"Die richtigen Studierenden für das richtige Studium"

richtigen Studierenden fuer richtige
richtigen Studierenden fuer richtige(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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"Presse"-Debatte. Die Mitglieder der neuen Hochschulkonferenz über "orientierungslose Tschopperln", "ungerechte Aufnahmetests" und ein "zu liberales Studienrecht".

Seit Mai tagt ein neues Gremium: die Hochschulkonferenz. Die Gruppe soll Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (ÖVP) beraten. Bindend sind die Empfehlungen aber nicht. Der Minister versicherte aber, einstimmigen Entscheidungen zu folgen. Neben Vertretern des Ministeriums, der Unis, der Fachhochschulen, der Senate und einer Vertreterin aus dem Wissenschaftsrat schafften es schlussendlich auch die Studierenden in das Gremium. „Die Presse“ bat zum Gespräch und versuchte herauszufinden, wo die Beteiligten einig sind und wo es zu Auseinandersetzungen kommen könnte.

Die Presse: Für die Studierenden – also die ÖH – war in der Hochschulkonferenz ursprünglich nur ein Zuschauerplatz vorgesehen. Was hat man sich dabei gedacht, Herr Minister?

Karlheinz Töchterle: Wir wollten die Konferenz mit Vertretern von Institutionen beschicken, die Hochschule machen. Die Hochschülerschaft hat dieser Logik widersprochen. Ihre Argumente haben uns aber eingeleuchtet und wir haben uns dann entschlossen, Sie dazuzunehmen.

Janine Wulz: Ich bin froh, dass wir uns den Platz erkämpft haben, auch wenn einiges an Aktionismus nötig war. Diese Konferenz ist damit das einzige hochschulpolitische Gremium, das nicht über die Köpfe der Studierenden hinwegentscheidet. Das kann eine Stärke sein, wenn das Gremium nicht zur Farce wird. Denn egal, was hier entschieden wird – das Ministerium kann es jederzeit umgehen.

Woran werden die Studierenden merken, dass es ein neues Gremium gibt, das sich um ihre Anliegen kümmert, Frau Wulz?

Wulz: Ich denke, dass sie es an der Themenwahl merken. Es soll bald Verbesserungen in Sachen sozialer Absicherung und Durchlässigkeit zwischen FH und Uni geben.

Die Studierenden konkret betreffen auch die Themen Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren. Herr Minister, Sie sprechen sich für beides aus. Die Frage ist: Bleibt hier nicht immer ein Rest an sozialer Selektion?

Töchterle: Studienbeiträge sind, wenn sie in maßvoller Höhe und von Absicherungen begleitet sind, nicht sozial selektiv. Das gilt für Zugangsregeln sogar in noch größerem Ausmaß. Denn in den überfüllten Studien hat derjenige den längeren Atem, der es finanziell leichter verkraftet, wenn er zwei Semester verliert.

Frau Wintermantel, Sie haben lange die deutsche Rektorenkonferenz geleitet. Wie sehen Sie dieses Thema, sozusagen aus einer Außenperspektive?

Margret Wintermantel: Ich halte es für unabdingbar, Zugangsbeschränkungen einzuführen. Wir brauchen gute Studienbedingungen für diejenigen, die für ein Studienprogramm geeignet und die interessiert sind. Das bedeutet auch, dass die richtigen Studierenden das Richtige studieren sollen – quasi den richtigen Weg finden müssen. Dabei soll man ihnen helfen.

Herr Schmidinger, Sie sind Uni-Rektor: Studieren in Österreich derzeit die falschen Studierenden das Falsche?

Schmidinger: So würde ich das nicht sagen. Aber viele Studierende kommen mit falschen Erwartungen an die Uni, wenn sie ohne jede Beratung, ohne jede Empfehlung und ohne jede Richtlinie in beliebiger Zahl in jede Studienrichtung hineingelassen werden.

Wulz: Es ärgert mich, dass wieder Beschränkungen und Eignungstests als die Lösung aller Probleme dargestellt werden. Denn die Frage ist: Wie kann man die Eignung für ein Studium feststellen? Der EMS-Test für das Medizinstudium beispielsweise ist eine der ungerechtesten Prüfungen, die es gibt. Die Leute bereiten sich monatelang in teuren Kursen darauf vor. Es ist mitunter eine finanzielle Frage, ob man den Test besteht. Zu argumentieren, dass es Beschränkungen braucht, weil die Studienbedingungen so dramatisch sind, ist ein Austausch von Pest gegen Cholera. Die freie Studienwahl sollte Priorität haben. Die Regierung ist aufgefordert, hier zu investieren.

Helmut Holzinger: Entweder die Politik ist willens, die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die allen Studierwilligen die Aufnahme ihres Wunschstudiums ermöglichen, oder sie ist es nicht. Das können wir nicht entscheiden.

Töchterle: Frau Wulz, Ihnen ist bewusst, dass wir die Studienplätze dann für alle 27 EU-Länder unbegrenzt bereitstellen und finanzieren müssten?

