Frau Schavan bringt den Universitätsbetrieb vor Gericht

Gut, dass Deutschlands Ex-Bildungsministerin Annette Schavan die Universität Düsseldorf vor Gericht bringt: Sie sollte nicht Titel aberkennen dürfen, die sie selbst verliehen hat.

Annette Schavan hatte keine andere Wahl als den Rücktritt, nachdem ihr ihre Universität nach 32 Jahren den Doktortitel aberkannt hatte. Nach ihrer eigenen Rücktrittsbegründung hat das nichts mit der Aberkennung des Doktortitels selbst zu tun, sondern ausschließlich mit der Tatsache, dass sie ihre Alma Mater wegen der Aberkennung klagen will. Das sei eine „Belastung“ für das Amt, die Regierung und ihre Partei, die CDU. Und weil „das Amt nicht beschädigt werden“ dürfe, trete sie zurück.

Hier irrt Annette Schavan, und das weiß sie wohl auch. Als Wissenschaftsministerin ist sie nicht erst durch die Klage untragbar geworden, sondern zuerst und vor allem durch die Aberkennung ihres akademischen Grades. Aber wer hätte nicht Verständnis dafür, dass eine Politikerin in einer so existenziellen Situation nach einer Begründung sucht, die zumindest argumentativ nachvollziehbar ist und ihr gleichzeitig die Wahrung ihrer Selbstachtung erleichtert?

Der Wahrung ihrer Selbstachtung dient wohl auch die Klage. Man kann das verstehen: Selbst dort, wo ihr im Blog schavanplag.wordpress.com „Bauernopfer“ vorgeworfen werden, also ungekennzeichnete, umgeschriebene Zitate aus Arbeiten, die sie zwar im Umfeld nennt, aber im konkreten Fall nicht als Quelle ausweist, begegnet dem Leser eine ziemlich gute Autorin: Ihre Version liest sich in der Regel deutlich besser als das verschleierte Original. Dass aus ihren Verstößen gegen die Zitierregeln eine „leitende Täuschungsabsicht“ zwingend folge, kann man gut bezweifeln.

Frau Schavans Klage ist schon deshalb zu begrüßen, weil dadurch erzwungen wird, was die Universität Düsseldorf unterlassen hat: ein transparentes Verfahren, in dem mehrere Gutachter zu Wort kommen, in dem der Doktorvater zur Stellungnahme aufgefordert wird, und in dem das Prinzip der Beweislastumkehr aufgehoben wird, das im Aberkennungsverfahren zur Anwendung kam, ohne dass es zu nennenswerter Kritik kam. Der Vorwurf einer „leitenden Täuschungsabsicht“ lässt sich in einem Gutachten leicht erheben, in einem rechtlichen Verfahren braucht es dafür Beweise, denn es geht in einem Rechtsstaat nicht an, dass die Beschuldigte ihre Unschuld beweisen muss.

Außerdem wird die Verlegung der Entscheidung von der Universität, die über eine Vielzahl von Eigeninteressen verfügt, zu einem unabhängigen Gericht Fragen zur Sprache bringen, die bis jetzt keine Rolle gespielt haben: Wie sehen angemessene Verfahren zur Aberkennung akademischer Grade überhaupt aus? Mit welchen Konsequenzen haben jene zu rechnen, die Arbeiten akzeptieren und hoch bewerten, die später zur Schande für die Wissenschaft werden? Man erinnere sich an den „Fall Guttenberg“: Da herrschte allseitiges Entsetzen darüber, wie so ein Machwerk überhaupt akzeptiert werden konnte, aber niemand diskutierte darüber, was eigentlich mit den Institutionen zu passieren habe, die das vor nicht allzu langer Zeit akzeptiert haben. Wenn ein Beschuldigter erklärt, er habe es nicht besser gewusst, muss er mit Empörung rechnen. Wenn ein Doktorvater erklärt, er habe eine „leitende Täuschungsabsicht“ oder eine große Anhäufung von nicht gekennzeichneten Zitaten aus der relevanten Fachliteratur nicht erkannt, findet keiner etwas dabei.

Vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf wird sich nicht nur Schavan verantworten müssen, sondern auch der Universitätsbetrieb. Und das ist gut so.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2013)

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