Helen Feng: Schießpulver-Pop

Über Underground-Pop aus China weiß man hierzulande wenig. Helen Feng ist eine der Protagonistinnen dieser Musikszene und gilt als „Queen of Beijing“.

Wenn Kandidaten in einer Quizsendung zeitgenössische chinesische Künstler nennen müssten, würden wahrscheinlich in erster Linie Literaten genannt werden. Liao Yiwu etwa, der Mitte Oktober in Frankfurt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, oder Mo Yan, der diesjährige Träger des Literaturnobelpreises. Wahrscheinlich würde auch der Name des Konzeptkünstlers und Selbstvermarkters Ai Weiwei fallen. Auf die Nennung von Vertretern progressiver Popmusik müsste man hingegen wohl lange warten. Und doch begaben sich nach der Jahrtausendwende deutsche Filmschaffende nach Peking, um Aushängeschilder der Punk- und Rockszene wie Joyside zu porträtieren. Das Endprodukt – die Dokumentation „Beijing Bubbles“ – wurde 2008 auch im Wiener Schikaneder gezeigt. Inmitten der männlichen Protagonisten konnte sich mit Helen Feng auch der Liebling von „Vogue China“ positionieren. Die gebürtige Chinesin kehrte nach 17-jährigem Aufenthalt in Nordamerika 2002 wieder nach Peking zurück, wo sie zunächst als Moderatorin bei MTV China tätig war. Nachdem sie sich als Sängerin bei Bands wie Pet Conspiracy nicht nur landesweit einen Namen machen konnte, widmet sich die gerne als „Blondie of China“ oder „Queen of Beijing Rock“ titulierte Feng nun ihrem Soloprojekt Nova Heart, einer Melange aus Electro-Pop, Shoegaze und Italo. Das kommt nicht von ungefähr, immerhin wurde ihre kürzlich erschienene Debüt-EP „Beautiful Boys“ (Label: FakeLoveMusic) vom Römer Rodion produziert. Im Rahmen ihrer Europatour trat sie im Oktober beim Waves-Festival auf.

Sie haben nach ihrem Konzert beim Waves-Festival noch einige Tage in Wien angehängt?

Wien hat mir sehr gut gefallen. Positive Erinnerungen, die ich mitnehme, sind das Konzert, das wir gespielt haben, der Kaffee und die Wiener Küche am Naschmarkt. Wir waren jeden Tag hier essen, obwohl mir natürlich bewusst ist, dass es nicht die Wiener Küche im eigentlichen Sinn ist.

Wie würden Sie die Musik von Nova Heart beschreiben, welches Ziel steckt dahinter? Haben Sie sich bei der Namensgebung vom Song der New-Wave-Formation The Spoons inspirieren lassen?

Nein, ich habe mein Soloprojekt nicht nach dem 80er-Jahre-Song „Nova Heart“ benannt. Das Lied ist okay. Es ist wohl das beste der Spoons-Songs. Den Namen habe ich gewählt, weil ich nach meinen diversen Bandprojekten etwas Neues kreieren wollte. Ich will, dass meine Musik im Gedächtnis bleibt und dass das Projekt als eine gute internationale Band wahrgenommen wird. Primär steht im Fokus, dass ich als 100-Jährige noch voller Stolz auf das Geschaffene zurückblicken kann.

Sie haben 17 Jahre in Nordamerika, unter anderem in Texas, verbracht. Was waren die Gründe für Ihre Rückkehr nach China?

Ich kam wegen eines Jobs wieder nach China und weil es dort sehr spannend ist. Ich habe gespürt, dass sich in China eine Vielzahl von Möglichkeiten und Chancen auftut, die Veränderungen sind rasant. Und man hat das Gefühl, etwas verändern zu können, auch wenn man nicht mit allem, was in China passiert, d’accord ist. Als ich 2002 zurückging, merkte ich, dass es ein großes Interesse an Kultur gibt.

Wie kann man sich das Leben als Musikerin in China vorstellen?

Aus wirtschaftlicher Sicht sieht es für die Kunst in China gut aus. Bands können endlich ihr Leben mit ihrem musikalischen Output finanzieren, unter anderem auch, weil es immer mehr Festivals gibt. Es gibt keine finanziellen Förderungen durch den Staat, er pumpt nur singulär Geld in die Branche. Zensur findet im Großen und Ganzen nicht statt. Auf der anderen Seite sind mit dem Hype auch die Egos der Musiker gewachsen, und die Erwartungshaltung ist hoch. Internationale Acts bekommen nicht so viel Aufmerksamkeit. Ich kann mich erinnern, dass Jared Letos Band 30 Seconds to Mars in Peking vor gerade mal 300 Menschen spielte. Das Interesse an lokalen Künstlern und Formationen steigt hingegen.

Ist es einfacher oder schwerer, von Peking eine Weltkarriere zu starten, als von New York oder London?

In den nordamerikanischen oder europäischen Markt zu gelangen ist schwierig, weil es uns viel Geld kostet, die Reisekosten aufzubringen. Die Konzertbesucher sind zwar neugierig, aber man wird auch als Neuling oder Exote abgestempelt. In China können wir ganz gut von den Auftritten leben, dafür machen wir alles, so gut es geht, selber. Das Label, auf dem wir releasen (Anm.: FakeLoveMusic), haben ich und mein Partner Philipp gegründet. Ich glaube aber daran, dass Musik aus China weltweit Erfolg haben kann. Es ist meiner Meinung nach nur eine Frage der Zeit. Ich bin mir der Vorurteile, die es gegen mein Land gibt, bewusst, ich weiß auch, dass es unkreatives Kopieren von Produkten gibt. Aber wenn man nach Peking kommt, sieht man die lebendige Underground-Kultur, die keinesfalls den Stereotypen entspricht. Chinesen haben den Kompass, das Schießpulver und das Papier erfunden. Ich kann mich nur wiederholen, es ist eine Frage der Zeit.

Mit welchem Bild Chinas werden Sie konfrontiert, wenn Sie in den USA oder Europa auf Tournee sind?

Was mich stört ist, dass in den westlichen Industriestaaten ausschließlich negativ über China berichtet wird. Wenn es Positives zu vermelden gäbe, wird das nicht getan. Wenn Negatives vermeldet wird, wird zumeist unreflektiert und monokausal berichtet. China ist zu komplex, um es darzustellen.

Hörprobe

TIPP

Helen Feng. Die erste Nova-Heart-EP „Beautiful Boys“ ist auf iTunes erhältlich. Die nächsten Konzerte im deutschsprachigen Raum: 2. November in Frankfurt, 3. November in Köln.

Link: soundcloud.com/novaheart

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