Apathie und Aufruhr: Sloweniens politische Elite steht am Pranger

Wutbürger-Proteste. In immer mehr Städten gehen Unzufriedene aus Protest auf die Straße. Gleichzeitig meiden immer mehr die Wahllokale.

Belgrad/Ljubljana. Mit der Friedhofsruhe im adretten Alpenstaat scheint es vorläufig vorbei zu sein. Ob in der trägen Hafenstadt Koper, dem verschlafenen Kranj, dem biederen Maribor oder der schmucken Hauptstadt Ljubljana: Aus immer mehr Städten Sloweniens werden Protestdemonstrationen und selbst blutige Ausschreitungen gemeldet.

Die steigende Anzahl von Wutbürgern, die gegen Vetternwirtschaft und korrupte Bürgermeister auf die Straßen gehen, steht in eigentümlichem Kontrast zum sinkenden Interesse an den Ritualen des demokratischen Stimmenstreits: Bei der Stichwahl um Sloweniens Präsidentenamt zeichnete sich am Sonntag schon früh die niedrigste Wahlbeteiligung an einem nationalen Urnengang seit der Unabhängigkeit 1991 ab.

Nicht nur die ersten Schneefälle und das eher zahme Duell zwischen Amtsträger Danilo Türk und seinem favorisierten Herausforderer Borut Pahor lähmten das Interesse des ermatteten Publikums. Schon seit über drei Jahren haben die Folgen der schweren Finanz- und Bankenkrise das einstige Musterland im Griff.

Ein großer Teil der Probleme der Alpenrepublik ist hausgemacht. Viel zu eng ist der Staat mit den Banken verbandelt. Viel zu lange konnten auch windige Geschäftsleute mit den „richtigen“ politischen Kontakten in den Genuss großzügiger Kredite kommen. Die faulen Kredite haben die heimischen Banken inzwischen an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht.

Wut auf korrupte Würdenträger

Die Folgen der Krise sorgen derweil für immer heftigere gesellschaftliche Verwerfungen. Der Unmut über die steigende Arbeitslosigkeit und harte Sparpolitik des konservativen Premiers Janez Janša paart sich mit der Wut auf die Kungeleien korrupter Würdenträger, die sich selbst in Zeiten der tiefen Krise an öffentlichen Geldern zu bereichern suchen.

Am Pranger der sich ausweitenden Proteste steht die gesamte politische Klasse. Viele Slowenen haben das Vertrauen in die heimische Politikerkaste gänzlich verloren. Selbst in Kleinstädten erschallen mittlerweile Sprechchöre gegen „Diebe“ und „Oligarchen“. Den Anfang machte eine zunächst eher kleine Facebook-Bewegung in Maribor, die schon vor Wochen zu Protesten gegen den der Vetternwirtschaft verdächtigten Bürgermeister der zweitgrößten Stadt des Landes aufgerufen hatte. Doch erst als die Polizei vor einer Woche die vor dem Rathaus in Maribor aufgezogene Menschenmenge rüde auseinandertrieb, sprang der Funke des Protests auch auf andere Städte über.

Zum Schauplatz der bisher härtesten Auseinandersetzungen wurde am Wochenende das Zentrum der Hauptstadt Ljubljana, wo sich auch Neonazis und Fußballhooligans unter die 6000 bis 10.000 Demonstranten mischten. Tränengasschwaden und der Rauch von Feuerwerkskörpern zogen stundenlang durch die Altstadt: Die mit Molotowcocktails und Pflastersteinen beworfene Polizei sah sich genötigt, mit Wasserwerfern gegen Randalierer vorzugehen. Bilanz der Unruhen: 33 Verhaftungen, gut zwei Dutzend verletzte Polizisten und Demonstranten.

Premier Janša sieht bereits den Ruf des Landes durch die Proteste gefährdet. Slowenien sei schon jetzt wegen der Krise „in Benzin getränkt“, sagte der Premier und warnte vor einem „griechischen Szenario“, einer weiteren Gewalteskalation durch „Links- und Rechtsextremisten“: Ein einzelnes Streichholz könne es „entzünden“.

Auf einen Blick

Die Stichwahl um das Präsidentenamt in Slowenien fand am Sonntag vor dem Hintergrund steigender gesellschaftlicher Spannungen statt. Einerseits schien das Duell Danilo Türk gegen Borut Pahor die Bürger nur mäßig zu interessieren, wie die geringe Wahlbeteiligung zeigte. Anderseits kam es zuletzt in immer mehr slowenischen Städten zu Bürgerprotesten, die teilweise in Gewalt ausarteten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2012)

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