Wulz: Ich will, dass die Plätze in Österreich ausgebaut werden.
Eva Schulev-Steindl: Attraktiv sind wir ohnehin nur für deutschsprachige Studenten.

Töchterle: Das ändert sich aber. In jüngsten Rankings sind wir bereits der drittinternationalste Hochschulstandort der Welt.

Wulz: Das ist doch großartig. Ist nicht gerade das der Kern von Wissenschaft? Es soll doch einen internationalen Austausch geben. Viele österreichische Studierende gehen ja auch ins Ausland.

Töchterle: Frau Wulz, Sie reden an den zentralen Argumenten vorbei. Sie fordern also, wir sollen für alle Studierenden in jedem Fach unbegrenzt Studienplätze zur Verfügung stellen. Ich sage Ihnen, das ist einem Land wie Österreich einfach nicht zumutbar.

Wulz: Es gibt sehr klare Prognosen, wie sich die Studierendenzahlen entwickeln werden. Es ist nicht so, dass wir in zehn Jahren drei Millionen Studierende haben werden.

Wintermantel: Frau Wulz, ich muss Ihnen widersprechen. Die Studienbedingungen hängen doch davon ab, wie viele Studierende im Hörsaal sitzen. Sie können nicht mit einem nicht idealen Test gegen Zugangsbeschränkungen argumentieren. Ich halte zum Beispiel Self-Assessment-Tests für ein durchaus sinnvolles Instrument. Dabei können Studierende selbst austesten, was das Richtige für sie sein könnte. Und es ist gut, wenn sie dabei Unterstützung erhalten und nicht ahnungslos irgendwo auflaufen.

Schulev-Steindl: Wenn Sie von Orientierung sprechen, dann habe ich eine Frage an Sie, Frau Wulz. Wie hat sich die Studieneingangs- und Orientierungsphase Ihrer Ansicht nach bewährt? Finden Sie das ausbaufähig, oder ist das ein Flop?
Wulz: An sehr vielen Unis wird die Eingangs- und Orientierungsphase als eine Art Knock-out-Phase verwendet. Das heißt, dass es Prüfungen gibt, bei denen klar ist, dass 50 Prozent der Studierenden durchfallen – ganz egal, wie gut sie sind.
Schulev-Steindl: Ich habe den Eindruck, dass das an vielen Unis milde gehandhabt wird. Gerade bei uns an der Boku beispielsweise.

Wulz: Ich höre anderes. Es gibt Studienrichtungen, bei denen nur sieben Prozent die Eingangsphase bestehen: etwa in Pharmazie und Informatik. Wir fordern eine echte Orientierungsphase.

Wir haben davon gesprochen, dass die richtigen Studierenden in die richtigen Fächer gelenkt werden sollen. Geht es da auch um die Frage Fachhochschule versus Universität?

Holzinger: Ich wehre mich grundsätzlich dagegen, die Studierwilligen als Tschopperln darzustellen, die völlig orientierungslos sind und jemanden brauchen, der sie an der Hand nimmt. 36 Prozent aller Studierenden im Fachhochschulbereich studieren berufsbegleitend. Sie sind tendenziell älter, sie arbeiten, haben familiäre Verpflichtungen. Da wird die Entscheidung für ein Studium sehr genau überlegt.

Schulev-Steindl: Eine totale Bewirtschaftung der Studienplätze wäre nicht gut. Aber derzeit haben wir ein strukturelles Ungleichgewicht. Die FH haben Zugangsregeln, die Universitäten nicht. Das erschwert es den Unis, die richtigen Köpfe zu gewinnen.

Wintermantel: Aber die Frage war ja, ob man festlegen soll, wie viele Studierende an die Fachhochschulen und wie viele an die Unis gehen sollen. Solche Steuerungen vorzunehmen ist meiner Ansicht nach sehr gefährlich. Die Studienplätze sollten dem Arbeitsmarkt gerecht werden, aber auch den Bedürfnissen der jungen Leute.

Um gleich beim Arbeitsmarkt einzuhaken – Herr Holzinger: Was soll denn ein Fachhochschulabsolvent können, was ein Uni-Absolvent?

Holzinger: An den Fachhochschulen geht es immer um die Dualität: forschungsgeleitete Lehre auf Hochschulniveau und Berufsfeldbezug. Die Forschung ist eher anwendungsorientiert. Die Absolventen sollten job-ready sein.

Gilt das für die Uni-Absolventen auch, Herr Schmidinger? Müssen sie auch job-ready sein?

Schmidinger: Ja natürlich. Auch wir bilden nicht einfach ins Blaue hinein aus. Bei der Konzeption von Studiengängen denken wir auch daran, was Studierende danach beruflich damit machen können.

Hier kommt ja auch immer wieder der Bachelor zur Sprache. Es stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, einen sechssemestrigen Bachelor in den Geisteswissenschaften anzubieten. Bleibt da nicht zu wenig Raum für Reflexion?

Schmidinger: Im Einzelfall wird man sicher sagen können, dass ein Bachelor zu kurz ist, um eine geisteswissenschaftliche Disziplin völlig auszuschöpfen.

