175 Jahre „Die Presse“

Wenn die Justiz Palast abwirft

Noch thront der Ständestaat-Adler über dem Eingang des Justizpalasts. Bald hat er einen Kopf weniger.
Noch thront der Ständestaat-Adler über dem Eingang des Justizpalasts. Bald hat er einen Kopf weniger.Clemens Fabry
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Berichte und ihre Folgen. Artikel im Rechtspanorama sorgten dafür, dass es dem Ständestaat-Adler im Justizpalast an den Kragen geht, eine Mutter Hilfe bekam und Gesetze geändert wurden.

Im Anfang war das Wort. Als das Rechtspanorama der „Presse“ im Jahr 1990 startete, konnte man noch nicht online im Rechtsinformationssystem (Ris) nach neuen Entscheidungen suchen, die für die Leser interessant sein könnten. Rechtspanorama-Gründer Benedikt Kommenda musste sich persönlich über Urteile informieren lassen. Ein Hofrat des Obersten Gerichtshofs (OGH) war dabei besonders behilflich. Doch treffen durfte man ihn zum Kennenlernen nur in einem Café nahe des Justizpalastes, nicht in diesem selbst. Journalisten gleich ins Richterbüro zu lassen, schien noch nicht opportun zu sein.

Aber auch aus Richtersicht hat sich das Leben verändert. „Das Gericht spricht durch das Urteil. Das war die Einstellung, als ich 1979 als Richterin begonnen habe. Heute gilt das nur mehr eingeschränkt“, betont Irmgard Griss, die später von 2007 bis 2011 als Präsidentin des OGH fungieren sollte. „Zwar sprechen Gerichte nach wie vor durch ihre Urteile. Doch je bedeutender oder je strittiger eine Frage ist, desto größer ist der Bedarf an allgemein verständlicher Erklärung“, meint Griss gegenüber der „Presse“. Sie erinnert sich zum Beispiel an die viel diskutierten Entscheidungen über Schadenersatzansprüche gegen Ärzte wegen der Geburt eines (behinderten) Kindes, die auf Fehldiagnosen zurückgingen. In der öffentlichen Debatte war damals teils das Kind selbst als Schaden dargestellt worden, dabei ging es um dessen Unterhaltsansprüche. „Das Rechtspanorama leistet hier einen wertvollen Beitrag. Urteile sollen ja Verhalten prägen, und zwar nicht nur das der Streitparteien. Das können sie nur, wenn sie, wie es durch das Rechtspanorama geschieht, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden und gleichzeitig erklärt wird, welche Folgen die Rechtsprechung haben wird“, meint Griss.

Kleine Fehler können große Wirkung haben

Aber auch das Schicksal hinter den in der Zeitung wiedergegebenen Urteilen bewegt. Als das Rechtspanorama heuer über das Malheur einer Mutter berichtete – sie hatte sich bei der Mail-Adresse der Sozialversicherung offenbar um einen Buchstaben vertan und damit laut Gericht den Nachweis ihrer Mutter-Kind-Untersuchung verpasst – meldete sich etwa ein honoriger Jurist bei der Redaktion. Er könne das Urteil nicht nachvollziehen, nach dem die Frau wegen eines solchen Fehlers Teile des Kindergelds verliere. Er wolle daher der Mutter finanziell helfen.

Auch die Politik wurde über das Rechtspanorama immer wieder auf Missstände aufmerksam. Der Wiener Anwalt Thomas Höhne rüttelte als Gastautor vor einem Jahr die Öffentlichkeit auf, weil im Wiener Justizpalast noch immer der Doppeladler des Ständestaats hänge. Dies fast 90 Jahre, nachdem die Regierung Dollfuß das Parlament nach der „Selbstausschaltung“ am erneuten Tagen hinderte und so die Demokratie abschaffte. Justizministerin Alma Zadić beauftragte nach Erscheinen des Artikels eine Expertenkommission, die einen zeitgemäßen Umgang mit den historisch belasteten Symbolen ausarbeiten sollte. Inzwischen gilt es als gesichert, dass die figürlichen Ständestaat-Adler je einen ihrer Köpfe verlieren werden.

Lücken im NS-Verbotsgesetz zeigte das Rechtspanorama ebenso auf. Es berichtete über einen Mann, der von Spanien aus einschlägige Mails nach Österreich schickte und eine weitere Person, die von Deutschland aus in Österreich lesbare Facebook-Postings mit NS-Inhalt absetzte. Beide konnten nicht bestraft werden, weil sie die Tat vom Ausland aus setzten. Das damals noch von Josef Moser geführte Justizministerium kündigte darauf 2019 gegenüber der „Presse“ an, eine Verschärfung zu prüfen. Gut Ding braucht offenbar Weile. Aber im heurigen Juni schickte die Regierung eine Novelle in Begutachtung, wonach es strafbar werden soll, wenn man aus dem Ausland Nazi-Inhalte für ein österreichisches Publikum postet.

Für politische Diskussionen sorgte aber auch ein OGH-Urteil, über das das Rechtspanorama 2011 berichtete. Demnach war im Scheidungsstreit zweier Zuwanderer, die die Ehe in Saudiarabien geschlossen hatten, in Österreich die Scharia anzuwenden. Auch wenn die Scharia keinen nachehelichen Unterhalt für die Exfrau vorsieht, weil dies noch nicht fundamental gegen die heimische Rechtsordnung verstoße. „Unsere Rechtsprechung hat nach den Werten der christlichen, zivilisierten, westlichen Welt zu erfolgen und jedenfalls nicht nach der Scharia“, befand nach dem Rechtspanorama-Bericht ein Sprecher der damaligen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner. Eine dazu angedachte Gesetzesänderung kam aber nicht.

Entlassung eines Richters blitzartig gestoppt

In manchen Fällen kann es aber auch schnell gehen. Nachdem das Rechtspanorama im Vorjahr über die bevorstehende Entlassung eines Richters am Verwaltungsgericht Wien berichtete, wurde diese blitzartig gestoppt. Der Verwaltungsgerichtshof erkannte der Beschwerde des Mannes, der wegen schlechter Arbeitsleistung in der Kritik stand, aufschiebende Wirkung zu. Bis heute gibt es nun aber keine Entscheidung über das Schicksal des Richters.

Apropos Gericht: Öfters melden sich in der Redaktion Leserinnen und Leser, die gern hätten, dass einer der beiden Rechtspanorama-Redakteure ihre juristischen Probleme löst oder sie gar bei Gericht vertritt („Ach so, Sie sind gar kein Anwalt?!“). Da bleibt leider nur der Hinweis, dass man bloß über Fälle berichten kann, wenn sie zu einem für das „Presse“-Publikum interessanten Urteil führen.

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