Das schwarze Gold unter der Prärie

schwarze Gold unter Praerie
schwarze Gold unter Praerie(c) AP (Gregory Bull)
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Im dünn besiedelten US-Bundesstaat North Dakota an der kanadischen Grenze ist ein gigantischer Ölboom ausgebrochen. Die Bakken-Formation zieht wie ein Jobmagnet Arbeiter aus allen Teilen an.

Am Horizont erheben sich Staubwolken über der Grassteppe. Rund um die Uhr rollen Lastwagen auf den Schotterpisten zwischen den Weizenfeldern, die Straßen rund um Williston sind chronisch verstopft. Im nördlichen Teil des dünn besiedelten US-Bundesstaats North Dakota, dicht an der kanadischen Grenze, kommt der Verkehr an den Ausfallstraßen regelmäßig zum Erliegen. Raupen und Bagger wälzen sich voran, Arbeitstrupps heben Erdreich aus. Aneinandergereiht liegen blaue Rohre am Straßenrand, die zur Pipeline zusammengeschweißt werden.

Die Schwungräder der Bohrtürme in der Prärie heben und senken sich surrend im mechanischen Takt, aus einer Öffnung züngeln Gasstichflammen. Zu Dutzenden ragen Pumpen und Raffinerieanlagen, Kräne und Öldepots, die wie niedrige Silos anmuten, aus der flachen Landschaft. In drei bis fünf Kilometer Tiefe schlummert der Ölschatz, eingeschlossen im Schieferflöz der Bakken-Formation, die sich auf einer halben Million Quadratkilometer ausdehnt – bis hinein in den Nachbarstaat Montana und die kanadische Provinz Saskatchewan.


Hydro-Fracking. Neue Techniken wie die horizontale Bohrung und das ökologisch umstrittene Hydro-Fracking, der Beschuss des unterirdischen Gesteins mit einem Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien, ermöglichen die Ölförderung. Die Bakken-Formation gilt als größtes Reservoir Nordamerikas und als eines der größten Ölfelder der Welt. Großzügigen Schätzungen zufolge liegen hier 25 Milliarden Barrel Öl unter der Erde begraben.

Die Vorkommen sollen die Abhängigkeit der Nation von den Ölexporten aus dem Nahen Osten radikal reduzieren. Die vorläufige Stornierung des Baus der Pipeline „Keystone XL“ von Kanada an den Golf von Mexiko aus Umweltschutzgründen kompliziert indes die Transportwege, die Tankwaggons des Eisenbahnunternehmens Burlington Northern Santa Fe des Milliardärs Warren Buffett erweisen sich als kostspielig. Die Republikaner, die Öl-Lobby und nicht zuletzt Kanada liefen gegen die Entscheidung der Obama-Regierung Sturm. Fürs Frühjahr stellte sie eine Revision in Aussicht.

Überall an der Peripherie Willistons erstrecken sich die Trailerparks, die metallenen, grauen und blauen Wohncontainer, die sogenannten „Man Camps“. Motels und Hotels sind auf Monate hinaus komplett ausgebucht. Die Mieten und Hauspreise sind im einst verschlafenen Williston aufs Doppelte oder Dreifache gestiegen, auf das Niveau der Großstädte an der Ostküste – unerschwinglich für Normalverdiener wie Lehrer oder Krankenschwestern. Die Bevölkerungszahl von Williston – Heimat des legendären Basketball-Coachs Phil Jackson, der mit den Chicago Bulls und den L.A. Lakers elf Titel erobert hatte – hat sich in den vergangenen Jahren auf 30.000 Einwohner verdoppelt, und die Infrastruktur ist mit dem Zuzug völlig überfordert. Es fehlt nicht nicht nur an Wohnungen und Motels, sondern auch an Schulen, Restaurants und Lokalen.


Raue Winter. Rund um Williston und Tioga ist ein gigantischer Ölboom ausgebrochen, es herrscht Goldgräberstimmung wie zu Ende des 19. Jahrhunderts in Alaska und im US-Westen. Diesmal lockt das schwarze Gold die Arbeiter und auch manche Desperados an. „Black Gold“ nennt sich auch eins von zwei Motels in Tioga, dem Ground Zero des Ölrauschs unweit von Williston. Aus dem ganzen Land kommen sie in den unwirtlichen Norden mit den rauen Wintern – aus Florida und Oklahoma, aus dem Mittleren Westen und von der Westküste. Die Arbeitslosenrate in North Dakota ist die niedrigste im gesamten Land, sie ist unter drei Prozent gefallen, in Williston sogar auf ein Prozent. Und North Dakota hat mittlerweile Alaska als zweitgrößter Ölproduzent der USA abgelöst.

Motels und Imbissläden werden binnen weniger Monate aus dem Boden gestampft, im „Holiday Inn Express“ funkelt die neue Einrichtung. „Bald offen“, verheißt auch eine Tafel vor einer Tankstelle. Allenthalben künden Schilder von neuen Jobs. Es gibt sie im Überfluss: Gesucht werden Bohrexperten, Lkw-Fahrer, Verkäuferinnen bei Walmart und Servicepersonal im Hotelsektor und in Fast-Food-Ketten. Und Feuerwehrleute – denn in Minot sind viele „Fire Fighters“ in die lukrativere Ölbranche umgestiegen.

