Bürgerbeteiligung

Die Umwelt schonen und auf den Herzinfarkt verzichten

Die Beteiligten der ASF-Hub-Projekte entwickeln Lösungen für den Verkehr in der Ostregion Österreichs.
Die Beteiligten der ASF-Hub-Projekte entwickeln Lösungen für den Verkehr in der Ostregion Österreichs.Tobias Steinmaurer/Picturedesk
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Jetzt gibt es Aktionen mit Regenwürmern, Asphaltlöchern, Lastenfahrrädern und vielem mehr. Die Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft und die Uni für angewandte Kunst wollen damit Veränderungen anstoßen.

„Um das Geld hättest du dir ja schon fast ein Auto kaufen können!“ Diesen Satz hören viele, die sich ein Lastenfahrrad anschaffen. „Dabei geht es bei der Entscheidung ja genau darum, den Autoverkehr zu reduzieren“, sagt Dorothea Born. Sie koordiniert seit zwei Jahren den Action for Sustainable Future Hub (ASF), eine Kooperation des Open Innovation in Science Center der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft mit der Universität für angewandte Kunst Wien.

Dieses Innovationslabor will mit vielen Partnern Veränderungen in der Gesellschaft anstoßen: für eine nachhaltigere Zukunft. Im Sinne der SDG (Sustainable Development Goals) der UNO, die für 2030 eine gerechtere und lebenswertere Welt anstreben, sucht der ASF-Hub Anknüpfungspunkte im Leben der Menschen. „Ich habe mir vor einem halben Jahr ein Lastenfahrrad gekauft und damit schon über 1000 Kilometer zurückgelegt. Es macht mich glücklich, Kinder und Krempel nicht mit dem Auto durch die Stadt zu fahren“, erzählt Born ihre ganz persönliche Veränderung in Richtung Nachhaltigkeit.

Verzicht ist ja nichts Böses

Bei der Beschreibung, was ein Hub für Action for Sustainable Future überhaupt sein soll, geht die Wissenschaftsforscherin stets auf die Lebensrealität des Gegenübers ein. „Wenn ich in einer Schulklasse über das Thema rede, frage ich zuerst, was Nachhaltigkeit im Alltag der Jugendlichen bedeutet. Welche Veränderungen wünschen sie sich, und was braucht es, um das umzusetzen?“, sagt Born. Immerhin haben viele Menschen Sorge, dass es Verzicht bedeute, wenn man sich für eine bessere Umwelt einsetzt. „Doch statt zu denken, man müsse Auto und Schnitzel weglassen, kann man sich doch freuen, darauf zu verzichten, einen Herzinfarkt zu bekommen – wenn man mehr mit dem Rad fährt und weniger Fleisch isst.“

Bisher zeigt sich, dass die Motivation, Lösungen für eine nachhaltigere Welt umzusetzen, steigt, wenn die Bürgerinnen und Bürger von Beginn an in Projekte involviert sind. „Daher beziehen alle Aktionen im ASF-Hub die Lebensrealitäten der Betroffenen ein“, sagt Born. Wissenschaft, Politik und Gesellschaft treffen sich im besten Fall am gleichen Tisch. „Das Bewusstsein ist bereits da, dass wir in einer Krise der Nachhaltigkeit stecken. Wie können wir diese lösen? Nur gemeinsam!“, betont Born. Die Ansätze der aktuellen Projekte umfassen sowohl die Biodiversitäts- und Klimakrise als auch Krisen der sozialen Gerechtigkeit (siehe Infobox der sechs Schlüsselprojekte im Action for Sustainable Future Hub).

Lexikon

Die sechs Projekte im Action for Sustainable Future Hub:

Zukunftsrat Verkehr widmet sich neuen Lösungen für ein nachhaltiges Verkehrskonzept in der gesamten Region des östlichen Österreichs (Wien, Niederösterreich, Burgenland).
Das Wurmhotel ist die große Version der Wurmkiste, die Biomüll in Humus verwandelt. Gemeinschaften tun sich zusammen, um die Kompostierbox mit Regenwürmern zu betreuen.
Die Wiener Sukzession arbeitet gegen die Bodenversiegelung in Österreich: Menschen aus Kunst, Zivilgesellschaft und Forschung schaffen durch „Entsiegelung“ Lebensräume für Natur und Mensch.
Das Refiction Radio nutzt Radio als sozialen Ort der Begegnung. Hier kommen Menschen in und um Flüchtlingslager oder Fluchtrouten zu Wort.
Mach‘s auf hat sich zum Ziel gesetzt, „Maker und Repair Spaces“ für gehörlose Personen zugänglicher zu machen. Dieses Projekt soll die Kultur des Upcyclings und Reparierens in dieser Gruppe fördern und auch die Gesellschaft insgesamt animieren, weniger wegzuwerfen.
Human Rights Space heißt der barrierefreie Ausstellungsraum im dritten Bezirk, in dem Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Lebensrealitäten zusammenkommen, um sich mit Kinder- und Menschenrechten auseinanderzusetzen.

