Die mächtigen Staatskonzerne drängen zunehmend private Betriebe vom Markt. Der Staat stellt über seine verstaatlichten Banken seinen Unternehmen billiges Geld zur Verfügung.
Peking. Es sind noch keine 15 Jahre her, da war die Fünf-MillionenEinwohner-Stadt Shenyang in Chinas Nordosten grau und trostlos. Das Landschaftsbild der Region prägten heruntergekommene Industrieanlagen, die Unmengen von Dreck in die Luft schleuderten, die Betriebe waren personell überbesetzt, ihre Produkte alles andere als wettbewerbsfähig. All diese Unternehmen gehörten dem Staat.
Heute ist die Luft von Shenyang viel sauberer. Im ehemals düsteren Industriegebiet stehen moderne Montagehallen, in denen komplizierte Maschinen gefertigt werden. „Brilliance Auto“ lässt hier unter anderem SUVs von BMW zusammenschrauben. Die „Shenyang Aircraft Corporation“ baut moderne Privat- und Militärjets. Die „Neusoft Group“, Chinas größtes Softwareunternehmen, hat hier ihren Hauptsitz. Noch immer sind diese Firmen in Staatshand.
Wiederbelebte Dinosaurier
Einst als Dinosaurier eines zerfallenden Systems abgeschrieben, sind viele Staatsbetriebe in weniger als zehn Jahren völlig umgekrempelt worden und „werfen mit einem Mal Gewinne in vielfacher Milliardenhöhe ab“, schreibt der Publizist und China-Kenner Richard McGregor. Damit ist der KP das gelungen, woran die anderen realsozialistischen Länder gescheitert sind: der Aufbau eines profitablen Staatssektors, der betriebswirtschaftlichen Regeln folgt, aber trotzdem vom Staat kontrolliert wird. Chinas Staatssektor macht über 40 Prozent der Wirtschaftsleistung aus und hat zum ökonomischen Aufstieg der Volksrepublik beigetragen.
Dabei ist das Konzept nicht wirklich spektakulär: Der Staat stellt über seine verstaatlichten Banken seinen Unternehmen billiges Geld zur Verfügung. Zugleich schützt er sie vor Konkurrenz aus dem Ausland. Schlüsselindustrien wie Energie, Stahl, Verkehr und Telekommunikation bleiben in Staatshand. Effizienzsteigerung und rasantes Wirtschaftswachstum tun ihr Übriges. Allein im Vorjahr lag der Nettogewinn der 144.700 Staatsunternehmen bei umgerechnet 322 Mrd. Euro. Auf der Liste von Fortune 500, auf der Unternehmen nach Umsätzen klassifiziert werden, nehmen Chinas Staatsfirmen heute Spitzenpositionen ein. Der Staat profitiert davon.
Schamlose Bereicherung
Doch dieses Modell stößt an seine Grenzen. Die gezielte Begünstigung der staatlichen Unternehmen hat dazu geführt, dass sie dem Privatsektor die Geschäfte abwürgen und ihn vom Markt drängen.
„Vor allem das große Konjunkturpaket Ende 2008 hat privaten Unternehmen sehr geschadet“, kritisiert der Pekinger Ökonom Yuan Gangming. Um die Wachstumsraten beizubehalten, hat das Politbüro angeordnet, den Geldhahn aufzudrehen: Allein im ersten Halbjahr 2009 gaben Staatsbanken fast 50 Prozent mehr Geld aus als im ganzen Jahr 2008. Aber nur 15 Prozent davon flossen in den Privatsektor. „Das hat die Staatsunternehmen noch mehr aufgebläht und mächtiger gemacht“, so Yuan. „Die gut gefüllte Kriegskasse des Staates dient auch der Selbstbereicherung der Parteispitze.“
Tatsächlich haben Korruption und Selbstbereicherung in den vergangenen Jahren ein neues Ausmaß angenommen: Seilschaften und Überschneidungen zwischen Parteisekretären und Kadern der Staatsbetriebe hat es in China zwar auch früher gegeben, doch machten die Staatsfirmen lange kaum Gewinn. Erst das große Wachstum führte dazu, dass sich Politiker und ihre Familien schamlos bereichern konnten. Es ist kein Zufall, dass die wohlhabendsten 70 Delegierten des Volkskongresses über Vermögen von insgesamt 90 Mrd. Dollar verfügen. Und nicht nur sie: Selbst die höchste Partei- und damit Staatsspitze wirtschaftet kräftig mit. Zwei Dutzend Mitglieder des Politbüros sind unter den 500 reichsten Chinesen.
Noch-Staatsoberhaupt Hu Jintao hatte zu Beginn seiner Amtszeit verkündet, er wolle mit der Selbstbereicherung auf höchster Ebene aufräumen. Das gelang ihm nicht, heute sind die Verflechtungen zwischen Kadern und Staatsfirmen noch enger, das Vermögen der Familienmitglieder von Spitzenpolitikern vervielfachte sich. Fraglich, ob die neue Führung unter Xi Jinping das Ziel der finanziellen Selbstmäßigung überhaupt noch teilt.
Auf einen Blick
Der Nettogewinn der 144.700 Staatsunternehmen Chinas lag allein im vergangenen Jahr bei umgerechnet 322 Milliarden Euro. Auf der Liste von Fortune 500, auf der Unternehmen nach ihren Umsätzen klassifiziert werden, nehmen Chinas Staatsfirmen inzwischen Spitzenpositionen ein. Die höchsten KP-Kader und ihre Familien bereicherten sich in den vergangenen zehn Jahren an den Profiten der Staatsbetriebe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2012)