175 Jahre „Die Presse“

Aus dem Zelt in die Welt

1958, zehn Jahre nach der Unternehmensgründung: Ferry Porsche in der Montagehalle im Werk Stuttgart-Zuffenhausen. Gefertigt wird die Typenreihe 356.
1958, zehn Jahre nach der Unternehmensgründung: Ferry Porsche in der Montagehalle im Werk Stuttgart-Zuffenhausen. Gefertigt wird die Typenreihe 356.Werk
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Unternehmenskultur. Ein Jubilar aus der Autobranche blickt auf immerhin 75 Jahre zurück –
auch wenn bei Porsche eher Mut zum Risiko als Nostalgie zu heutiger Form führten.

Natürlich hat die PR-Abteilung die Sache noch übernasert und eine flotte Presseaussendung draus gebastelt. Aber im Ursprung war es eine recht unschuldige Initiative ohne großes Publicity-Kalkül: Der Porsche-Chef reist Anfang Juni quasi eigenhändig mit einem 911 Turbo zum 24-Stunden-Rennen von Le Mans an, auf dem Auto Porsches 5000-Euro-Dachzelt montiert, und verbringt das Weekend wie einer der Tausenden Camper auf dem Areal. Es gäbe schnellere Wege nach Le Mans, naturgemäß per Jet, wie es die meisten VIPs und CEOs auf der Veranstaltung halten (kaum eineinhalb Stunden von Stuttgart statt mindestens acht mit dem Auto).

Wer Oliver Blume kennt, ist vom Sportsgeist des regelmäßig Langstrecken laufenden, 55-jährigen Managers kaum überrascht (eher davon, wie man mit fast zwei Metern Länge Platz in dem Zelt findet, zumal zu zweit: Blumes Frau war mit von der Partie), doch der Niedersachse ist eben auch CEO von VW, Europas größtem Autohersteller, in Summe also von zwei DAX-Unternehmen. Da entspricht ein Oberboss, der frühmorgens aus dem Campingzelt klettert und blinzelnd Ausschau nach Toilette und Kaffee hält, zumindest nicht dem gewohnten Bild.

Im Orchester des Börsengangs

Aber was ist schon gewohnt bei Porsche und bei dem Verhältnis der feinen Stuttgarter Marke zum Wolfsburger Konzern? Schon Blumes Doppelrolle ist ungewöhnlich, entspricht nicht den Usancen, was Aktionärsvertreter zuweilen auch heftig kritisieren. Von „signifikanten Interessenkonflikten“ war im Umfeld der Aktionärsversammlung im Dezember 2022 zu hören, sie betreffen die Vereinbarkeit zweier Vollzeitjobs, offenbar nicht als Übergangslösung, sondern dauerhaft angelegt.
„Es funktioniert“, gab Blume dazu Auskunft.

Die Verflechtungen von Porsche mit VW sind mannigfaltig: geschichtlich, finanziell, wirtschaftlich und eben auch personell. Wenn an der einen Seite gezogen wird, ist es wahrscheinlich, dass es an drei anderen Enden rumpelt. Früher hätte man gesagt: Stoff für einen Wirtschaftskrimi, heute wär‘s wohl eine fetzige Netflix-Doku, an deren Produktion in den Häusern Porsche, Piëch und Volkswagen jedoch eher nur geringes Interesse besteht. Man ist froh, dass die Sache wunschgemäß abgelaufen ist.

Die Sache, das ist Deutschlands größter Börsengang seit der Telekom 1996. Im Vorjahr erfolgreich über die Bühne gegangen, haben ihn im wesentlichen CEO Oliver Blume, Porsches Finanzvorstand Lutz Meschke und der Österreicher Wolfgang Porsche, Vorsitzender des Aufsichtsrats, orchestriert. Meschke, 57, wäre als stellvertretender CEO übrigens ein Tipp für Blumes Nachfolge bei Porsche, wenn der sich‘s doch anders überlegt, selbst wenn Meschke Finanzer ist und kein Maschinenbauer wie Blume und seine Vorgänger.

