die traditionellen Freitagsgebete stehen heute unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen, die USA verstärkten die Bewachung ihrer Vertretungen. In Telefonaten mit arabischen Führern erinnerte Obama sie an ihre Schutzpflicht gegenüber diplomatischen Einrichtungen. Die USA beorderten zwei Zerstörer und mindestens 50 Marines nach Libyen und zogen das Gros ihres diplomatischen Personals aus Tripolis ab. In der einstigen Rebellenbastion Bengasi hielten Sympathisanten indes eine kleine pro-US-Kundgebung ab.

Deutschland reagierte am Freitag mit der Schließung seiner Botschaften in mehreren islamischen Ländern. "Wir beobachten die Entwicklung der Sicherheitslage mit größter Aufmerksamkeit und haben unsere Sicherheitsvorkehrungen an einigen Auslandsvertretungen verschärft", sagte ein Sprecher gegenüber "Spiegel Online".

Spekulationen um al-Qaida

In Washington sprießen unterdessen die Spekulationen über die Hintergründe des Angriffs in Bengasi, der offenbar genau geplant war. Sicherheitsexperten vermuten, dass al-Qaida-nahe Gruppen am Jahrestag des 9/11-Terrors einen gezielten Coup ausgeführt hätten – womöglich als Rache für den Tod der Nummer zwei des Terrornetzwerks, des im Juni bei einer US-Drohnenattacke in Pakistan umgekommenen, aus Libyen stammenden Abu Yahya al-Libi.

Dafür spricht, dass sich erst Stunden nach Beginn der zunächst friedlichen Proteste vor dem Konsulat 30 bis 40 mit Granatwerfern und Panzerfäusten gerüstete Männer unter die Demonstranten gemischt und sofort geschossen hatten. Drohnen sollen bei der Aufspürung der Täter helfen. Präsident Obama schwor: „Wir werden der Gerechtigkeit Genüge tun.“

US-Generalstabschef Martin Dempsey war derweil um Kalmierung an der Heimatfront bemüht. Er versuchte, den umstrittenen Pastor Terry Jones telefonisch davon abzubringen, den Film „Innocence of Muslims“ – den Stein des Anstoßes – in seiner kleinen Kirchengemeinde in Florida aufzuführen. Dempsey ist von der Sorge um Leib und Leben seiner Soldaten geleitet. Religiös motivierte Terroranschläge könnten die mehr als 70.000 US-Soldaten in Afghanistan in zusätzliche Gefahr bringen. Aus Gründen der Meinungsfreiheit weigerte sich der Google-Konzern indes vorerst, den Film von seinem Videoportal YouTube zu verbannen – außer in Libyen und Ägypten.

Dem größten arabischen Land der Region gilt das Hauptaugenmerk der USA. In einem Interview ließ Obama seine Bedenken angesichts des Arabischen Frühlings durchblicken: Er sehe Ägypten „weder als Alliierten noch als Feind“. Bei seiner hochgelobten Rede in Kairo im Juni 2009, die ihm den Friedensnobelpreis eintrug, hatte er Wandel und Demokratie in der arabischen Welt postuliert. Das malte er sich aber ganz anders aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2012)

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