Töchterle: Auch ein Leben ist zu kurz, um das auszuschöpfen. Ob das sechs oder acht Semester sind, ist also nicht die ganz große Frage.

Einzelne Rektoren beschweren sich hingegen über eine zu lange Studiendauer. WU-Rektor Christoph Badelt hat etwa angeregt, die Semesteranzahl nach oben hin zu begrenzen.

Töchterle: Ich habe schon angekündigt, dass ich das Studienrecht reformieren möchte. In manchen Bereichen ist es zu liberal und erzeugt damit Effekte, die nicht wünschenswert sind. Ein Beispiel ist das Missverhältnis von inskribierten Studien zu inskribierten Studierenden. Das erschwert Planungen. Ich weiß, dass ich Studierende mit diesbezüglichen Änderungen provozieren werde, denn viele wollen auch hier völlige Freiheit.

Herr Schmidinger, würden Sie Studierende gern irgendwann, sagen wir ab dem 25. Semester, aus der Uni werfen?

Schmidinger: Natürlich ist es gut, wenn man in Ruhe und in der Zeit studieren kann, die man braucht. Auf der anderen Seite steht aber die Organisation eines Studiums, einer Universität. Und da kann keine Beliebigkeit herrschen. Da muss man sagen: In einer bestimmten Zeit musst du einen Abschluss erreichen, sonst hält das das System nicht aus.

Schulev-Steindl: Hier könnten aber auch die Studienbeiträge für eine gewisse Marktregulierung sorgen. Diese werden ja bezahlt, wenn die Mindeststudiendauer überschritten ist. Und: Warum sollten wir Studierende dann nach einem festgelegten Zeitpunkt hinauswerfen? Wenn sich jemand leisten will, 40Semester zu je 363 Euro zu studieren, warum nicht? Das könnte für die Universitäten durchaus etwas Gutes sein.

Wulz: Das ist eine völlig falsche Argumentation. Leute hören oft deshalb zu studieren auf, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Die angeblich so inaktiven Studenten sind das meistens nicht freiwillig. Sie arbeiten oder betreuen ihre Kinder. Darauf muss ein System der sozialen Absicherung eingehen: Wir brauchen einen flexiblen Status, der erlaubt, das Studium in Teilzeit zu absolvieren. Und dann hat man eben eine doppelt so lange Regelstudiendauer.

Herr Minister, können Sie sich vorstellen, dass es so einen Status in absehbarer Zeit gibt?

Töchterle: Teilzeitstudien gibt es schon. In meiner Zeit als Rektor an der Universität Innsbruck wurde etwa die Vergleichende Literaturwissenschaft so konzipiert. Es ist aber für Unis schwieriger zu handhaben als für Fachhochschulen.

Wulz: Hier muss ich widersprechen. Tatsächlich versuchen viele Unis, Teilzeitstudien organisatorisch möglich zu machen. Aber das gesamte Studienförderungssystem ist auf ein Vollzeitstudium ausgerichtet. Wenn ich Teilzeit studiere, ist völlig klar, dass ich länger brauche. Es braucht eine Änderung im Studienförderungsrecht. Dass man als Teilzeitstudent automatisch eine doppelt so lange Mindeststudiendauer hat.

Schmidinger: Das Thema Teilzeitstudien hat an den Unis trotz aller Bemühungen in vielen Bereichen noch nicht den Stellenwert, den es verdient.

Herr Minister, können Sie sich vorstellen, einen Status Teilzeitstudent einzuführen, der dann auch Auswirkungen auf die Studienförderung hat, wie Frau Wulz fordert?

Töchterle: Angesichts der verschiedenen Instrumente zur Studienförderung müsste man diese Frage in einem größeren Zusammenhang diskutieren. In der Hochschulkonferenz haben wir ja auch eine Arbeitsgruppe zur sozialen Absicherung eingerichtet.

Zu den Personen

An der „Presse“-Diskussion nahmen Mitglieder aller an der Hochschulkonferenz beteiligten Institutionen teil – im Bild von links:

Janine Wulz (26) ist für die grün-alternativen Studierenden (GRAS) im Vorsitzteam der Bundesvertretung der Hochschülerschaft.

Heinrich Schmidinger (58) ist Rektor der Uni Salzburg und steht seit dem Jahr 2011 an der Spitze der Universitätenkonferenz.

Margret Wintermantel (65), bis April Präsidentin der deutschen Hochschulrektorenkonferenz, ist Mitglied des Wissenschaftsrats.

Karlheinz Töchterle (63) ist seit 2011 Wissenschaftsminister im Team der ÖVP. Zuvor war der Altphilologe Rektor der Uni Innsbruck.

Eva Schulev-Steindl (52) vertritt die Senate. Sie ist stellvertretende Senatsvorsitzende an der Wiener Universität für Bodenkultur.

Helmut Holzinger (56) ist Geschäftsführer der FH des bfi Wien und seit 2010 Präsident der Fachhochschulkonferenz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2012)

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