Wenn man so will, war der Börsengang die Retourkutsche auf eine Retourkutsche. Früh im Jahr 2008 witterte der damalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking die einmalige Gelegenheit, im Höhenflug des eigenen Unternehmens den nach Stückzahlen hundertmal größeren VW-Konzern zu übernehmen. Beteiligungen hielt man bereits, nun wollte David Goliath frech in die Tasche stecken. VW-Patriarch Ferdinand Piëch wusste das Husarenstück gerade noch zu kontern, freilich auch kraft der gerade einsetzenden Wirtschaftskrise, die Porsche ganz eigene Finanz-Troubles bescherte. So durfte am Ende Volkswagen Porsche retten und seinerseits in den Sack stecken.

Mit dem Börsengang ist nun wieder die alte Ordnung hergestellt – mit dem Sagen im Wesentlichen bei den Familien Porsche und Piëch. VW warf Anteile im Wert von fast zehn Milliarden Euro auf den Markt, Geld, das man in Wolfsburg für die vielen Agenden der großen Branchentransformation gut gebrauchen kann.

„Vereinigte Hüttenwerke“

Vielleicht ist es hilfreich, das familiäre Geflecht grob auseinanderzukämmen: Im Zentrum die Überfigur Ferdinand Porsche (1875–1951), „in seinem Metier und in seinem Jahrhundert herausragend“, um die Worte seines Enkels Ferdinand Piëch zu verwenden, „nicht als Erfinder, sondern als Konstrukteur mit fast renaissancehafter Spannweite“. Porsche hatte zwei Kinder, Louise und Ferry, woraus sich eine (mehr österreichische) Piëch- und eine (mehr deutsche) Porsche-Linie ergaben, mit jeweils vier Kindern. Der ersten gehörte Ferdinand Piëch an, der zweiten Ferdinand Alexander, kurz F. A., gern auch „Butzi“, gefeierter Designer der Ikone 911, sowie Wolfgang Porsche.

Louise Piëch (1904–1999) war es, die als Mastermind Familie und Firma durch die Zeit von Kriegsende und Besatzung manövrierte, klug die österreichische Karte in allen Dingen spielend, was vieles erleichterte. Die bald nach dem Krieg in Salzburg gegründete Importgesellschaft von Volkswagen, heute als Salzburger Porsche Holding Branchenriese und Milliardenkonzern, ist Louise Piëchs Werk, sie blieb im Unternehmen aktiv bis spät in die 1980er.

Mit diesem starken Standbein konnte Ferry, in NS-Angelegenheiten nicht wirklich belastet, anders als der Vater, Ende der 1940er das Beste aus dem machen, was von Ferdinands Firma übrig geblieben war – zuvorderst Manpower, tragende Konstrukteure wie Karl Rabe.

Charmanterweise setzte Ferry den Grundstein in Österreich. In Stuttgart-Zuffenhausen war die Gefahr eines Bombentreffers zu groß geworden (tatsächlich sollte es dazu auch kommen), man übersiedelte das Konstruktionsbüro 1944 ins kärntnerische Gmünd. Die Bleibe im Exil bestand aus nicht viel mehr als Holzbaracken, die Belegschaft scherzte darüber als „Vereinigte Hüttenwerke“.
Der 356 Roadster „Nr. 1“, weitgehend Käfer-Technik mit Feinschliff und einer von Hand gedengelten Alu-Karosserie, anders als die ihm nachfolgenden Serienmodelle noch mit Mittelmotor, bekam im Juni 1948 die Verkehrszulassung der Kärntner Landesregierung.

In den Wettbewerb gezogen

Bei aller Imposanz der heutigen Company, die in diesem Jahr, vom neuerlichen Rekordergebnis des ersten Quartals ausgehend, um die 320.000 Autos verkaufen wird, durchschnittlicher Kaufpreis 116.000 Euro: Porsche in der Frühzeit war ein kleines, fragiles Gebilde. Immerhin hatte es der Gründer gleich in die richtige Spur gezogen – in den Wettbewerb, in den Rennsport. Die Marke, die sich in Le Mans 1951 als erster deutscher Hersteller nach dem Krieg an den Start wagte, kannte kein Mensch. Sicherheitshalber ließ man in Le Mans ein französisches Fahrerpaar den Job übernehmen – und das holte den Sieg in der nicht unbedeutenden Klasse bis 1100 ccm Hubraum.

