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Gaslight Anthem: "Ich bin doch ein echter Mensch"

Gaslight Anthem doch echter
Gaslight Anthem doch echter(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Während in ihrer Heimat "Sandy" wütete, gastierten die US-Punkrocker um Brian Fallon am Montag in Wien und sprachen mit DiePresse.com über Erfolg und Privatheit.

Als Punkversion von Bruce Springsteen wurden Gaslight Anthem berühmt. Über den Boss wollen sie auf der Tour zur aktuellen Album "Handwritten" nicht mehr reden. Viel mehr beschäftigen die Musiker um Frontmann Brian Fallon die Medien und die ungewohnte eigene Prominenz. Während in ihrer Heimat New Jersey Sturm "Sandy" wütete, gastierten die US-Punkrocker am Montagabend im Wiener Gasometer. Vor ihrem Auftritt sprachen Sänger Fallon und Gitarrist Alex Rosamilia mit DiePresse.com über die Fallen im Internet und die Grenzen von Privatheit.

DiePresse.com: Es gibt viele Referenzen an die Vergangenheit in euren Texten. Das neue Video "Here Comes My Man" hat ein Fünfziger-Jahre-Feeling und das aktuelle Album heißt "Handwritten", Handgeschrieben. Was ist an der Vergangenheit so faszinierend?

Brian Fallon: Nichts. Es geht nicht um die Vergangenheit. Ich mag einfach diese organische Art, in ein Notizbuch zu schreiben und es zu behalten - für mich. Ich habe keine Schwäche für Nostalgie. Alle Songs spielen heute. Ich habe eine Mikrowelle, einen Computer und nutze das Internet. Ich mag aktuelle Filme und ich höre mir keine Musik aus den Fünfzigern an.

"Handwritten" ist euer erstes Album auf einem Major Label im Musikgeschäft. Gibt es etwas, dass ihr an einem Indie-Label vermisst?

Rosamilia: Der Unterschied ist nicht so groß, wie alle glauben. Das sind Menschen, die Musik lieben. Sie arbeiten nur in einer größeren Firma. Deswegen gibt es bestimmte Regeln, denen man folgen muss, um erfolgreich zu sein. Indie Labels können anders mit Risiken umgehen, weil nicht so viel Geld drinsteckt.

Wird es langweilig zu hören, dass ihr die Erben von Bruce Springsteen seid oder ist es immer noch ein Kompliment?

Fallon(lacht): Was hast du sonst noch?

Dann reden wir über die Texte. Auf den Vorgängeralben "The '59 Sound " und "American Slang" habt ihr Geschichten erzählt - mit Figuren und Plots. Die Texte auf "Handwritten" sind eher ein Dialog mit dem Hörer. Wieso habt ihr das geändert?

Fallon: Ich hatte das Gefühl, ich müsse die Dinge direkt rauslassen und nicht mehr mittels Charakteren. Das ist ein Prozess, den man durchläuft, wenn man mehr Songs schreibt. Man lernt, die Dinge auf neue Art zu machen und verbraucht seine alte Inspiration. Themen, Einflüsse funktionieren immer für eine gewisse Zeit, aber man muss sich entwickeln und beim Schreiben und Neues ausprobieren. Das gehört zur Entwicklung.

In welcher Art hat sich Gaslight Anthem über die letzten vier Alben insgesamt entwickelt?

Rosamilia: Wir sind älter.

Fallon: Wir sind sicher bessere Musiker geworden.

Ich habe gelesen, ihr hattet einen Fünfjahres-Plan, als ihr "Gaslight Anthem" begründet habt.

Fallon: Ich hatte glaube, ich einen Fünfjahresplan für mein Leben. Aber nichts davon ist eingetreten. Woher hast du das?

Ich habe es im Internet gelesen.

Fallon: Bei solchen Dingen hasse ich das Internet. Da gibt es so viel Dreck. Die Leute stopfen das Internet voll mit ihren Meinungen, ohne dass sie mit jemandem reden. Und die Dinge, die ich über uns selbst gehört habe, sind eigenartig. Viele Menschen holen sich Informationen für Interviews aus dem Internet. Das ist echt seltsam, weil wir uns immer fragen: 'Woher habt ihr das?'

Das nennt man Recherche.

