Bestseller: Harte Zeiten nach Harry Potter

Bestseller Harte Zeiten nach
Bestseller Harte Zeiten nach(c) EPA (IAN WEST / PA WIRE)
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Joanne K. Rowling hat einen sozialkritischen Roman geschrieben: „Ein plötzlicher Todesfall“ hat tatsächlich nichts Zauberhaftes, kommt nur mühsam in Schwung. Wirklich gelungen sind einige Passagen übers Heranwachsen.

Am Anfang und am Ende von Joanne K. Rowlings Roman „Ein plötzlicher Todesfall“ („The Casual Vacancy“), den ihre Verlage mit den bewährten Techniken modischen Marketings (Geheimhaltung bei gleichzeitiger gezielter Propaganda) am Donnerstag in aller Welt präsentierten, wird spektakulär abgekratzt. Dazwischen entwickelt die Autorin das Leben von zwei Dutzend Menschen in Pagford. Die fiktive Kleinstadt könnte in ihrer Heimat, in Südwestengland, angesiedelt sein. Zwar ist Rowlings Geschichte mit explizit geschildertem Sex auf dem Friedhof gewürzt, mit Drogen, Vergewaltigung, Missbrauch, Hehlerei und vielen Gemeinheiten, doch kommt sie nur mühsam in Gang.

Rowling, die mit ihrer siebenteiligen Serie zum Zauberlehrling Harry Potter einen Jahrhundertbestseller gelandet hat, wollte erklärtermaßen ein tragikomisches Buch für Erwachsene schreiben. Es wurde, auf 575 Seiten, eine Prosa der Trostlosigkeit, eine Chronik des moralischen Niedergangs. Die Magie ist weg bei dieser Pflichtübung des Realismus, die auch das Vulgäre pflegt. Rowling kümmert sich um die sozialen Spannungen im gegenwärtigen Großbritannien. Sie sieht sich offenbar in der Tradition von Gesellschaftskritikern wie Charles Dickens oder Jane Austen, hat aber weder deren stilistische Mittel noch Schärfe. (In der Übersetzung von Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol schimmert übrigens öfters das Englische durch – elegant ist sie nicht.)

Fairbrother ist ein guter Mann und bald tot

Mit „Ein plötzlicher Todesfall“ liegt ein gut gemeinter, aber kein wirklich guter Roman vor. Harte Zeiten nach Harry: Die Welt normalsterblicher „Muggles“ beschreibt Rowling hier nicht so erfindungsreich wie die Magie in ihrem Action-Monster-Meisterwerk. Das Buch ist bis auf Ausnahmen höchstens Durchschnitt. Die besten Passagen sind just jene, in denen sie sich dem Heranwachsen widmet, die schlechtesten jene, die Botschaften verbreiten. Was will sie uns sagen? Nehmt Rücksicht aufs Prekariat, ihr Spießbürger? Solche Deutlichkeit wäre im Manifest besser aufgehoben als in der Fiktion. Es besteht auch der Verdacht, dass hier arme Leute vorgeführt werden – nicht so zynisch wie die „bessere“ Gesellschaft, aber plump.

Die Handlung: Der engagierte Gemeinderat Barry Fairbrother erliegt auf der dritten Seite einem Schlaganfall. Er war, nomen est omen, ein guter Mensch, formidable Opposition gegen hartherzige Bürger, die Idylle vortäuschen und sich gerne abschotten würden vom Prekariat, für das es ein Synonym gibt: „The Fields“ ist der Stadtteil mit vielen Sozialhilfeempfängern. Schnittpunkt dieser Welten: die Gesamtschule Winterdown, die auch Kinder aus den Fields besuchen. Hardliner im Gemeinderat würden Kosten und Verantwortung für die Siedlung am liebsten auf die benachbarte Kreisstadt abwälzen, die sie ihnen ihrer Meinung nach einst planvoll beschert hat. Jetzt, nach dem plötzlichen Todesfall, nach der Vakanz im Gemeinderat, wittern die Unsozialen ihre Chance, die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu ändern, Projekte abzudrehen.

Episch breit wird diese Lokalposse abgehandelt, die beim Begräbnis den ersten Höhepunkt erreicht. Protagonist der Bösen: Howard Mollison, der fette Mitbesitzer eines Feinkostladens auf dem Marktplatz. Er sieht sich als erster Bürger von Pagford, unterstützt von seiner bigotten Gattin Shirley. Howard wird besonders schlicht gezeichnet, als wäre er die Karikatur der dumpfen Verwandten von Harry Potter. Und er ist nicht allein. Die meisten Erwachsenen sind grotesk, nicht nur miese Typen wie Simon Price, ein Aufsteiger, der seine eingeschüchterte Frau und seinen Sohn Andrew quält. Sogar jene, mit denen es die Erzählerin gut meint, sind klischeehaft – etwa die aus Pakistan stammende Ärztin Parminder, eine Gegenspielerin der bösen Mollisons. Den Charakteren mangelt es an Plastizität. Die meisten hier neigen zum Egoismus, zur Engstirnigkeit. Dieses Buch macht traurig, es pflegt die Depression. Zur Tristesse passt auch die zuweilen ordinäre Sprache. Sie signalisiert: „Achtung, Jugendverbot!“ Dabei wirken gerade Liebesszenen wie Persiflagen. Was zum Beispiel ist eine „miraculously ungarded vagina“?

Abends ritzt sich das verlachte Mädchen

Besser gelingen Rowling die Schilderungen des Elends. Die jugendlichen Figuren sind das Kraftzentrum, zum Beispiel Parminders Tochter Sukhvinder, die in der Schule verlacht wird, sich abends den Arm ritzt, oder der pubertäre Andrew und sein Freund Stuart, beide unsicher, hormongesteuert und sensibel. Eine zentrale Figur: Teenager Krystal Weedon. Sie hat eine drogenabhängige Mutter, die nebenbei anschafft. Die Tochter muss sich um den dreijährigen Bruder kümmern, dem immer wieder die Abschiebung zu Pflegeeltern droht. Der Besuch der Sozialarbeiterin Kay im Milieu wird beeindruckend hart beschrieben, so wie auch die Charakterisierung der auf brutal und vulgär getrimmten Krystal, die bereits so viel Verantwortung tragen muss. Sie trauert wie alle Guten hier um Barry. Er war ihr Förderer.

Wer wird sich nach seinem Tod um solche Kinder sorgen? Die Zukunft macht uns alle bange – so lautet eine elementare Botschaft in Rowlings schwarz gemaltem Werk, das mit einem weiteren Begräbnis endet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28. September 2012)

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