Blumes Zeltbau zu Le Mans, das Hantieren mit Haken und Ösen auf der Wiese von Porsches Mitarbeitercamp – der Überraschungsauftritt des Chefs sollte sicher auch an dem rühren, was man die Seele der Marke nennt – die rustikalen, von Bescheidenheit getragenen Anfänge im Rennsport (auch Wolfgang Porsche, in diesem Jahr 80 geworden, wurde in den Gemeinschaftsduschen des Camps gesichtet). All dies nicht ganz zufällig im 75-Jahr-Jubiläum der Marke. Schmerzlich, aber sportlich geschultert, dass das Porsche-Penske-Team gerade beim 100-Jahr-Jubiläums des Langstreckenrennens eine Nullnummer eingefahren hat (Platz neun).

Elitärer Gesinnung ist Blume selbst unverdächtig, sein Werdegang im Konzern ist vertikal und umfasst beispielsweise einen Aufenthalt beim Thema Karosseriebau und Lackiererei (bei Audi) – Basics des Fahrzeugbaus, die Blume später als Produktionschef bei Porsche überzeugend einsetzen konnte. In einem Zeitraum von fünf Jahren war er dafür verantwortlich, die spektakuläre Verdoppelung der Stückzahlen (auf den Markstein von 200.000 Fahrzeugen) ohne Krach und Wehe bewerkstelligt zu haben – mit dem Hochlaufen eines neuen Werks als Königsdisziplin, bei der man zeitgleich im VW-Reich wahrlich nicht zu glänzen wusste. Diese Bilanz liegt als Trumpfkarte jederzeit bereit, wenn Blumes Eignung als paralleler VW-Konzernchef hinterfragt wird. Nicht zuletzt waren es Qualitätsmängel in der Produktion, die den Ruf des Vorgängers Herbert Diess ramponierten.

Die Bejahung des Sports wiederum gilt als Ursprung der hohen Sorgfalt und Klasse, wie sie der Marke Porsche zugeschrieben werden – Rennsport als Stählung von Fertigkeiten und Anspruch, die dem Serienbau in gleicher Weise zugute kommt, das war Ferrys erklärtes, oft ausgesprochenes Motto. War das siegreiche 356 Coupé von 1951 noch eine direkte Ableitung aus der Serienproduktion, kam zwei Jahre später das erste auf den Renneinsatz gemünzte Auto – der puristische 550 Spyder, der vor allem als Unfallwagen von James Dean zu einiger Berühmtheit kam (Dean war damit auf dem Weg zu einem Rennen, für das er genannt war, gängige Praxis zu der Zeit).

Der Durchbruch gelang 15 Jahre später, als Ferdinand Piëch als Entwicklungs- und Rennleiter ein sagenhaftes Projekt auf die Räder wuchten durfte, den Porsche 917, die Fans durchfährt wohliger Schauder. Als epochaler Rennwagen und Le-Mans-Gewinner legte das Auto den Grundstein für den Mythos Porsche im Motorsport – damals als kleine, verglichen mit Ferrari oder Ford unbedeutende Marke im Metier. Der 917 hätte das ganze Unternehmen aber ebenso in den Abgrund reißen können.
Das Risiko hatte Ferry in Kauf genommen. Es sollte sich in der Firmensaga noch öfters zeigen, dass auf Nummer sicher nichts zu gewinnen ist.

Kennzeichen K 45.286

Die Sportwagenmarke Porsche feiert heuer 75 Jahre – 1948 gegründet, trägt das erste Modell ein Kärntner Kennzeichen: der 356 Roadster „Nr. 1“, der im Ausweichquartier Gmünd konstruiert und gebaut wurde.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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