Fallon: Das ist keine richtige Recherche. Wenn man Artikel in Print liest, gibt es da immer einen Redakteur, der das überprüft. Im Internet gibt es keine gegenseitige Kontrolle. Jeder kann alles schreiben. Vor allem bei Wikipedia. Das ist der erste Ort, an dem die Leute nachschauen - aber es ist auch der schlechteste.

Warum soll das der schlechteste Ort sein?

Rosamilia: Weil jeder alles hinzufügen kann. Ein Freund von mir schreibt Wikipedia-Einträge, wenn er betrunken ist - und zwar dumme Dinge. Es gibt keine richtige Kontrolle. Es gibt niemanden, der die Beiträge die ganze Zeit überprüft. Je vager man ist, desto länger bleibt es drin. Einmal hat er was Falsches reingeschrieben, das war drei Monate drin.

Fallon: Für uns und andere Bands bedeutet das einen ständigen Prozess des Dinge-Richtigstellens. Nach einer Weile will man gar nichts mehr sagen. Es braucht viel, damit man über das, was einem am meisten bedeutet, redet. Das ist, wie wenn man jemanden bitten würde, sein Sex-Leben zu beschreiben. Was? Nein, das ist privat!

Das ist doch nicht privat, wenn man auf einer Bühne steht und vor tausenden Leuten spielt.

Fallon: Mein Leben ist sehr privat. Nur weil ich auf der Bühne stehe, heißt das nicht, dass ich keine Privatheit habe. Und nur weil ich einen Song spiele, heißt das nicht, dass ich jedem erzählen muss, worüber der ist. Nur weil sich jemand mit einem identifiziert, heißt das nicht, dass man demjenigen was schuldig ist.

Ist er generell schwierig, privat zu bleiben, wenn man als Band eine gewisse Größe erreicht hat - so wie ihr jetzt?

Rosamilia: Es wird schwieriger.

Gaslight Anthem (vlnr): Alex Levine, Benny Horowitz, Brian Fallon und Alex Rosamilia
Gaslight Anthem (vlnr): Alex Levine, Benny Horowitz, Brian Fallon und Alex Rosamilia(c) Universal Music

Fallon: Menschen wollen mehr wissen, als du preisgeben willst. Vor allem über Dinge, die nicht wichtig sind. Über TV-Shows oder Bücher. Wenn ich mir von jemandem ein Album anhöre, ist mir egal, welches Shirt der trägt. Leute versuchen zu definieren, was wir tun - das ist ihr Lieblingsspiel. Als ob wir uns die ganze Zeit damit auseinandersetzen würden, zu definieren, wer und was wir sind. Wir schreiben Songs, wir haben kein Ding. Wir sind nicht die Ramones. Die waren die Band mit den langen schwarzen Haaren und den Lederjacken aus New York City. Bei denen ging es um Comics und Klebstoffschnüffeln. Das sind die Ramones und das ist, was sie machen. Aber wir wollen nicht auf etwas ausgerichtet sein. Ich weiß nicht, was mir machen.

Wieso machst du, was du machst?

Fallon: Warum machst du, was du machst?

Weil ich glaube, dass ich gut darin bin.

Fallon: Das ist der Hauptgrund, wieso du das machst? Ehrlich?

Nein, weil ich das Schreiben liebe.

Fallon: Genau! Deswegen machst du's! Weil du es liebst. Aber kannst du das definieren? Kannst du mir sagen, woher du deine Inspiration holst?

Keine Ahnung.

Fallon: Du weißt es nicht, weil es von verschiedenen Seiten herkommt. Vielleicht inspiriert dich eine Autofahrt, ein Gespräch mit jemandem oder ein Bild, das du siehst. Aber du kannst es nicht genau bestimmen. Wenn du das könntest, wäre es weg. Dann würdest du nicht mehr schreiben, weil du nichts mehr entdecken würdest. Ich denke, das ist die Quintessenz: Die Entdeckung. Wohin gehe ich? Was macht das mit mir? Was kommst als nächstes? Songs und Alben sind wie Schnappschüsse. Eine Momentaufnahme.

Schaut ihr manchmal, was über euch im Internet steht?

