Morgenglosse

So viel Tabu-Bruch war nie: Papst Franziskus nimmt volles Risiko 

Papst Franziskus
Papst Franziskusimago images/Independent Photo A
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Das offizielle Arbeitspapier des Vatikans zur Bischofs-Synode im Herbst ist voller Überraschungen. Die Diakon-Weihe für Frauen und der Einsatz von verheirateten Priestern wird ausdrücklich angesprochen - als gewünschtes Thema der Beratungen über Reformen.

Einen Schritt vor, zwei zurück. Diesen Eindruck konnte man nach anfänglicher Euphorie nach bisher zehn Jahren Amtszeit von Papst Franziskus gewinnen. Zögerlich, mäandernd, vor Widerständen zurückweichend erschien er in seinen Bemühungen, der katholischen Kirche eine Art Facelifting zu verpassen. Mehr noch: Die Kirche, deren Struktur, Entscheidungswege und Ämter umzubauen. Mit der Glaubenssubstanz hat das alles nebenbei bemerkt reichlich wenig zu tun.

Jetzt wird klar: Papst Franziskus geht „all in“, könnte gesagt werden. Das 71 Seiten starke Papier zur Synode im Herbst, bei der Bischöfe aus aller Welt und ausgewählte Laien (selbst Frauen sind darunter, kaum zu glauben) Reformen diskutieren sollen, ist auch inhaltlich stark, sehr stark. Für die Kräfte, die sich gegen Änderungen stemmen, muss es wie eine Kampfansage wirken. Da wird unter anderem auf die Forderung hingewiesen, „die Frage des Zugangs von Frauen zum Diakonat neu zu überdenken“ und aufgefordert, darüber zu diskutieren.

Dieser Wunsch wird nicht von versponnenen Kirchenrebellen geäußert. Er war, wie in dem Dokument aufgelistet wird, in Kontinentalversammlungen zur Vorbereitung der Synode des Nahen Ostens, Lateinamerikas, Ozeaniens und Europas (natürlich!) sowie in Zusammenfassungen zahlreicher Bischofskonferenzen angeführt worden.

Zugehen auf LGBTQ+

Ein weiterer Tabubruch für ein offizielles vatikanisches Dokument, auch wenn es nur ein Arbeitsdokument ist, findet sich in einer anderen Frage: „Welche konkreten Schritte sind notwendig, um auf Menschen zuzugehen, die sich aufgrund ihrer Affektivität und Sexualität von der Kirche ausgeschlossen fühlen (z. B. wiederverheiratete Geschiedene, Menschen in polygamen Ehen, LGBTQ+ usw.)“ Der nächste Tabubruch betrifft die Möglichkeit, verheiratete Priester einzusetzen, „zumindest in einigen Bereichen“.  Auch die Leitung von Gemeinden durch Laien in Gegenden des Priestermangels wird aktiv angesprochen. Alle, die es wissen wollen, wissen, dass derartiges in Südamerika/Amazonien ohnedies längst weit verbreitete Praxis ist.

„Charakteristisch für eine synodale Kirche ist ihre Fähigkeit, mit Spannungen umzugehen, ohne von ihnen erdrückt zu werden“, ist an einer anderen Stelle zu lesen. Nun, Spannungen gibt es tatsächlich. Und es wird spannend sein zu sehen, wie gut die Fähigkeit ausgebildet ist, mit diesen Spannungen auch umzugehen. Eines steht fest: Papst Franziskus setzt die Synoden-Teilnehmer mit dem Arbeitspapier und dessen vielen Fragen, die bisher offen im Vatikan nie gestellt werden durften,  gehörig unter Druck - und auch sich selbst.

„Keine Angst“

Es gibt kein Zurück.  Zumindest wenn eine andere Feststellung aus dem Papier zutrifft: „Diese Kirche hat keine Angst vor der Vielfalt, sondern bringt sie zur Geltung, ohne sie zur Gleichförmigkeit zu zwingen.“  Damit einhergehen muss folgerichtig eine Reform des Papstsamtes, eine Beschneidung der derzeit allumfassenden Rechte des Oberhaupts der Katholiken. Papst Franziskus hat noch viel vor mit „seiner“ Kirche. Beachtlich - speziell für einen Mann, der im 87. Lebensjahr steht.

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