Kohlmarkt: Sehen, nicht gesehen werden

Manche Etablissements am Kohlmarkt bleiben Flaneuren und Touristen verborgen. Auf Visite in den oberen Etagen des Kohlmarkts.

Ausgerechnet in der nobelsten Beletage Wiens sitzt man mit dem Rücken zum Fenster. Das Licht soll hier im neu umgebauten Salon „Dessange“ am Kohlmarkt 1 auf den Körperteil fallen, der im Mittelpunkt steht: die Haare. Einen Blick auf das geschäftige Treiben zwischen Kohlmarkt und Graben kann man auch erhaschen, während man es sich auf dem Sofa aus weiß abgestepptem Leder gemütlich macht, das mitten im Schneideraum steht und das Wartezimmer ersetzt. Hier sieht man über die Schultern gelegte Handtücher, zu Boden fallende Haare und in Weiß gekleidete Mitarbeiter, die hier nach dem Befinden fragen, dort ein heißes Tuch bringen. Für einen Nobelsalon ist es ziemlich eng. Rudolf Meidl, der Grandseigneur von Dessange in Österreich, mag das. „Gerade die Enge macht es heimelig und gemütlich.“ Für einen Friseursalon in Wien gebe es keinen besseren Platz als hier, sagt er. Im ersten Stock wohlgemerkt, nicht im Erdgeschoß: „In Paris bin ich es gewohnt, in der Auslage zu sitzen, in Wien brauche ich eher einen Vorhang. Hier beobachten die Leute gerne, werden selber aber nicht so gerne beobachtet.“



Unter Denkmalschutz. Der Kohlmarkt und die Wallnerstraße gelten heute als Platintüpfelchen auf dem goldenen Shopping-U in der Wiener Innenstadt. Während auf Straßenniveau nicht nur echte Prinzessinnen mit aufgestellten Hemdkrägen vor den Auslagen von Armani, Salvatore Ferragamo und Chopard schmachten und Touristen kandierte Veilchen vom Demel kaufen, gelangt (fast) nur, wer es sich wirklich leisten will, in die oberen Etagen und findet hier so gut wie alles, was es zum (Luxus-)Leben braucht. Sehen statt gesehen werden, ist dabei das Motto im oberen Stock. Die wohl größten und hellsten Schau-Fenster des Kohlmarkts bietet die Schönheitsoase von Topskin und Topkapi. Die Fensterfront erstreckt sich über die gesamte Etage oberhalb von Gucci und Chanel und steht unter strengem Denkmalschutz. Einst befand sich hier eine Schneiderei, darum ist auch eine Schere Teil der Stuckverzierungen an der Decke. Heute wird mit neuer Technologie an der Schönheit der Kundinnen gearbeitet: Nageldesign, Fußpflege, Permanent-Make-up, Jet-Peel und Sauerstoffbehandlungen fürs Gesicht werden hier im Topkapi-Bereich ebenso durchgeführt wie Botox-Unterspritzungen oder Behandlung von Altersflecken. In stilvollem Ambiente und unter äußerster Diskretion, versteht sich. Namen von Kundinnen werden hier keine preisgegeben.

Repräsentativ. Diskret ist man hinter den Fassaden des Kohlmarkts nicht nur, wenn es um den eigenen Körper, sondern vor allem, wenn es ums liebe Geld geht. Mit der Capital Bank und der Euram Bank logieren im einen Steinwurf entfernten Palais Esterházy in der Wallnerstraße gleich zwei Privatbanken, deren architektonischer Auftritt unterschiedlicher nicht sein könnte. Während die Euram Bank schon seit 2000 im Dachgeschoß unter hölzernen Balken auf Understatement setzt, erstrecken sich die Räumlichkeiten der Capital Bank über 3000 Quadratmeter, von denen nur die Hälfte als Büro genutzt wird. Der Rest dient zu Repräsentationszwecken. Beide Banken sehen mit ihren Mitteln den Sinn von Private Banking verwirklicht. So sagt Manfred Huber, Vorstandsmitglied der Euram Bank: „Einerseits passt das Dachgeschoß zur nötigen Diskretion im Private Banking, andererseits wollten wir das große Foyer, Stuck und teure Gemälde bewusst vermeiden. Wir möchten nicht, dass unsere Kunden das Gefühl bekommen: ,Das ist mein Geld, das da an der Wand hängt.‘“ Sibylle Dolecek-Anselment, Direktorin des Bereichs Private Banking der Capital Bank, führt ihre Kunden wieder gern vorbei an der kleinen und großen Ahnengalerie der Esterházys. Ein anderes Highlight des Palais ist der ­Vieux-Laque-Saal: Auf 57 Lacktafeln wird das bürgerliche Leben in China dargestellt. Dort, wo der europäische Hochadel einst rauschende Bälle feierte, veranstaltet die Capital Bank heute private Modenschauen für Kunden. „Die Räume sind fürs Private Banking sehr angenehm, wie auch die Lage am Kohlmarkt.“ Die Beratung endet hier nicht beim Bankengeschäft, sondern dehnt sich auch auf private Einkäufe am Kohlmarkt aus.