So fanden sich im Projekt „Zukunftsrat Verkehr“ große Gruppen von Menschen aus unterschiedlichen Hintergründen – ähnlich wie der Klimarat Österreich – zusammen, die über Lösungen für klimafreundliche Fortbewegung in der Ostregion nachdenken. „Die Treffen umfassten jeweils 20 bis 30 Leute, die Ideen zur individuellen Mobilität einbrachten“, sagt Born. Der Zukunftsrat hat nicht nur ein Umdenken bei den Teilnehmenden ausgelöst („Manch ein überzeugter Autofahrer probierte dann die U-Bahn aus“). Die Teams gehen nun zu den Verwaltungen der Gemeinden, um die Konzepte für nachhaltige Verkehrslösungen der Politik nahezubringen. Immerhin sind in der Ostregion (Wien, NÖ, Burgenland) täglich 2,6 Millionen Menschen unterwegs. Das Team sucht weiterhin nach Input auf https://zukunftsrat.at.

Ein offener Raum für junge Menschen

„Die Projekte im ASF-Hub wurden von den Bürgerinnen und Bürgern selbst ins Leben gerufen. Bei dem Human Rights Space haben zum Beispiel die Kinder und Jugendlichen direkt entschieden, welche Themen sie ansprechen“, sagt Born. Der Raum war zunächst in der Bildungsdirektion der Stadt Wien angesiedelt und ist seit 24. Mai in der Kinder- und Jugendanwaltschaft im dritten Bezirk zu finden. Dort können sich Schülerinnen und Schüler mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Das Design und die Umsetzung entsprechen ganz den Wünschen der jungen Menschen. Nun kann jede Schulklasse hingehen und sich in Ausstellungen oder Workshops über die Dinge informieren, die in dem Alter wichtig sind.

„Bei solchen Initiativen ist ja nicht nur die finanzielle Unterstützung wichtig, sondern auch das Netzwerk, das man schafft“, betont Born. Die Förderung durch den Hub endet im Jahr 2024, doch die Projekte sollen weiterlaufen. Eine Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, ist viel wert. „Bei herkömmlichen Förderungen schreibt man zuerst einen Antrag und drei Jahre später den Endbericht. Unser Motto heißt aber: Fund – Facilitate – Follow up“, sagt Born. Das heißt finanzieren, ermöglichen und vertiefen oder einfach gesagt: „Wir unterstützen den Prozess, während er läuft, und sehen danach, was damit passiert ist.“ Die Teams evaluieren kontinuierlich: Was ist die nachhaltige Wirkung der Projekte?

Am Beispiel „Wurmhotel“ bedeutet dies, dass nicht nur der Erfolg jeder einzelnen Wurmkiste, die Biomüll in Humus verwandelt, analysiert wird, sondern die Wirkung für das Grätzel und die Gemeinschaft beachtet wird. „Es ist für Kinder und Erwachsene beeindruckend, welche Fürsorge man für Regenwürmer entwickeln kann. Die Idee startet im Kleinen. Aber durch ein Wurmhotel in einer Gemeinschaft lernt man mehr über Symbiose und Zusammenleben“, sagt Born. In diesem Projekt lautet ein Ziel, Gemeinden und Stadtverwaltungen über die Möglichkeit von Wurmhotels zu informieren, um ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu verknüpfen. „Es ist auch für die Abfallverwertung hilfreich, wenn weniger Biomüll im Restmüll landet“, sagt Born.

Den Boden für die Natur aufreißen

Im ASF-Hub ergeben sich mitunter auch Verwebungen der einzelnen geförderten Projekte untereinander. So zeigt das Team der „Wiener Sukzsession“ Interesse an dem Humus, der aus Wurmhotels geerntet wird. Denn hier lautet das Thema Entsiegelung. „Österreich hat ein großes Problem mit der zu starken Bodenversiegelung“, sagt Born. Die Beteiligten arbeiten für weniger Überhitzung in öffentlichen Flächen und gegen die Verschwendung von Regenwasser. Sie suchen Ritzen und Lücken in der Asphaltlandschaft. „Löcher zum Wachsen“ ist das Motto, um der Natur mehr Raum zu geben. „Wenn man in einer Stadt entsiegeln will, muss man viel mit Institutionen verhandeln. Denn legal ist es gar nicht einfach, Beton aufzureißen und Asphalt wegzuschaffen“, sagt Born. Sie beobachtet, wie dieser gemeinschaftliche Prozess die Menschen fasziniert. Im geöffneten Boden stecken auch künstlerisch und partizipativ neue Möglichkeiten, den Menschen zu zeigen, was alles unter Pflastersteinen lebt.

Beim Straßenfest des Onlinemagazins Skug wurden am 10. 6. in der Großen Stadtgutgasse (Wien II) die Projekte „Zukunftsrat Verkehr“ und „Wiener Sukzession“ präsentiert (https://skug.at/wir-sind-der-verkehr).

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