Die Autoindustrie auf dem Weg in ein neues Zeitalter

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Bei der Nachhaltigkeit gerät die Automobilbranche als Ganzes ins Hintertreffen. Dieses mangelnde Engagement in Sachen Nachhaltigkeit ist nicht nur in Bezug auf Umwelt- und Klimaziele, sondern auch rein ökonomisch kurzsichtig.

Ist von Maßnahmen für eine möglichst klimaschonende Zukunft und der drastischen Reduzierung von Treibhausgasemissionen die Rede, kommt wie selbstverständlich die Automobilindustrie zur Sprache. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich etwa die Erkenntnisse der Greenpeace-Studie „Crashing the climate“ vor Augen führt. Demzufolge produzieren die zwölf größten Autokonzerne durch ihre Fertigung und mit den Emissionen ihrer Autos mehr CO2 als die gesamte Europäische Union. Laut Eurostat gehören Personenkraftwagen mit einem Anteil von rund 60 Prozent an den gesamten CO2-Emissionen des EU-Straßenverkehrs zu den bedeutenden Umweltverschmutzern.

Trend zum E-Auto

Geht es nach den Plänen der EU, sollte sich das in den nächsten Jahren signifikant ändern. Verbrennungsmotoren droht das Aus, entweder zur Gänze oder zumindest insofern, als dass Neuwagen in einigen Jahren nur noch mit synthetischen E-Fuels betrieben werden dürfen. Die Tendenz geht aktuell Richtung E-Mobilität. Gemäß der jüngsten Statistik der European Automobile Manufacturers’ Association, ACEA, ist im dritten Quartal 2022 der Marktanteil von batterieelektrischen Fahrzeugen weiter angestiegen. Sie machen mittlerweile 11,9 Prozent der gesamten EU-Pkw-Zulassungen aus (gegenüber 9,8 Prozent im dritten Quartal 2021). Auch Hybridelektrofahrzeuge haben Marktanteile gewonnen und halten aktuell bei 22,6 Prozent aller Verkäufe. 

Aber auch in Sachen Elektroauto ist nicht alles so klimafreundlich, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Zum einen liegt das daran, wie der benötigte Strom gewonnen wird. Noch immer machen laut Eurostat nicht erneuerbare Energiequellen 62,5 Prozent des Bruttostromverbrauchs in der EU aus. Zum anderen dürfen bei der gesamtheitlichen Erfassung des CO2-Ausstoßes eines Autos nicht nur die Emissionen während der Nutzung berücksichtigt werden, sondern auch jene, die bei Produktion und Entsorgung anfallen. In beiden Bereichen gelten Elektroautos als weniger umweltfreundlich als Pkw mit Verbrennungsmotoren.

Die gesamte Lebensdauer betrachten

Wenn Treibhausgasemissionen mit E-Autos umfassend reduziert werden sollen, müssen Automobilhersteller also positive Effekte über die gesamte Lebensdauer eines Elektrofahrzeugs erzielen. Dazu gilt es, die Kreislauffähigkeit der Produktion sicherzustellen und den End-of-Life-Prozess für Batterien in der gesamten Wertschöpfungskette zu berücksichtigen. Die aktuelle Studie des Capgemini Research Institute „Sustainability in Automotive: From Ambition to Action“ zeigt, dass die Industrie hier noch viel Luft nach oben hat. In neun Ländern (China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Japan, Schweden, Südkorea und USA) wurden rund 1080 Führungskräfte von Automobilherstellern und -zulieferern befragt: Nur vier von zehn gaben an, dass ihr Unternehmen eine spezielle Nachhaltigkeitsinitiative für das Ende der Lebensdauer von Batterien verfolgt.

Ernüchternde Faktenlage

Auch in anderen Nachhaltigkeitsbereichen stellt die Studie der Industrie kein gutes Zeugnis aus. Zwar erwarten zwei Drittel (64 Prozent) der Automobilunternehmen eine Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2040 und 57 Prozent gehen über die Einhaltung von ESG-Vorgaben hinaus und machen Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Geschäftsfaktor. Doch die derzeitige Faktenlage ist ernüchternd: So hat die Branche seit 2018 ihre Treibhausgasemissionen insgesamt nur um fünf Prozent reduzieren können, weit weniger als die Klimaziele es erfordern. Sogar einen rückläufigen Trend verzeichnet die Studie bei der Umsetzung von Initiativen zur Kreislaufwirtschaft. Obwohl 73 Prozent der Unternehmen weltweit der Meinung sind, dass der Beitrag zur Circular Economy notwendig ist, um langfristige finanzielle Ziele zu erreichen und wettbewerbsfähig zu bleiben, verfügen nur 53 Prozent der weltweit befragten Unternehmen über eine entsprechende Strategie. Und nur 45 Prozent halten sich derzeit an die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft in ihrer gesamten Wertschöpfungskette.

Ralf Blessmann, Leiter des Automotive Sektors bei Capgemini in Deutschland, zieht aus den Ergebnissen seine Schlüsse: „Die Automobilindustrie befindet sich auf dem Weg in ein neues Zeitalter, das vor allem vom Umstieg auf Elektrofahrzeuge geprägt sein wird. Obwohl Nachhaltigkeit als oberste Priorität gesehen wird, gerät die Branche als Ganzes ins Hintertreffen. Die Automobilunternehmen müssen ihren Nachhaltigkeitsansatz neu überdenken, wenn sie die im Pariser Abkommen für 2050 festgelegten Ziele zur Klimaneutralität erreichen wollen.“ Dazu gehöre insbesondere ein deutliches und erneuertes Engagement für die Kreislaufwirtschaft, das sich auf den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs konzentriert.

Nachhaltigkeit: Die ökonomischen Vorteile

Dass ein mangelndes Engagement in Sachen Nachhaltigkeit nicht nur in Bezug auf Umwelt- und Klimaziele, sondern auch rein ökonomisch kurzsichtig ist, zeigen laut Capgemini jene Führungsunternehmen, die vorangehen. Etwa zehn Prozent der Unternehmen zählt die Studie zu den „Sustainability Leaders“, die ihre Emissionen seit 2018 bereits um durchschnittlich neun Prozent senken konnten, verglichen mit fünf Prozent in der gesamten Branche. Leaders erwarten, dass sich ihre betriebliche Effizienz bis 2026 um 22 Prozent verbessert, und führen dies direkt auf ihre Nachhaltigkeitsinitiativen zurück, die zu einer höheren Transparenz in der gesamten Wertschöpfungskette beitragen. Die führenden Unternehmen konnten laut Studie damit zusätzlich ihre Attraktivität als Arbeitgeber für Talente steigern (18 Prozent gegenüber zehn Prozent bei den übrigen Unternehmen) – ein zentraler Wettbewerbsfaktor in Zeiten des Fachkräftemangels.

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