Fallon: Nein! Ich lese keine Kritiken, keine Blogs, keine Magazinartikel über uns. Es wurde einfach eigenartig. Am Anfang fand ich es so cool, wenn jemand über uns geschrieben hat. Ich finde es immer noch cool, wenn Leute über uns schreiben aber meistens schreiben sie Schwachsinn.

Danke.

Fallon: Ich sagte: meistens. Nicht: Du schreibst Schwachsinn über uns. Meistens ist es so, dass selbst wenn etwas Nettes über uns geschrieben wird, am Ende eine Spitze kommt. So in der Art 'Sie waren so toll, blablabla .... außer: Sie haben das und das nicht getan'. Es ist immer irgendwas. Mag unsere Musik oder mag sie nicht und wenn du sie nicht magst, dann eben nicht.

Ist es ein Problem für euch, dass ihr jetzt bei einem Major seid und vor großen Menschenmengen spielt und die Leute sagen: 'Ich mag sie nicht mehr, weil sie jetzt kein Geheimtipp mehr sind'?

Rosamilia: Leute sagen das über uns, aber das passiert doch immer. Sie regen sich auf, weil ihr kleines Geheimnis nicht länger ein Geheimnis ist. Die Leute wollen nicht, dass Menschen, die sie nicht mögen, dieselben Sachen gut finden. Darum mögen sie uns dann nicht mehr. Weil diese anderen Leute nicht zu ihren Idealen passen. Aber es ist verdammt dämlich.

Fallon: Es ist doch generell skurril: Egal ob man ein Schauspieler ist, ein Musiker oder ein Literat, dass man weil man etwas mag und es veröffentlicht, dieses ganze andere Zeug passiert. Warum interviewen sie dich im Fernsehen? Wofür? Meine Meinungen sind nicht mehr wert als die von irgendjemand anderen. Das verstehe ich nicht.

Rosamilia: Ich denke, das ist ein Problem in der ganzen Unterhaltungsindustrie.

Fallon: Dass ich zu allem eine Meinung haben soll?

Prominente bekommen in unserer Gesellschaft immer mehr Bedeutung. Es gibt diese These, dass das mit Religion zu tun hat: Menschen sind heutzutage weniger religiös und an die Stelle der Götter oder Heiligen treten Berühmtheiten.

Fallon: Das ist ja seltsam! Das habe ich noch nie gehört. Das gefällt mir nicht, es macht mir eher Angst. Ich bin doch ein echter Mensch. Ich bin kein Celebrity, der reich ist und eine Fernsehshow hat. Ich habe Probleme wie jeder andere. Wir machen Musik und haben einfach Glück. Ich weiß nicht, wieso die Menschen sie mögen, wirklich nicht. Ich bin einfach dankbar, dass sie es tun.

Eine letzte Frage: Welche Musik mögt ihr gerade?

Rosamilia: Ich höre viel von der Band Earth. "The Bees Made Honey in the Lion's Skull " heißt das Album. Und Neil Youngs Soundtrack zum Film "Dead Man" von Jim Jamusch. Und der "Girl with the Dragon Tattoo"-Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross.

Fallon: The XX mag ich sehr. Die habe ich gerade erst entdeckt. The National. Bon Iver höre ich jeden Tag. Sigur Ros habe ich erst vorgestern entdeckt. Ich stehe auf Songtexte, Bob Dylan, Conor Oberst, Ryan Adams, und lese auch Lyrik, etwa T.S. Eliot. Und dann hört man eine Band wie diese und versteht kein Wort - trotzdem spürt man dasselbe. Das ist eigenartig, aber großartig.

Gaslight Anthem

Die Band aus New Brunswick im Boss-Staat New Jersey begann 2005 mit ihrem Debüt "Sink or Swim" als erfrischende Mischung aus Punk, Rock und Independent mit einem Schuss Retro-Pop. 2008 erschien "The '59 Sound". Die gefile auch Vorbild und Übervater Bruce Springsteen, der im Sommer 2009 gemeinsam mit Fallon den Titelsong in London spielte. Gute Kritiken gab es auch für den Nachfolger "American Slang" von 2010. Das vierte Album "Handwritten" erschien im Juli 2012 und ist ihre erste Platte auf einem Major Label.

Die Band:
Brian Fallon (Gesang, Gitarre)
Alex Levine (Bass)
Benny Horowitz (Schlagzeug)
Alex Rosamilia (Gitarre)

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