Österreichs „Ich-AGs“ ohne Heimat

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Der Chef der steirischen Wirtschaftskammer fragt sich, ob Kleinstfirmen in die Kammer gehören. Viele EPU fühlen sich von ihrer Vertretung nicht mehr ernst genommen.

Wien. Aufmerksame Beobachter wird die Aussage von Josef Herk, Chef der Wirtschaftskammer Steiermark, gar nicht so sehr überrascht haben. Es könne sein, dass einige Selbstständige in einer anderen Interessenvertretung besser aufgehoben wären, sagte er dem „Wirtschaftsblatt“. Gemeint waren die Ein-Personen-Unternehmen (EPU). Diese stellen in der Wirtschaftskammer schon mehr als die Hälfte der Mitglieder, Tendenz steigend. Wegen des rasanten Wachstums dieser Gruppe würden die Strukturen der Wirtschaftskammer bald völlig überfordert sein, warnte Herk.

Im Gespräch mit der „Presse“ formuliert Herk das so: „Jeder Unternehmer ist ein wichtiger Kunde von uns, dessen Leistungen und Einsatz wir schätzen.“ Die Betonung liege aber auf Unternehmertum. „Circa zwei Drittel der EPU sind hervorragende Unternehmer.“ Aber es gebe natürlich auch Gruppierungen, deren unternehmerischer Fokus „nicht so ausgeprägt“ sei. Dabei spiele natürlich auch das Einkommen eine Rolle. „Wenn ich als Unternehmer keine Erträge mache, heißt das im Finanzwesen Liebhaberei.“

Im Hauptquartier der Wirtschaftskammer weist man jede Diskussion über einen Ausschluss der EPU zurück: „Die Wirtschaftskammer ist die Interessenvertretung für alle Selbstständigen. Es wird nicht darüber diskutiert, dass wir irgendeine Unternehmergruppe hinauskomplimentieren“, heißt es aus dem Büro von WKÖ-Präsident Christoph Leitl. Für die Wiener Wirtschaftskammer sei das ebenfalls „kein Thema“: „Wir wünschen uns, dass noch mehr EPU unsere Leistungen in Anspruch nehmen“, heißt es aus der dortigen Pressestelle. Und auch Herk stellt klar: „Wir wollen niemanden aus der Kammer werfen. Aber wir müssen uns Gedanken machen, wohin die Reise geht.“

Offiziell stellt man sich also hinter die rund 240.000 österreichischen EPU. So gibt es in der Kammer auch ein „Forum EPU“, das sich um deren Interessen kümmert. Intern wird aber längst darüber diskutiert, wie man mit der wachsenden Zahl an Kleinstfirmen umgehen soll. Insidern zufolge herrsche in der Angelegenheit eine gewisse „Ratlosigkeit“.

„Kleine, denen man helfen muss“
Denn hier prallen zwei Welten aufeinander: auf der einen Seite die großen, etablierten Firmen, deren politisches Zuhause der ÖVP-Wirtschaftsbund ist. Und auf der anderen Seite die vielen Kleinstbetriebe, von denen viele gar nicht wachsen wollen. Hans Arsenovic, Wiener Landessprecher der Grünen Wirtschaft, formuliert das so: „Die Wirtschaftskammer sieht EPU als die Kleinen, denen man helfen muss, groß zu werden. Oder die Armen, die in die Selbstständigkeit gedrängt wurden. Ein richtiger Unternehmer ist für sie halt einer, der eine Fabrik hat.“ Dabei sei nicht einmal ein Fünftel der EPU „aus der Not heraus“ selbstständig. „Viele sagen, ich will so leben und ich will auch kein Personal haben. Aber das ist für den Wirtschaftsbund natürlich schwer verständlich.“ Manche EPU würden die Wirtschaftskammer nicht als ihre Vertretung sehen. „Für viele ist das so ein Amt, das irgendwo da oben ist und alles tut, nur nicht ihre Interessen vertreten“, so Arsenovic.

Das Dilemma: Austreten spielt es nicht, denn die Mitgliedschaft in der Kammer ist in Österreich Pflicht. „Und solange wir gezwungen sind, dafür Geld zu bezahlen, hat die Kammer die verdammte Pflicht, sich auch um unsere Interessen zu kümmern“, wettert Volker Plass, der die Grünen im Wirtschaftsparlament vertritt.

Solche „Interessen“ sind zum Beispiel der 20-prozentige Selbstbehalt, den Selbstständige bei jedem Arztbesuch bezahlen müssen. Eine überparteiliche Initiative, die auch von der Ärztekammer unterstützt wird, sammelt seit gestern Unterschriften für dessen Abschaffung. Der Selbstbehalt sei eine „Strafe fürs Kranksein“, sagte Initiator Fritz Strobl, der Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes.


Unternehmer für Selbstbehalt
Die Versicherung der Gewerbetreibenden (SVA) lehnt die Abschaffung ab. Der Selbstbehalt fördere den bewussten Umgang mit den Leistungen der Krankenversicherung und einen gesundheitsbewussten Lebensstil. Laut einer Umfrage der SVA wollen auch die meisten Versicherten den Selbstbehalt beibehalten – wenn die andere Option höhere Beiträge sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2012)

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