93 Prozent: SPD freundet sich mit Steinbrück an

Prozent fuer Steinbrueck freundet
Prozent fuer Steinbrueck freundet(c) EPA (MICHAEL KAPPELER)
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Dem Fehlstart folgte die einigermaßen versöhnliche Kür. Angela Merkels Herausforderer lieferte Programm statt Pointen - und wagt sich nun auch an die Basis.

Hannover. Man kann Wohnungen mieten, Autos – und neuerdings auch Kanzlerkandidaten. Zumindest in Deutschland: Dort will Peer Steinbrück sich von Bürgern in ihre Wohnzimmer einladen lassen, um mit ihnen über die Wahlziele der SPD zu sprechen. Den Kuchen bringt er mit. Die Botschaft ist klar: Der Merkel-Herausforderer fühlt sich nicht nur als hoch dotierter Gast von reichen Bankern wohl, sondern auch im trauten Heim des kleinen Mannes.

Die umstrittenen Vortragshonorare sieht er nun als Steine im Gepäck, „die ich leider auch euch auf die Schultern gelegt habe“: So verneigte sich Steinbrück auf dem Sonderparteitag in Hannover vor 600 Delegierten, die ihn offiziell zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im Herbst 2013 küren sollten. „Danke, dass ihr diese Last getragen und ertragen habt“, fügte der bissige Kritiker auch eigener Parteifreunde in ungeahnter Demut hinzu. Die Solidarität habe ihn berührt, „das werde ich nie vergessen“. Da konnten die Genossen nicht mehr anders, als trotz des Fehlstarts die Reihen recht dicht hinter Steinbrück zu schließen: Mit 93,45 Prozent wählten sie ihn zum Feldherrn der Wahlschlacht. Kein Ergebnis in kubanischer Manier wie Merkels 98Prozent wenige Tage zuvor, aber eine solide Basis. In Berlin kursierte zuvor das Gerücht, Steinbrück würde bei unter 80 Prozent Zustimmung das Handtuch werfen.

SPD punktet nur mit Themen

Nicht nur in Sachen Demut stellte seine große Bewerbungsrede neue Weichen: Er sparte bei knackigen Pointen und gehässigen Hieben auf die schwarz-gelbe Koalition. Der Kandidat hat erkannt: Zu einem rhetorischen Boxkampf lässt sich die beliebte Kanzlerin nicht herausfordern. Sie würde ihn einfach ignorieren und bis kurz vor der Wahl mit präsidialer Geste weiterregieren. Die Meinungsforscher haben eine andere Chance für einen rot-grünen Machtwechsel entdeckt: Die Union wird fast nur wegen Merkel gewählt, die SPD fast nur wegen ihrer Inhalte.

Also stellte der 65-Jährige seine Person, um die allein es ja bei der Veranstaltung ging, fast ganz zurück. Stattdessen brachte er, lange vor dem Programmparteitag im April, eine ganze Batterie an Geschützen für „mehr soziale Gerechtigkeit“ in Stellung: gesetzlicher Mindeststundenlohn von 8,50Euro, fixe Frauenquote, Zurückdrängung von Praktika, kein Steuerabkommen mit der Schweiz.

Dazu – ein neu entdecktes Thema – erschwingliche Mieten in Großstädten. Die Reichen will der plötzlich so stramme Sozialdemokrat über Spitzensteuersatz und Erbschaftssteuer zur Kassa zwingen. Die Mehreinnahmen sollen nicht in Sozialtransfers, sondern in bessere Bildung und Kita-Plätze fließen – und für Schuldenabbau und zur Solidarität mit Euro-Krisenstaaten bereitstehen.

Trotz alledem: Ganz lässt sich Steinbrück nicht zum braven Parteisoldaten verbiegen. Noch am Donnerstag wollte er für 15.000Euro eine „Dinner Speech“ bei der Schweizer Privatbank Sarasin halten. Schwer zu vermitteln, auch wenn das Geld gespendet werden sollte. Die entsetzten Genossen drängten den störrischen Steinbrück im letzten Moment zur Absage. Dass er nun ganz einer der Ihren geworden ist, muss er abseits vom Rednerpult erst beweisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2012)

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