Vor der Post und dem McDonald's-Laden in Williston ziehen sich die Warteschlangen bis hinaus auf die Straße. Matthew Page gibt gerade ein Paket auf. Der 25-Jährige ist aus Iowa hergezogen und hat inzwischen seine Freundin Anne, eine Kellnerin, nachgeholt. Der Bohrtechniker will noch mindestens ein Jahr bleiben, um sich zu Hause mit dem Ersparten eine Existenz aufzubauen. Er ist allerdings bereits ein wenig enerviert von den Schattenseiten des Booms. „Je mehr Geld du verdienst, desto mehr gibst du für den täglichen Bedarf aus.“ Die Mieten lägen bei 2000 bis 3000 Dollar. „Und die Verbrechensrate ist auch gestiegen“, wirft seine schwangere Freundin ein.


Man Camps. Sie spielt auf die „Man Camps“ an, in denen die Arbeiter in engen Kojen zusammengepfercht sind. Auf der Suche nach Zerstreuung kommen sie in der Kleinstadt zuweilen mit dem Gesetz in Konflikt. Um sie von der Stadt fernzuhalten, versuchen die Öl- und Baufirmen, sie jetzt in größeren Wohneinheiten möglichst komfortabel unterzubringen. Das Möbelhaus Collins kann sich über die Nachfrage jedenfalls nicht beklagen, es profitiert von dem „Jobwunder“ in der Prärie.

„Plötzlich waren die Ölarbeiter wieder da. Sie lassen Geld in der Stadt“, erzählt die Ko-Geschäftsführerin Rhonda Gilbert, die dem Ölrausch überwiegend positive Seiten abgewinnt. Sie erinnert sich an den ersten Boom in den 1980er-Jahren, der genauso jäh nach drei Jahren wieder vorbei war. „Das hat uns hart getroffen.“ Damals zogen die Bohrspezialisten weiten in den Westen, nach Wyoming. „Jetzt sagen die Leute, die Bohrungen könnten 15 bis 20 Jahre andauern.“

Bei „Pennys“, einem Billigkaufhaus in Williston, würden die Neo-Kunden aus dem Rest der USA gleich stapelweise zu Hemden und Jeans greifen, berichtet die Verkäuferin. Auch Sidney, die Grenzstadt in Montana, erntet die Früchte des „flüssigen Golds“. Vor dem Bezirksgericht fädelt sich die Warteschlange der Jobsuchenden auf. „Die können nicht genug Leute anheuern. Sie werden das Öl einfach nicht schnell genug los“, sagt Connie Clifton, der massige Besitzer des nahen „Park Plaza Motels“ in seinem, mit John-Wayne-Devotionalien dekorierten Büro. Selbst das heruntergekommene Motel in der von Casinos und Nachtklubs gesäumten Stadt brummt.


Verkehrshölle. Bedenken wegen Folgeschäden durch Stickstoffoxide oder die Verseuchung der Böden durch chemikalische Restbestände beim Hydro-Fracking wischt Clifton beiseite. Umweltschutz spielt in North Dakota kaum eine Rolle, Skeptiker wie die Aktivisten des „Sierra Club“ oder vereinzelte Indianer dringen mit ihrer Kritik nicht durch. Den Lokalpolitikern, moniert einer, stünden nur die Dollarzeichen vor Augen. Tatsächlich wirft der Ölboom in North Dakota einen Überschuss fürs Budget ab. Und die Lobbyisten der Ölbranche sorgen in der Hauptstadt Bismarck dafür, dass er nicht so bald versiegt.

Neben dem Anstieg der Verbrechensrate und der Preise stöhnen die Bewohner vor allem unter der Verkehrshölle in ihrer einst so beschaulichen, kleinen Welt fernab der Metropolen. Manche Rentner sind bereits nach Bismarck gezogen – oder gleich in den „Sunshine State“ Florida.

ÖLBOOM IN NORTH DAKOTA SCHAFFT NIEDRIGSTE aRBEITSLOSENRATE IN uSA

Die Bakken-Formation ist das größte Ölreservoir Nordamerikas und eines der
größten Ölfelder der Welt. Experten schätzen, dass bis zu 25 Milliarden Barrel Rohöl in drei bis fünf Kilometer Tiefe schlummern. Neue Techniken wie horizontale Bohrung und Hydro-Fracking ermöglichen die Ölförderung. Das Feld mit der Fläche von einer halben Million Quadratkilometer erstreckt sich über die US-Bundesstaaten North Dakota und Montana sowie die kanadische Provinz Saskatchewan.

North Dakota, ein Staat mehr als doppelt so groß wie Österreich mit kaum
700.000 Einwohnern, weist mit weniger als drei Prozent die niedrigste Arbeitslosenquote in den USA auf. In Williston herrscht bei einer Arbeitslosigkeit von einem Prozent überhaupt Vollbeschäftigung. Alle Branchen stellen neues Personal ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2012)

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