Der israelische Premier Netanjahu will alle Siedlervorposten legalisieren lassen. Opposition und Regierungspartner zeigen sich schockiert. Offenbar will sich Netanjahu Wählerstimmen unter den Siedlern sichern.
Jerusalem. Israels Premier Benjamin Netanjahu sorgte am Mittwoch auch bei seinem Regierungspartner für Aufregung. Netanjahu kündigte die rückwirkende Legalisierung sogenannter Siedlervorposten an. Selbst Verteidigungsminister Ehud Barak warnt nun vor einer „Vertiefung von Israels Isolation in der Welt“. Noch im Sommer hatte Netanjahu eine Umsetzung der Empfehlungen des pensionierten Richters Edmond Levy vorerst gestoppt. Levy hatte festgehalten, dass der Bau von Siedlungen im besetzten palästinensischen Land nicht gegen internationales Recht verstoße.
„Israel ist kein Besatzer“
Levy, ehemals Richter am Obersten Gericht, hatte im Auftrag der Regierung eine dreiköpfige Kommission zur Prüfung der Rechtslage in Judäa und Samaria geleitet. Wo Privatbesitz im Spiel ist, müssten Reparationen bezahlt werden, schrieb er. Der Bau von Siedlungen sei schon deswegen rechtens, heißt es weiter, weil Israel im Westjordanland „keine militärische Besatzungsmacht“ sei.
Offenbar will sich Netanjahu mit der geplanten Debatte innerhalb der Regierung Wählerstimmen unter den Siedlern sichern. Einen Termin für die Abstimmung der Minister gibt es zwar noch nicht, dafür aber für die vorgezogenen Neuwahlen, die am 22. Jänner abgehalten werden sollen. Im rechten Lager wird der politische Jungstar Jair Lapid zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten Netanjahus. Auch Ex-Fernsehmoderator Lapid schreibt den Siedlungsausbau auf die Agenda seiner Partei „Es gibt eine Zukunft“.
„Netanjahu spielt mit einem Flammenwerfer über einem Fass Benzin“, wetterte Israel Chasson, Abgeordneter der rechtsliberalen Kadima-Partei. Aus politischen Interessen opfere Netanjahu den Staat Israel. „Wir werden den Preis dafür bezahlen.“ Das Weiße Haus hatte auf die Veröffentlichung des Levy-Berichts mit Kritik reagiert. Noch diese Woche hielt US-Präsident Barack Obama fest, dass „die Siedlungen ein Hindernis auf dem Weg zum Frieden sind“.
Levy lehnt in seinem Bericht die Räumung von Häusern oder gar ganzer Viertel strikt ab. Vor sechs Wochen hatte die Armee rund 50 Familien in der Siedlung Migron umsiedeln müssen, nachdem palästinensische Landbesitzer vor Gericht ihre Ansprüche durchsetzen konnten.
Über 100 wilde Siedlungen
Im März 2005 hatte eine ebenfalls von der Regierung eingesetzte Kommission genau das Gegenteil von Levys Schlussfolgerungen festgehalten. Die Juristin Talia Sasson, federführend beim Verfassen des Berichts, schrieb, dass „die Prinzipien eines Rechtsstaates ernsthaft gefährdet“ würden. Sie riet dringend zur Auflösung der „illegalen Vorposten“, die, wie Migron, ohne Regierungsentscheid, ohne Bewilligung der Armee und ohne öffentlichen Plan errichtet wurden. Der Sasson-Bericht landete in der Schublade. Über einhundert „illegale Vorposten“ zählt inzwischen die Bewegung „Frieden jetzt“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2012)