Randerscheinung

Im Moment leben

Carolina Frank
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Als Kind sieht man nicht weiter als die nächsten paar Stunden, der Hund lebt im Hier und Jetzt, aber ich freue mich schon sehr auf den Juli, wenn die Schule endlich geschlossen hat.

Ich komme gerade vom Hundespaziergang zurück (wir sagen „walk“ dazu, weil es so auf der Preisliste der nur sehr sporadisch für „sleep overs“ während Urlauben eingesetzten Hundesitterin steht), als mir der Jüngste auf dem Weg in die Schule entgegenkommt. Er schlurft mit gesenktem Kopf, hat eine kurze Hose an, dazu aber einen viel zu warmen Kapuzensweater. Das, was er im Winter zu kalt angezogen war, ist er jetzt zu warm angezogen. Immerhin gleicht es sich über das Jahr dann irgendwie aus.

„Und wie geht s dir, Schatzi?“, frage ich, nachdem er mir eher den Hinterkopf als die Wange zum Guten-Morgen-Bussi hingehalten hat. „Müd und Schule“, antwortet er doch recht kompakt. „Und wie geht‘s dir sonst?“, frage ich, um Aufheiterung bemüht. „Es ist ja jetzt nichts anderes in Sicht als müd und Schule“, sagt er und stapft an mir vorbei. Das Schöne ist auch das Schreckliche am Kindsein: Man sieht nicht weiter als die nächsten paar Stunden.

Der Hund lebt überhaupt nur im Hier und Jetzt. Und jetzt tänzelt er nervös um die Futterschüssel herum. Er liebt es zu fressen. Doch seine Mahlzeit erledigt er dann in rund 90 Sekunden. Ich kenne übrigens auch Menschen, die Leberkässemmeln und Krapfen ähnlich schnell verschlingen. So besteht sein Tag größtenteils im Warten auf die nächste Fütterung. In diesem Sinne führt er schon ein echtes Hundeleben. Ich dagegen kann schon ein paar Wochen im Voraus denken, und das Essen ist mir generell nicht so wichtig. Wenn man mir das auch momentan nicht ansieht. Ich freue mich also schon sehr auf den Juli, wenn die Schule endlich geschlossen hat und ich mit dem Jüngsten wieder andere Themen besprechen kann. Beim Hund wird es monothematisch bleiben, befürchte ich.

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("Die Presse Schaufenster" vom 09.06.23)

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