Mitten im Geschehen. Bereut hat auch Margit Widinski von der Steuerkanzlei BDO den mittlerweile 14 Jahre zurückliegenden Umzug vom 13. Bezirk ins ehemalige Patentamt am Kohlmarkt nicht. „Seit wir hier am Kohlmarkt sind, müssen wir kaum noch Kundenbesuche machen, denn die Kunden kommen gerne zu uns, weil man hier immer mitten im Geschehen ist.“ Aber auch sie selbst schätze es sehr, dass sie direkt von der Arbeit in wenigen Minuten in der Oper sei. Auch die BDO veranstaltet gerne Modeschauen mit Mode von Armani oder Dolce & Gabbana im Innenhof des Gebäudes. Dieser bietet zwar weniger fürstlichen Touch als das Palais Esterházy, die glatte Fassade eignet sich aber umso besser für Videoprojektionen – zum Beispiel Schneeflocken und Eiskristalle aus Licht als Atmosphärenträger für den jährlich stattfindenden BDO-Adventpunsch.

Für einen Blick in den romantischsten Innenhof des Kohlmarkts wechsle man die Straßenseite, ins große Michaelerhaus. Über eine von vielen Schuhen glattpolierte Treppe in einem Stiegenhaus mit schmiedeeiserner Laterne kommend, bleibe man vor dem ersten Fenster stehen: Hier bietet sich ein Blick auf die Michaelerkirche und verwachsene Innenhofhäuser, dazwischen Statuen: eine entspannende Kohlmarkt-Aussicht. Dass der Masseur Edlinger seine Räume für „Massage am Kohlmarkt“ gerade hier bekommen hat, war pures Glück, wie er erzählt. Der gebürtige Steirer, der „noch nie etwas anderes tun wollte als massieren“, arbeitet nicht nur am Kohlmarkt, er lebt auch hier und kann darum, obwohl er allein seine Kundschaften hinter mit Burberry-Stoffen bespannten Paravents durchknetet, bis 22 Uhr geöffnet halten. Das und Edlingers guter Ruf im Bereich von klassischer Massage über Ayurveda bis hin zu Shiatsu lockt Promis an. Zu Edlingers Stammkunden zählen Claudia Stöckl genauso wie Helmut Elsner oder der über 90-jährige Seniorchef des Liftimperiums Doppelmayr. Einen besonders skurrilen Auftritt als Kunde soll der Musiker Art Garfunkel hingelegt haben, als er sich mit den Worten „Break me down, Heinz“ auf die Massageliege fallen ließ.

Weniger skurril als mondän geht es bei Bundy Bundy, dem zweiten Friseur im „Kaiserhaus“ in der Wiener Wallnerstraße, zu. Die abgelegten Kleider verschwinden hinter verspiegelten Schränken, für Heikleres wie Haarverdichtung oder Farbe bei den Herren gibt es eigens abgetrennte Räume, die durch gepolsterte Ledertüren betreten werden. Wie im Märchen gestaltet sich hier der Abschluss eines gelungenen Friseurbesuchs: In einen Tisch aus Gold sind zahllose Schneewittchen-Spiegel eingelassen, dahinter strahlen beleuchtete Kristalle. Der Kreis schließt sich hier gleich doppelt. Nicht nur ist Bundy Bundy neben Dessange der zweite Nobelfriseur in der Gegend, Hans Bundy hat auch einst seine Karriere als Lehrling in dem k. k. Salon begonnen, in dem heute Dessange seinen Platz gefunden hat.

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